"Unsterblich sind nur die anderen" von Simone Buchholz

Stand: 04.10.2022, 12:00 Uhr

Ein märchenhafter Trip auf den Wellenkämmen des Nordatlantik –der neue Roman von Simone Buchholz "Unsterblich sind nur die anderen". Eine Rezension von Andrea Gerk.

Simone Buchholz: Unsterblich sind nur die anderen
Suhrkamp Nova, 2022.
265 Seiten, 18 Euro.

Trip in die Unendlichkeit

Die MS Rjúkandi verbindet Dänemark mit Island, ein scheinbar ganz normales Transportschiff, diese Nordatlantikfähre, auf der Malin und Iva einchecken. Die beiden Frauen sind auf der Suche nach ihren drei Freunden Tarik, Flavio und Mo, die vor Wochen dieselbe Fähre genommen haben und seitdem verschwunden sind.

Was als kurze Suchaktion geplant ist, entwickelt sich bald als eine Art Trip in die Unendlichkeit, denn an Bord scheint es irgendwie nicht mit rechten Dingen zuzugehen, wobei das auch an den speziellen Reise-Tabletten liegen könnte, die es nur an Bord der MS Rjukandi gibt:

"Sie waren müde vom Meer und vom Essen, vom Seegang da draußen, von den Wellen in ihren Köpfen, von den neuen Gesichtern und Stimmen, und Iva hatte Schlagseite im Gehrin, wegen der Tabletten, die inzwischen ihre volle Kraft und – sie musste es zugeben – auch eine gewisse Schönheit entfaltet hatten. Vielleicht war das der Grund, warum sie unbedingt nochmal in die Bar wollte, bevor sie zu Bett gingen: Sie fühlten nur, sie dachte kaum, und sie wollte einfach weiter fühlen und noch ein bisschen mehr."

Wesen aus anderen Zeiten und Welten

Während Malin dem Schiffsmusiker Ola näher kommt, zieht es Iva zum coolen Käpt’n Richard William Jones, ehemals aus Liverpool und schon auf der Titanic tätig. Wie bitte?

Tatsächlich tummeln sich in dieser Crew so einige Wesen aus anderen Zeiten und Welten, womit Simone Buchholz eigentlich logisch fortschreibt, was in ihrem letzten Kriminalroman schon begonnen hatte. Denn schon in "River Clyde" tauchten sprechende Tiere auf, es gesellten sich Tote an den Kamin und der Fluss flüsterte in einer eigenen Sprache. Die Gesetze der Wirklichkeit sind hier noch ein Stück weiter ausgehebelt:

"Es war wie in einem dieser Träume, in denen sie versuchte, vom Fleck zu kommen, ihre Füße aber am Boden festgeklebt waren. Was soll das, dachte sie, was soll der Scheiß, und sie legte all ihre Kraft in ihre Beine, erst in ihr rechtes Bein, dann in ihr linkes. Aber sie konnte sich nicht vorwärtsbewegen, es war unmöglich.
Sie machte ein paar Schritte rückwärts, das war kein Problem.
Rauf aufs Schiff ging. Runter vom Schiff ging nicht."

Abtauchen in eine Parallelwelt

So wild die 9 Meter hohen Wellen das Schiff über den Atlantik tragen, so wild wechselt auch Simone Buchholz die Perspektiven und Erzählstile und kreiert auf diese Weise einen Text, der sich – wie die Parallelwelt von der sie erzählt – keinem Genre wirklich zuordnen lässt und immer wieder filmartige Szenerien eröffnet:

"Nochmal der transatlantische Tresen, jetzt ist da aber kein Sonnenuntergang mehr; jetzt ist da ein Gewitter, direkt über den Köpfen derer, die am Tresen sitzen: sie.
Naja GUT
DAS geht natürlich zu WEIT
Da MUSSTE man was machen
Klar."

Eine Parabel über die Liebe und das Leben

Simone Buchholz hat mit "Unsterblich sind nur die anderen" ein wildes Lied über die Unsterblichkeit geschrieben, das so wandlungsfähig ist wie die Figuren, die darin auftreten. Mal wechselt der Text mitten im Satz in eine lyrische Form, es gibt Rückblenden, Zeitsprünge, traumartige Sequenzen, ein Theaterstück und unendlich viel Musik und – das zumindest ist noch eine Reminiszenz an ihr Krimi-Personal – unglaubliche Mengen an Alkohol.

Am Ende dieses überraschenden Buchs fühlt man sich fast so, als hätte man von jedem Drink mal genippt, so packt einen dieser Trip auf Hoher See, diese in ihrem ganz eigenen Sound erzählte Parabel über die Liebe und das – glücklicherweise endliche -  Leben.