
"Ihr glücklichen Augen" von Elke Heidenreich
Stand: 31.08.2022, 10:11 Uhr
Köln ist ihre Basisstation, die Welt ihr Zuhause. Ihr Leben lang ist Elke Heidenreich gern und viel gereist. Ihre Beobachtungen schildert sie nun in ihrem neuen Hörbuch – und liest diese Erfahrungen mit viel Empathie. Eine Rezension von Christoph Vratz.
Elke Heidenreich: Ihr glücklichen Augen
Gelesen von Elke Heidenreich
Random House Audio, 4 CDs, Laufzeit 5h 10 Min, 26 Euro
Reisen mit Elke Heidenreich
Ein Köfferchen packen, Badeanzug und Handtuch rein, dazu ein paar Bücher. Reisen zur reinen Erholung? Nicht mit Elke Heidenreich:
"Ich wollte nichts erleben, mich auch nicht von irgendwas erholen. Auf keinen Fall wollte ich irgendwas Berühmtes besichtigen: "Nichts ist mehr da, was man sich ansehen könnte, alles ist zu Tode geglotzt worden." (D. H. Lawrence) Ich wollte nur woanders sein. Und woanders, das musste nicht unbedingt ein "schöner" Ort sein".
Heidenreich ist immer der Typ "neugieriger Flaneur": Sich treiben lassen, Augen auf, Eindrücke sammeln. Begegnungen mit Menschen annehmen, Landschaften inhalieren und dabei auf die eigenen Gefühle achten.
"Man bewegt sich in Welten, Häusern, Gegenden, die anderen gehören. Man kann Gefahr, Willkür, Ablehnung begegnen. Und weil alles immerfort überall möglich ist, wird man gelassen. Ich bin auf Reisen nie aufgeregt oder ängstlich, ich bin wie in einer Art Meditation – ich nehme an, was auf mich zukommt, und das sind keine touristisch geplanten Sehenswürdigkeiten."
Von Paris über Zürich, Mailand und Gent
Heidenreichs Reise-Impressionen beginnen in Paris, wohin es sie erstmals mit 17 verschlagen hat. Sie ist mehrfach wiedergekommen, doch "nie mehr so glücklich wie damals". Zürich, Mailand, Gent - das sind die nächsten Stationen. 2004 fährt sie mit einem Freund in die Vlaamse Opera, um die letzte Aufführung einer Janáček-Oper zu besuchen.
"Wir erfuhren: restlos ausverkauft. Es gab keine einzige Karte mehr, es war nichts zu machen. […] 'Sie wissen nicht, um was es geht', sagte ich zu der fassungslosen Dame am Kartenschalter. 'Es geht um alles, es geht fast um Leben und Tod, wir kommen aus Köln, wir müssen diese Inszenierung sehen, ich kann es Ihnen nicht erklären, aber es hängt alles davon ab. Alles.'"
Das handgeschrieben Kärtchen für die Oper
Die Dame erkennt den "Notfall" und wie durch ein Wunder werden zwei Stühle herbeigezaubert. Das handgeschriebene Kärtchen, das diesen Zutritt erlaubt hat, besitzt Heidenreich heute noch.
Ob Schottland, Peking, Stockholm oder Kairo, überall sind es Zufallsbegegnungen, Zufallsbeobachtungen, Zufallsfunde, die Elke Heidenreich zu vielen kleinen Geschichten verdichtet. Während die Buchausgabe reich bebildert ist und zahlreiche Reisefundstücke in Form von Fotos präsentiert, ist man als Hörbuch-Hörerin und -Hörer darauf angewiesen, wie Heidenreich ihre Geschichten vorträgt: mal sanft, mal melancholisch, vor allem aber immer authentisch und mit der ihr eigenen Form von Empathie. Auch wenn anstelle einer einzelnen Episode plötzlich eine Wendung ins Allgemeine folgt.
"All meine Reisen drehen sich letztlich darum: um das, was uns verbindet. Deswegen habe ich, wo immer ich bin, niemals ein Fremdheitsgefühl, auch dann nicht, wenn ich, wie in China, Russland, Arabien, die Sprachen nicht verstehe, nicht einmal lesen kann. Ich fühle überall mehr das Verbindende, das Gemeinsame als das Trennende. Und deshalb reise ich so gern allein. Ich brauche Begegnungen mit dem ganz anderen."
Ob das Kaufhaus "Lotte" in Südkorea oder die Kirschlikörbude in Lissabon, ob eine gefälschte Gallé-Lampe aus Budapest oder Pinguine in Neuseeland – Heidenreich erzählt unvoreingenommen, getrieben von innerer Neugierde und immer so, als würde sie das Erlebte gerade noch einmal durchleben. Daher hört man ihr gerne zu, auch den zahllosen Zitaten aus Büchern – oder ihren gelegentlichen Spitzen, etwa gegen die Besserwisserei von Berliner Taxifahrern.
"Ich warte hier am Flughafen immer so lange, bis garantiert ein Ausländer am Steuer sitzt. Vor Berliner Taxifahrern habe ich Todesangst, denn wenn ich zum Beispiel sage: 'Ich möchte ins Hotel Savoy in der Fasanenstraße', dann schreien sie mich an: 'Ick weeß, wo det Hotel Savoy is, ick fahr seit vierzich Jahre Taxi, da müssen Se mir nich sagen, datt det inne Fasanstraße is.' Ja, ist ja gut."
"All meine Reisen drehen sich letztlich darum: um das, was uns verbindet."
"Ihr glücklichen Augen" heißt der neue Band mit Reiseerinnerungen von Elke Heidenreich. Die von der Autorin selbst gelesene Hörbuchversion wird zu einer eigenen kleinen Reiseroute – eine sehr persönliche Tour d’horizon, kurzweilig und voller Überraschungen – bis zum Schlusskapitel mit Roberto Blanco in: Bad Oeynhausen…