
Ein soziales Jahr absolvieren
Wie wäre ein soziales Jahr für alle?
Stand: 12.03.2025, 16:32 Von Amezz Ali Glücksfunken
Von Amezz Ali
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KommentierenKönntest du dir vorstellen, im Alter von 18, 35 oder 65 ein soziales Jahr zu absolvieren? Denn unabhängig von unserem Alter könnte das für uns alle eine gute Idee sein. Für jeden Menschen gibt es unentdeckte Tätigkeitsfelder in unserer Gesellschaft, die uns bereichern und eine wertvolle Lebenserfahrung ermöglichen könnten.
Die Diskussion um ein soziales Pflichtjahr
Ein sozialer Pflichtdienst, bei dem alle Bürger:innen für eine bestimmte Zeit in sozialen Bereichen wie Pflege, Gesundheit oder Bildung arbeiten müssten, wird in der Politik immer wieder diskutiert. Vor allem in den letzten Jahren gab es von verschiedenen politischen Akteur:innen Vorschläge, eine soziale Pflichtzeit einzuführen. In anderen Ländern gibt es das schon.
Was machen unsere Nachbarstaaten?
Frankreich hat 2019 den "Service National Universel“ (SNU) eingeführt. Junge Menschen, zwischen 16 und 18 Jahren, können für einen Monat lang eine gemeinnützige Tätigkeit leisten oder eine militärische Einweisung bekommen. Das soll unter anderem den Patriotismus und das gesellschaftliche Verantwortungsgefühl stärken. Der Dienst sollte ab 2026 verpflichtend werden, das französische Parlament hat allerdings entschieden, das Geld dafür vorerst anders auszugeben.
In Österreich müssen männliche Staatsbürger grundsätzlich zum Militärdienst, aber es gibt die Möglichkeit, stattdessen den Zivildienst zu leisten. Dafür müssen sie bei der Musterung für tauglich erklärt werden und rechtzeitig eine Zivildiensterklärung abgeben. Den Zivildienst können alle wählen, die aus Gewissensgründen keine Waffengewalt gegen Menschen anwenden möchten.
Sehr ähnlich war es in Deutschland auch geregelt. Bei uns wurde die allgemeine Wehrpflicht und damit auch der Zivildienst im Juli 2011 ausgesetzt und stattdessen der Bundesfreiwilligendienst eingeführt.
Welche Argumente sprechen für einen sozialen Pflichtdienst?
Ein verpflichtendes soziales Jahr könnte das Gemeinschaftsgefühl stärken und Solidarität fördern. Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten, mit unterschiedlicher Herkunft, würden zusammenarbeiten und ein besseres Verständnis füreinander entwickeln können.
Besonders in Pflegeberufen, aber auch in anderen sozialen Bereichen, gibt es oft einen Mangel an Arbeitskräften. Ein soziales Pflichtjahr könnte hier Engpässe mindern und zur Entlastung der Berufstätigen beitragen. Außerdem kann er das Interesse für einen solchen Beruf wecken, so wie es damals beim Zivildienst war (Quelle: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, BMFSFJ).
Menschen in jedem Alter könnten von dieser Erfahrung profitieren, indem sie soziale Verantwortung übernehmen und wertvolle Erfahrungen für ihr Leben sammeln. Es könnte sich positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirken und zum Beispiel zu einem gesteigerten Selbstvertrauen oder besseren Kommunikationsfähigkeiten verhelfen. Auch das haben ehemalige Zivildienstleistende in Befragungen des BMFSFJ mehrheitlich angegeben.
Was spricht gegen ein soziales Jahr für alle?
Ein sozialer Pflichtdienst bedeutet, dass Menschen gezwungen werden, für einen bestimmten Zeitraum eine Tätigkeit auszuüben. Dadurch würden wir uns vielleicht in unserer individuellen Freiheit und Selbstbestimmung eingeschränkt fühlen. Und es könnte organisatorisch sehr schwierig sein, besonders für Menschen, die bereits einen Beruf ausüben und den pausieren müssten. Auch der bürokratische Aufwand wäre hoch, denn eine übergeordnete Stelle müsste kontrollieren und durchsetzen, dass das soziale Pflichtjahr auch von allen einmal im Leben gemacht wird.
