Buchcover: "Trottel" von Jan Faktor

"Trottel" von Jan Faktor

Stand: 26.09.2022, 12:00 Uhr

Vom Segen und Fluch, ein Trottel zu sein – Jan Faktor schreibt einen autobiographischen Schelmenroman, der von Aufbruch, Umbruch und Abbruch in Prag und Ost-Berlin erzählt. Und mit überbordendem Sprachwitz ein sehr ernstes Thema umspielt. Eine Rezension von Wolfgang Schneider.

Jan Faktor: Trottel
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022.
400 Seiten, 24 Euro.

Die dunkle Seite des Versagens

Die Figur des Schelms ist eine etablierte Größe in der Literatur. Auf seine gewitzte, schlawinerhafte Weise ist er ein Souverän seines Lebens. Das aber ist Jan Faktor gerade nicht. Deshalb zieht er in seinem neuen autobiographischen Werk die Bezeichnung "Trottel" vor. Der Trottel hat zwar viel vom Schelm, aber es gibt da auch eine dunkle Seite des Versagens und Versäumens. Trotteltum als Schicksal und Fluch:

"Mein Sohn wurde genauso wie ich als Trottel geboren, er kämpfte dagegen ehrenhaft und lange genug an – und er hat sich schließlich aus Scham über sein in eine Sackgasse geratenes Trotteltum umgebracht."

Das wirksamste Medikament

Jan Faktors einziger Sohn hat vor zehn Jahren, gerade Anfang Dreißig, Selbstmord begangen. Dieses Unfassbare ist das zentrale dunkle Motiv des Romans. Ein Vater erzählt von der Katastrophe seines Lebens, die er über lange Zeit nur mit vielen nebenwirkungsreichen Medikamenten durchstehen konnte, bis das wirksamste Medikament ein wenig half: die vergehende Zeit.

Nun vergegenwärtigt er die Leidensgeschichte des psychisch kranken Sohnes, berichtet von seiner frühen Verdüsterung, seinen jugendlichen Depressionen und Manien und seinen eigenwilligen Versuchen, mit dem Chaos des Lebens zurande zu kommen, bis schließlich "alles um ihn zu bröckeln begann".

"Trottel" von Jan Faktor

Lesestoff – neue Bücher 26.09.2022 05:15 Min. Verfügbar bis 26.09.2023 WDR Online Von Wolfgang Schneider


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Historischen Miniaturen und Anekdoten

Von den Sohn-Kapiteln abgesehen, ist "Trottel" allerdings ein höchst übermütiges Werk. Das gilt vor allem für die vielen groteskkomischen historischen Miniaturen und Anekdoten aus dem Alltag der DDR. In den siebziger Jahren siedelte der in 1951 Prag geborene Jan Faktor seiner Frau zuliebe nach Ost-Berlin über.

In seinem Buch folgt er nicht den üblichen Schneisen der Erinnerung, vermittelt dafür umso intensiver lebensweltliche Details wie die "hochgradige Wohnraumbeschaffungsanarchie" in den verfallenen Altbaulandschaften des Prenzlauer Bergs.

Liebeserklärung und Abscheu

Mit der aus historischem Abstand noch zunehmenden Weichzeichnung der DDR will Jan Faktor nichts zu tun haben. Bei aller Skurrilität wird sie in seiner Darstellung als geduckte Angstgesellschaft erkennbar. Dennoch hat ihm etwas an der DDR gefallen: nicht der Aufbauwille, sondern gerade die Unzulänglichkeit und Kaputtheit – als Voraussetzung eines improvisierten, von zuviel Ehrgeiz verschonten Lebensstils. Die Ambivalenz ist Faktor wichtig:

"Dieser Roman ist eine Liebeserklärung an die alte verschlafene DDR – er ist aber gleichzeitig voller Abscheu. Das passt leider nicht wirklich zusammen."

So lautet eine der fünfzehn parodistischen Selbstrezensionen im Buchdeckel. Zutreffend wird sie mit einer kleinen Änderung: Nur so passt es zusammen.

Unerschöpflicher sprachlicher Erfindungsreichtum

Die Handlung des Romans (sofern davon überhaupt die Rede sein kann) bleibt ganz auf Faktors eigenes Leben und Erleben beschränkt. Unerschöpflich ist dagegen der sprachliche Erfindungsreichtum, die Lust an der Wortspielerei und an kalauernden Neologismen, etwa wenn die DDR nach ihrem beliebtesten Beutelstoff als "real existierende Dederonie" bezeichnet wird.

Faktor brennt eine verbale Pyrotechnik ab, als wollte er eine Entsprechung finden zum flammenden Budenzauber seiner Lieblingsband Rammstein, die er im Roman ausgiebig feiert. So liest sich "Trottel" als kreuz und quer räsonierendes Schwadronierkunstwerk, das mit lustiger Selbstreferentialität ständig mit sich selbst beschäftigt ist.

"In diesem meinen Text wird beispielsweise alles nur nach dem Reinheitsgebot und der aktuellen Rechtslage entsprechend gebraut – und sowieso gleich ins Reine getippt. Mit anderen Worten und noch einmal: Dieser Roman enthält kein einziges überflüssiges Wort. Ein, zwei, da und dort vielleicht..."

Eine experimentelle Autobiographie

Bevor man den Überdruss an der spaßigen Sprachspielerei bekommt, fügt der Autor wieder ein Kapitel über den kranken Sohn ein, in dem die übermütige Stimmung umschlägt. Ernst und Trauer tendieren zu schlichten Worten.

Zuviel "Roman" sollte man nicht erwarten, aber als experimentelle Autobiographie ist "Trottel" eine der schrägsten und kunstvollsten Lektüren dieses Herbstes. Und zu Recht für den Deutschen Buchpreis nominiert.