Yoko Schlütermann

Hilfsprojekt für Kinder in Japan

Spielen ohne Mundschutz

Stand: 12.03.2012, 08:23 Uhr

Spielen im Freien ist für Kinder in der Region Fukushima Luxus. Zu Hause dürfen sie nur kurz oder mit Mundschutz an die frische Luft. Ein Dortmunder Hilfsprojekt sammelt Geld und schickt nun ein zweites Mal hundert japanische Kinder in den Urlaub.

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Yoko Schlütermann lebt seit 30 Jahren mit ihrem deutschen Mann Horst in Dortmund. Sie stammt aus Kawasaki, 30 Kilometer südlich von Tokio. Die Vorsitzende der Deutsch-Japanischen Gesellschaft in Dortmund begann bereits zwei Tage nach der Katastrophe in Japan Spenden für die japanischen Kinder aus der Region Fukushima zu sammeln, unterstützt von der Auslandsgesellschaft NRW. Auch am 11. März steht sie mit der Spendendose im Foyer des Orchesterzentrums in Dortmund. Dort findet ein Gedenk-Trommel-Konzert statt.

WDR.de: Sie haben sich schon wenige Tage nach dem GAU dazu entschlossen, ein eigenes Hilfsprojekt auf die Beine zu stellen. Warum haben sie nicht einfach die Aktionen der großen Hilfsorganisationen unterstützt?

Yoko Schlütermann: Als ich die Bilder von der Katastrophe gesehen habe, war mir gleich klar, dass die Kinder schnell aus den verstrahlten Gebieten heraus müssen. Ich habe immer noch gute Kontakte in Japan, die ich nutzen kann. Dann telefonierte ich mit Klaus Wegener, dem Präsidenten der Auslandsgesellschaft NRW, und wir waren einer Meinung: Ein eigenes Hilfsprojekt sollte es sein, eins, das man nachverfolgen und selbst managen kann. Und wir wollten langfristig helfen, damit die Kinder aus Fukushima, ähnlich wie die aus Tschernobyl, über Jahre regelmäßig Urlaub von der Strahlung machen können.

WDR.de: Innerhalb eines Jahres kamen bereits 170.000 Euro zusammen. Eine stattliche Summe. Wer sind die Spender und was geschieht mit all dem Geld?

Spendenbox

Reichlich Spenden für japanische Kinder

Schlütermann: Es waren viele kleine Spenden von Kindern dabei. Einige Schulkinder haben zum Beispiel einen Sponsorenlauf organisiert und für jede Runde, die sie um den Block gelaufen sind, Geld erhalten. Andere, kleinere Kinder haben Bilder gemalt oder gebastelt und diese Handarbeiten dann verkauft. Außerdem sind zahlreiche Künstler und Musiker umsonst aufgetreten und haben entweder ihre Gagen oder das gesammelte Geld gespendet. Hinzu kommen Spenden von Firmen und Privatpersonen. Außerdem bekommen wir jetzt auch immer mehr Unterstützung aus Japan selbst: Die Präfektur Okinawa wird die Flugkosten der nächsten Kindergruppe übernehmen.

70.000 Euro sind bereits ausgegeben. Von diesem Geld haben wir die Flüge von 111 Kindern und 20 Helfern bezahlt. Normalerweise kostet ein Flug von Sendai nach Naha - das ist die Hauptstadt der Präfektur Okinawa - hin und zurück 800 Euro. Wir haben den Preis heruntergehandelt, die Helfer haben ehrenamtlich gearbeitet, die Räumlichkeiten der Jugendherberge werden kostenlos gestellt, aber wir mussten ja noch Lebensmittel und Medikamente für den vierwöchigen Aufenthalt der Gruppe in Okinawa finanzieren.

WDR.de: Wer wählt die Kinder aus und nach welchen Kriterien geschieht das? Wo leben die Kinder, die aus dem Sperrgebiet evakuiert worden sind, jetzt?

Kinder aus der Region Fukushima, die im Sommer 2011 ihre Ferien in Okinawa verbracht haben

Kinder aus der Region Fukushima

Schlütermann: Der Jugendherbergsmanager aus Okinawa ist in die Präfektur Fukushima gereist und hat Kinder zwischen sechs und 15 Jahren ausgewählt, deren Eltern durch die Katastrophe alles verloren haben und jetzt auf Sozialhilfe angewiesen sind. Viele Leute haben ja durch den Tsunami und das Erdbeben auch ihre Arbeit verloren, weil die Firmen gar nicht mehr existieren, für die sie gearbeitet haben. Außerdem wurden Kinder eingeladen, die in Notunterkünften irgendwo im Raum Fukushima leben, oft nicht weit entfernt vom Sperrgebiet, das gerade einmal einen Radius von 20 Kilometern umfasst. Deren Eltern können aus den unterschiedlichsten Gründen nicht wegziehen aus der Region. Waisenkinder sind nicht dabei. Für sie gibt es spezielle Hilfsangebote.

WDR.de: Was wird den Kindern in Okinawa geboten?

Schlütermann: Vor allen Dingen können sie unbeschwert und ohne Mundschutz im Freien spielen und sich austoben. Bei ihnen zu Hause geht das nicht oder immer nur für kurze Zeit. In Okinawa gibt es frische Luft und gesundes Essen, das ist das Wichtigste. Darüber hinaus haben wir professionelle ehrenamtliche Helfer, zum Beispiel einen Kinderpsychologie-Professor mit einigen seiner Studenten. Und den Jugendherbergsmanager kenne ich gut. Er hat 20 Jahre Erfahrung im Umgang mit Problem beladenen Kindern.

WDR.de: Sie haben gute Kontakte in Japan. Wie gehen ihre Landsleute ein Jahr nach der Katastrophe mit der Strahlung um?

Schlütermann: Die Leute aus der Region Fukushima sind verzweifelt und verunsichert. Sie wissen nicht, was und wem sie glauben sollen. Sie fragen sich, wie gefährlich es wirklich ist, im Umfeld von Fukushima zu leben. Wer kann, zieht weit weg und niemand will Produkte aus der Region kaufen. Der unerschütterliche Glaube an die Atomenergie bröckelt. Meine Landsleute sehen, dass 52 von 54 Kraftwerken abgeschaltet sind, aber an Strom mangelt es nicht. Noch sind es kleinere Organisationen, häufig Mütter, die die Energiewende fordern, aber Tepko und die Regierung behaupten bisher, dass Japan auf die Atomkraft nicht verzichten könne.  

WDR.de: Kritiker sagen, Japan sei ein reiches Industrieland. Was tun die Japaner für ihre Landsleute im Katastrophengebiet?

Schlütermann: Auch in Japan gibt es natürlich Hilfsprojekte, aber eins ist fatal: Niemand will Produkte aus der Region Fukushima kaufen. Das betrifft nicht nur Lebensmittel, sondern alles, was dort gefertigt wird. Wenn das so bleibt, kann es keinen Wiederaufbau geben. Außerdem ist Japan gar nicht so reich, sondern hat eine höhere Staatsverschuldung als Griechenland und müsste eigentlich längst pleite sein. Der Lebensstandard in den Städten ist hoch, aber auf dem Land sind viele Menschen arm. Das gilt auch für die Region Fukushima, wo insbesondere Fischer und Bauern alles verloren haben.

Das Interview führte Ilka Platzek

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