Buchcover: "Rheinaufwärts" von Franz Hohler

"Rheinaufwärts" von Franz Hohler

Stand: 10.05.2023, 12:00 Uhr

Vom Rheinfall zurück bis zur Quelle: Der Schweizer Autor Franz Hohler wandert in seinem neuen Buch "Rheinaufwärts" am mythenumrankten Fluss entlang und begegnet an seinem Ufer vielen Geschichten und nicht zuletzt sich selbst. Eine Rezension von Ulrich Rüdenauer.

Franz Hohler: Rheinaufwärts
Luchterhand Literaturverlag, 2023.
128 Seiten, 19,99 Euro.

"Rheinaufwärts" von Franz Hohler

Lesestoff – neue Bücher 10.05.2023 05:28 Min. Verfügbar bis 09.05.2024 WDR Online Von Ulrich Rüdenauer


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Der Rhein hatte immer schon einen gewissen Wallungswert. Besonders die Romantiker fühlten sich zu ihm und der ihn umgebenden Landschaft hingezogen, zu den Sagen und Legenden, die an seinen Ufern wie Weinreben und Städte wuchsen.

Kulturgeschichten, historische Studien, geologische Fachliteratur – eine ganze Bibliothek hat dieser Fluss hervorgebracht, und dazu noch unzählige Gemälde und Fotografien. Er ist Mythos und Wirtschaftsmacht, Idylle und Transportweg. Und er kann auch ein Freund sein, den man immer wieder gerne sieht, dessen Nähe man sucht, den man in seinem Lauf begleitet. Und der unverwechselbare Eigenschaften hat.

"Müsste ich das Wasser malen, ich würde es mit der grauen Farbe versuchen, vielleicht mit einem Hauch grün und braun gemischt. Die Flussoberfläche wirkt zerzaust und verwirbelt, der Rhein hat etwas hinter sich und versucht mit einer gewissen Eile davon wegzukommen. Er rauscht und gurgelt, aber je enger das Tal wird, desto ungewöhnlicher werden seine Geräusche, manchmal ist mir, als höre ich ihn husten oder als habe er den Schluckauf."

Franz Hohler ist zwar kein Maler, dafür aber ein "literarischer Allgemeinpraktiker" – so eine Selbstcharakterisierung. Er ist ein Autor mit wachem Blick fürs Detail und die gern übersehenen Nebensächlichkeiten. Und er gehört zu jener Spezies meditativ gestimmter Wanderer, die in der – Zitat – "Bibel der Landschaft" lesen: langsam und bedächtig, damit ihm, dem Lesenden, auch ja nichts entgeht. In seinem neuen Buch "Rheinaufwärts" erzählt er von einem Wander-Projekt, das im Frühjahr 2020 begann und zwei Jahre später endete. In Schaffhausen nahm es seinen Ausgang:

"Der Rhein fließt überaus gemächlich, es ist ihm nicht anzusehen, dass er sich wenig später in die Tiefe stürzen wird, die Wassertropfen wissen noch nichts von ihrem Schicksal."

In kleinen Etappen folgt Hohler nicht dem weiteren Verlauf des Flusses, dorthin, wo der vertraut als "Bursche" Angesprochene erwachsen und launisch wird. Sondern er geht zurück zu dessen Jugend und Kindheit, zu seiner Quelle, dem Tomasee im Kanton Graubünden.

Dass sich der bald 80-jährige Autor Stück für Stück dem Ursprung annähert und nicht Richtung Meer strebt, das dürfte mehrere Gründe haben: Die Pandemie steckt ihm noch in den Knochen, da sind kleinere Ausflüge die bessere Art zu reisen. Aber zum Ursprung zurückzukehren statt hinaus in die Welt – das könnte auch etwas mit einer Selbstvergewisserung zu tun haben, die in unsicheren Zeiten umso bedeutsamer erscheint.

Jedenfalls merkt man rasch, dass Hohler im Rhein einen Lebensgenossen und Geschichtenerzähler sieht. Was er an seinen Ufern entdeckt, notiert er in diesem charmant unprätentiösen, heiteren und zugleich nachdenklichen Ton, der diesen Schriftsteller zu einem verlässlichen literarischen Begleiter macht. Mal sind es historische Episoden, die ihre Spuren am Rheinufer hinterlassen haben. Mal regionale Eigenheiten:

"Ich verlasse den Kanton Schaffhausen und komme nach Eschenz, im Hoheitsgebiet des Kantons Thurgau. Auf einem Wegweiser zum Rhein steht »Buebebadi«. Während der nächsten 500 Meter denke ich über diese Einrichtung nach, überlege mir, was wohl passiert, wenn ein Mädchen in die Buebebadi käme, denn der Rhein sollte ja für alle da sein. Dann stoße ich auf den Wegweiser 'Maitlibadi', der allerdings mit der Warnung versehen ist 'Nur für Einheimische'. Im Thurgau, fällt mir ein, ist man katholisch."

Die meist eintägigen Wanderungen entlang des Rheins werden immer wieder unterbrochen. Das Leben spielt in Hohlers Pläne hinein. Nebenbei schildert er, was in diesen rheinlosen Wochen und Monaten ihm und der Welt zustößt – Lesereisen etwa, Alltagsverpflichtungen, lästige Krankheiten, eine Präsidentenwahl in den USA oder ein verheerender Krieg in Europa.

Immer aber kehrt Hohler, der Treue, zu seinem vertrauten Freund zurück. Bis er schließlich zum ersehnten Ziel seiner Wanderung "rheinaufwärts" gelangt, das ja genau besehen das Gegenteil ist: nämlich ein Anfang – die Rheinquelle am Tomasee.

"Von weither erreicht mich das Wort 'Andacht'. Ich gehe zum See hinunter, knie am Ufer nieder, streichle mit der Hand seine Oberfläche und wünsche dem Wasser eine gute Reise."