Ein sozialer Pflichtdienst stellt auch die sozialen Einrichtungen vor Herausforderungen im Hinblick auf die Qualität der Arbeit. Denn die zum Dienst verpflichteten Personen hätten wahrscheinlich keine Vorerfahrung und müssten erst eingearbeitet werden. Außerdem könnte die Unfreiwilligkeit zu geringer Motivation und die zur Arbeitsverweigerung führen, auch das wurde früher beim Zivildienst in Deutschland beobachtet, so das BMFSFJ.
Ein Appell an die Freiwilligkeit
Jedes Jahr machen rund 53.000 junge Menschen ein Freiwilliges Soziales Jahr. Zusammen mit denen im Bundesfreiwilligendienst entscheidet sich damit etwa jede:r Zehnte:r eines Schulabschlussjahrgangs für einen Freiwilligendienst.
Interessant ist, dass etwa ein Drittel der Freiwilligen im FSJ junge Männer sind - das ist deutlich mehr als der Anteil von Männern in sozialen Berufen generell. Das zeigt, wie wichtig das FSJ ist, um gerade auch für junge Männer den Zugang zum sozialen Bereich zu öffnen.
Wie kommt die Idee einer sozialen Pflichtzeit in Deutschland an?
Das Liz Mohn Center der Bertelsmann Stiftung ist bereits 2022 der Frage nachgegangen, wie ein sozialer Pflichtdienst in Deutschland ankommen würde. Was überrascht: Zwei Drittel der Befragten würden die Einführung eines flexiblen, altersunabhängigen sozialen Pflichtdienstes befürworten. Aber es bleiben immer noch 36 Prozent, die sich ganz klar dagegen positionieren.
Was könnte ein soziales Jahr attraktiver machen?
Ein soziales Jahr könnte spannender werden, wenn die Bezahlung attraktiver wäre und es eine größere Auswahl an Unternehmen gäbe, bei denen der Dienst möglich wäre. So könnte für alle etwas dabei sein. Wenn Unternehmen außerdem aktiv in die Freiwilligen investieren und sie später vielleicht sogar übernehmen, würde das zusätzlich motivieren. Das wäre gleichzeitig auch eine Win-Situation für die Unternehmen, die nach Nachwuchs suchen.
Mehr Wertschätzung für das Engagement könnte außerdem den gesellschaftlichen Druck mindern, beruflich sofort durchstarten zu müssen. Jungen Leuten würde die Möglichkeit gegeben werden, erstmal in einem Bereich Erfahrungen zu sammeln, ohne gleich den Fokus auf ihre Karriere richten zu müssen. Aber auch Menschen, die schon im Berufsleben stehen, könnten etwas Neues ausprobieren. Das könnte sie dazu bewegen, noch mal einen Karrierewechsel zu wagen, falls sie z. B. mit ihrem derzeitigen Job unglücklich sind.
Ob bei einem sozialen Jahr eine Pflicht die richtige Herangehensweise ist, um Werte und das Gemeinschaftsgefühl zu stärken, wie in Frankreich geplant, bleibt offen. Trotzdem hätte er auch Vorteile für die Bürger:innen und sozialen Einrichtungen in Deutschland.
Wobei ein sozialer Pflichtdienst allein nicht die Lösung für den Personalmangel in sozialen Berufen sein kann. Und, um Menschen für den Dienst zu begeistern, müsste er attraktiv für alle sein. Damit ein soziales Pflichtjahr – sollte es in Deutschland eingeführt werden – sich eben nicht nur wie eine Pflicht, sondern eher wie eine Bereicherung anfühlen würde.
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Zu Beginn des Ruhestands: Soziales Pflichtjahr für Baby-Boomer? (br.de)
Zivildienst als Sozialisationsinstanz für junge Männer (bmfsfj.de)
Dienstpflicht statt Wehrdienst (librabry.fes.de)
Die Freiwilligen im FSJ (bak-fsj.de)
Datensatz - Freiwilliges Soziales Jahr (bmfsfj.de)
Der SNU (snu.gouv.fr)
Mehrheit in Deutschland befürwortet soziale Pflichtzeit unabhängig vom Alter (bertelsmann-stiftung.de)
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