Buchcover: "Blue Skies" von T. C. Boyle

"Blue Skies" von T. C. Boyle

Stand: 05.06.2023, 12:00 Uhr

Die Menschheit hat den Weltuntergang in Gang gesetzt und die Natur schlägt zurück. Ein ungleicher Wettkampf, der nur Verlierer kennt, trotz gutgemeinter Rettungsversuche wie in T. C. Boyles neuem Roman "Blue Skies". Eine Rezension von Jutta Duhm-Heitzmann.

T. C. Boyle: Blue Skies
Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren.
Hanser, 2023.
400 Seiten, 28 Euro.

"Blue Skies" von T. C. Boyle

Lesestoff – neue Bücher 05.06.2023 05:34 Min. Verfügbar bis 04.06.2024 WDR Online Von Jutta Duhm-Heitzmann


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Schlangen hat es im Paradies schon immer gegeben. Diesmal ist es eine Python, klein noch, mit schön gezeichneter schuppiger Haut.

"Ihre Augen waren kalte, harte Perlen, ihre Zunge schnellte vor und zurück. Vor allem war sie auf eine Weise präsent, wie die meisten anderen Dinge auf dieser Welt es mit Sicherheit nicht waren."

Cat ist wie hypnotisiert. Sie langweilt sich, vollversorgt durch ihren Partner, keine Kinder, keine Haustiere, und eine Schlange wäre doch ein toller Halsschmuck, oder? Die Folgen – fatal... Ja, wieder ein Sündenfall, diesmal nicht durch eine verbotene Frucht, sondern durch menschliche Hybris – sprich: Dummheit. Doch auch das Paradies, der göttlich blaue Himmel, ist nur illusionspralle Erinnerung. Stattdessen: willkommen in der irdischen Gegenwart.

"Die Luft war so dicht, dass man darauf hätte sitzen können. Alles roch nach Fäulnis. Der Boden unter ihren nackten Füßen fühlte sich irgendwie vegetativ an, als wäre dort über Nacht ein Miniaturwald gewachsen: Schimmel, der allgegenwärtige Schimmel (…). Der Himmel war dunkel und hing tief, am Strand zischte das Meer."

Willkommen damit auch in der Welt des T. C. Boyle. Der amerikanische Autor hat in seinen Romanen schon oft die unheilvollen Veränderungen unserer Zeit verhandelt: Die illegale Einwanderung verzweifelter Wirtschaftsflüchtlinge, der Streit zwischen Umweltschützern über die Rettung eines bedrohten Ökosystems. Und in „Blue Skies“ nun die Folgen der avisierten Klimakatastrophe, vorgeführt an den einstigen ‚Paradiesen‘ Florida und Kalifornien: Florida ertrinkt im Regen und in Kalifornien verbrennt eine erbarmungslose Sonne alles zu Staub.

Die Menschen, gestählt durch Jahrmillionen Evolution, passen sich an. Wie diese wohlsituierte kalifornische Mittelstandsfamilie: Die Eltern Frank und Ottilie, er Arzt, sie Hausfrau. Gutmütig offen für Weltrettungsversuche, stellt sie ihre Küche um auf Insekten als Eiweißlieferant, auf die Spur gesetzt von ihrem Sohn Cooper, Entomologe mit Spezialgebiet Zeckenforschung. Sorge macht zwar Tochter Cat in ihrem sinnfreien Leben auf dem besten Weg zur Alkoholikerin, doch alles in allem haben sie sich eingerichtet mit Klimawandel und Artensterben, irgendwie, bis:

"Die Straße pulsierte. Ein zähflüssiger brauner Matsch floss und kroch dahin, es sah aus wie eine Schlammlawine. (…) Der Wagen kroch im Schritttempo voran, und es fühlte sich an, als wäre sie auf einem Transportband aus lebendigem Fleisch – oder nein, aus Fisch."

Plötzlich verenden auf der ganzen Welt die Insekten. Ottilies Grillen liegen tot in ihrer Zuchtstation. Cooper wird von einer infizierten Zecke gebissen und verliert einen Arm. Cats Python tut, was Schlangen tun: sie frisst kleine Lebewesen, Details seien hier verschwiegen. Unheimliche Tiefseetiere dringen an die Oberfläche des steigenden Meeres, auf der andere Seite aber röchelt das Land vor Trockenheit.

Die Apokalypse, now? T.C. Boyle ist zwar illusionslos pessimistisch – doch ein zu guter Autor, um jetzt in langweilig-moralinsaurer Anklage zu versinken. Im Gegenteil: “Blue Skies“ ist gnadenlos bissig, sicher, doch auch ungeheuer komisch, und fast liebevoll beobachtet der Autor seine Protagonisten in ihrer hilflosen, immer scheiternden Gutwilligkeit. Zum Schluss kokettiert er sogar mit einer Art Optimismus: ein tollkühner Milliardär schießt Chemikalien in die Atmosphäre und die Temperaturen sinken.

"Dass die Partikel die Streuung der elektromagnetischen Strahlung beeinflussten, so dass der Himmel eher weiß als blau erschien, war eine Nebenwirkung, mit der man leben konnte. Oder?"

Ein neuer Sündenfall menschlicher Arroganz? Auf jeden Fall aber ein Roman, der den Weltuntergang fast zum Vergnügen macht – solange man eben nur über ihn liest.