Ernest Hemingway: Wem die Stunde schlägt
Aus dem Englischen übersetzt von Werner Schmitz.
Rowohlt, 2022.
624 Seiten, 30 Euro.
"Wem die Stunde schlägt" ist Hemingways Buch gegen den Faschismus, gleichzeitig eine große Liebesgeschichte. Die Verfilmung aus dem Kriegsjahr 1943 mit Gary Cooper und Ingrid Bergman in den Hauptrollen ist bis heute ein Begriff. Hemingways Roman war 1940 in den USA sofort ein großer Erfolg. Sowohl beim Publikum, wie bei der Kritik. In Stockholm erschien erstmals 1941 im Exil-Verlag Bermann Fischer eine deutsche Übersetzung. Den Titel des Romans hat Hemingway einem Gedicht von John Donne entnommen – einem Zeitgenossen Shakespeares:
"Niemand ist eine Insel, ganz für sich selbst; jeder ist ein Stück des Kontinents, ein Teil des Festlands; ob die See ein Klümpchen Erde fortspülte oder eine ganze Landzunge, Europa wäre kleiner; nicht anders, als wär’s ein Landgut deiner Freunde oder deiner selbst; jedes Menschen Tod verringert mich, denn ich bin Teil der Menschheit, und darum wünscht nie zu wissen, wem die Stunde schlägt; sie schlägt für Euch."
Im Roman kämpft Robert, ein junger Amerikaner, auf Seiten der republikanischen Partisanen. Er ist Spezialist im Umgang mit Sprengstoff. Hemingways Hauptfigur ist eigentlich ein junger Spanischdozent aus dem Mittleren Westen der USA. Den Guerillas hat er sich aus politischer Überzeugung angeschlossen.
Er hat Befehl, in den Bergen vor Segovia eine Brücke zu sprengen. Mit einer Schar spanischer Kämpfer führt er die Sprengung aus. Gleichzeitig verliebt er sich in Maria, eine spanische Partisanin. Am Ende steht Robert Jordan vor der Wahl, den Rückzug seiner Kameraden zu decken und dabei sein Leben zu opfern oder mit Maria zu gehen.
"Robert lag flach auf dem braunen, mit Kiefernnadeln bedeckten Waldboden [...] und hoch über ihm wehte der Wind in den Wipfeln der Kiefern. Wo er lag, senkte der Hang sich sachte; doch unterhalb ging es steil hinab, und er sah das Dunkel der geteerten Straße sich durch den Paß winden. Neben der Straße war ein Bach, und weit hinten am Paß sah er eine Mühle am Bach und das vom Wehr stürzende Wasser weiß im Sonnenlicht. 'Ist das die Mühle?', fragte er. 'Ja.' 'Ich kann mich gar nicht dran erinnern.' 'Sie wurde gebaut, nachdem du zuletzt hier warst. Die alte Mühle ist weiter unten; weit hinter der Paßhöhe.' Er breitete die fotokopierte Militärkarte auf dem Waldboden aus und studierte sie gründlich. Der alte Mann schaute ihm über die Schulter. Der Alte war klein und kräftig und trug einen schwarzen Bauernkittel, eine graue, brettharte Hose und hanfbesohlte Schuhe. Er atmete schwer nach dem Aufstieg, und seine Hand ruhte auf einem der zwei schweren Rucksäcke, die sie getragen hatten. 'Dann kann man die Brücke von hier nicht sehen?' 'Nein', sagte der Alte."
Empfehlung? Unbedingt - schon wegen der unheimlichen Parallelelen. In unserer eigenen Gegenwart findet in der Ukraine ein Krieg statt, wie es ihn in dieser Ausdehnung und konventionellen Brutalität in Europa seit der Zeit des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gegeben hat: Luftangriffe gegen die ukrainische Zivilbevölkerung, Zerstörung ganzer Landstriche und Städte, Panzerschlachten, Fronten, Massengräber. Ernest Hemingways Klassiker schildert nicht nur ein Kapitel der Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs in Spanien. Er verweist auch auf die Anfänge politisch-militärischer Entwicklungen, mit denen wir heute – fast ein Jahrhundert später – in Europa auf neue Weise wieder konfrontiert sind. Nach mehr als achtzig Jahren war eine Neuübersetzung von „Wem die Stunde schlägt“ nötig. Die neue, jetzt bei Rowohlt erschienene Übersetzung stammt von Werner Schmitz, einem preisgekrönten und angesehenen Literaturübersetzer unserer Tage und macht die modernen Qualitäten des Originals und seinen Gegenwartsbezug auch und gerade sprachlich wieder erfahrbar.