Yevgeniy Breyger: Frieden ohne Krieg
Kookbooks, 2023.
80 Seiten, 24 Euro.
"charkiw soll evakuiert werden" lautet die erste Zeile von Yevgeniy Breygers Gedichtband "Frieden ohne Krieg". Sie führt ihre Leser auf eine falsche Fährte, denn die nächsten Wörter lauten: "weil die deutschen kommen". "charkiw soll evakuiert werden, weil die deutschen kommen": damit ist ein Bogen gespannt zur Vorgeschichte jenes Krieges, der Europa dieser Tage erschüttert. Der russischsprachige, ukrainische Jude Breyger mutet seinen Lesern zu, sich den Irrsinn der Geschichte in seiner ganzen Verschachtelung zu vergegenwärtigen:
"abends sitz ich im restaurant und sprech ein wenig russisch
da fällt mir ein, 2 sprachen sprech ich jetzt
deutsch, russisch, einmal die, die meine leute massengemordet
einmal die, die in deren fußstapfen treten wollen und meine andren leute umbringen"
Breygers Buch verschränkt die Ebenen, wenn es die Geschichte seiner jüdischen Familie während des Holocausts bis hin zur Flucht vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine beschreibt. Der Autor zieht zahlreiche sprachliche Register, um mit seinen Gedichten eingeschliffene Wahrnehmungen auszuhebeln. Sein Buch ist ein deutschsprachiger Text, durchsetzt von Wörtern in kyrillischer Schrift; ein Kriegsjournal, dargeboten in lockerem Tonfall; ein lyrisches Luftrauslassen:
"von Ribbentrop sitzt in der ersten reihe. meine lesung ist grad vorbei / er hat einen safarihut auf und gestopfte pfeife im mund / ich will mir den schuh nicht anziehen grah grah räusperräusper graaah / mit tränen in augen vor wut, schlechter text von breyger! schlechter text!"
Fassungslos steht das lyrische Ich vor einem Kulturbetrieb, in dem es um alles geht, nur nicht um die harte Wirklichkeit. Der Autor spricht über Deutschland wie Thomas Bernhard über Österreich. Immer wieder muss man beim Lesen dieses Buches auflachen, doch das Lachen bleibt einem im Halse stecken. Denn hier steht, von menschlicher Integrität abgesehen, alles auf dem Prüfstand, zum Beispiel die angebliche deutsche Willkommenskultur:
"wer lädt eigentlich geflüchtete zu sich ein, spielt die friedenstaube, großen macker friedensengel und sagt dann, ihr sollt sein, ich erlaube es, bitteschön. oh, du warst ärztin? mach erstma putzkraft. oh du has wasserturbinen entworfen? mach erstma klokasse bei mcdonalds."
Breygers Buch besteht aus drei Teilen: einem Langgedicht, sieben einzelnen sowie einem fulminanten, dreisprachigen Abschlusstext. Man kann gar nicht genug loben, in welch formidabler Ausstattung der Verlag dieses Buch gestaltet hat. Papier, Satzbild, Typografie: jedes Element verstärkt die Wirkung des Textes auf kluge und ansprechende Art. Eines Textes, der immer auch sich selbst im Blick behält:
"ich will also dieses buch schreiben und habs bis februar fertig / geb fast ab fürs lektorat / aber, erinnerung an leser*in: * Nach dieser Zeile bricht der Krieg aus"
Yevgeniy Breygers Buch zeigt, was Lyrik heute vermag, jenseits von Selbstbespiegelung und komplizierter Klage. Seine Stimme verbindet Ernst und Witz, literarische Bestände und Alltagssprache. Dieses Buch befreit den Kopf aus den Reflexen des politischen und kulturellen Betriebs. Es zeugt von einer Menschlichkeit, die sich nichts vormacht.
"liebes tagebuch, kriegsbuch, asbestbuch und schwefelbuch dampfschwadenbuch über panzerkarossen, das kind rollt in den haufen fallobst. die botschaft auf seinem rücken wird lesbar"
Dieser Gedichtband ist inhaltlich eine Zumutung, sprachlich ein Fest und buchgestalterisch ein Traum. Wenn sie nur ein einziges Buch lesen wollen in diesem Jahr, nehmen sie "Krieg ohne Frieden" von Yevgeniy Breyger.