WM-Gastgeber 2022

Massive Proteste und Demonstrationen in Katar

Stand: 14.08.2019, 12:15 Uhr

Hunderte Gastarbeiter haben im WM-Ausrichterland Katar öffentlich gegen ausbleibende Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen demonstriert. Die Arbeits- und Lebensbedingungen im Emirat bleiben in vielen Fällen problematisch.

Von Benjamin Best

Es sind beispiellose Fotos und Videos, die vergangene Woche über die sozialen Medien verbreitet wurden. Zu sehen sind hunderte Gastarbeiter in Katar, die in wilden Streiks öffentlich gegen ausbleibende Löhne und schlechte Unterbringungen demonstrieren. Das habe es in dieser Form in Katar noch nie gegeben, sagen Menschenrechtsexperten von Human Rights Watch und Amnesty International.

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Die Demonstranten gehen ein hohes Risiko, denn spontane Proteste sind nach katarischem Recht verboten. Somit laufen sie Gefahr, verhaftet und in ihre Heimatländer abgeschoben zu werden. "Dieses Risiko einzugehen zeigt, wie verzweifelt die Situation vor Ort für Millionen von Gastarbeiter ist, die dort die notwendige Infrastruktur aufbauen, um eine erfolgreiche Fußball-WM auszurichten"‚ erklärt Hiba Zayadin von Human Rights Watch gegenüber sportschau.de

Monatelang kein Gehalt

Sportschau.de gelingt es, mit zwei Bauarbeitern aus Bangladesch, Shehab und Hasan (Namen der Redaktion geändert), die an den Demonstrationen teilgenommen haben, zu sprechen. Ihr Monatslohn beläuft sich auf umgerechnet 280,- Euro. „Seit fünf Monaten haben wir kein Gehalt bekommen. Unsere Situation hat sich von Monat zu Monat verschlimmert. Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen aufzuhören zu arbeiten und zu streiken,“ erzählen sie uns.

Die beiden Arbeiter sind seit vier Jahren in Katar und angestellt bei der Firma ISKAN Group for Trading and Contracting. Das Unternehmen vermittelt Arbeiter. Unter der im Internet angegebenen Telefonnummer erreichen wir trotz mehrmaliger Versuche keinen Vertreter des Unternehmens. In einer Facebook-Gruppe finden wir Hinweise, dass die Firma seit vergangenem März in finanziellen Schwierigkeiten stecken soll. Auch dazu hätten wir gerne mit einem offiziellen Vertreter von ISKAN gesprochen.

Offizielle Stellen schweigen auf Anfrage zu den Protesten

Seit Oktober 2017 hat Katar sich zur Angleichung seiner Gesetze an internationale Standards verpflichtet. Die Internationalen Arbeitsorganisation ILO hatte daraufhin eine Untersuchung gegen das Emirat beendet und die Maßnahmen als "sehr ermutigende Entwicklung" gelobt.

Angesprochen auf die neuerlichen Proteste, erklärt die ILO gegenüber sportschau.de lediglich, dass man die Vorfälle "nicht kommentieren könne", da man nicht genügend Informationen hätte. Die katarische Regierung antwortet auf unsere Anfrage nicht. Auf Twitter schreibt der Direktor des Pressebüros der katarischen Regierung heute, dass die Vorwürfe der Arbeiter untersucht würden.

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Proteste teilweise erfolgreich: Gehälter wurden nachbezahlt

Ende letzter Woche berichten uns Shehab und Hasan, die beiden Arbeiter aus Bangladesch, dass die katarische Regierung ihnen die Gehälter der letzten fünf Monate nachgezahlt hat. Dennoch bliebe ihre Situation in Katar für sie und tausende weiterer Arbeiter angespannt.

Wie es weitergehe wüssten sie nicht, da ihr Arbeitgeber ISKAN den Betrieb nun eingestellt habe und sie somit arbeitslos seien. "Wir rechnen damit, dass wir abgeschoben werden und wieder nach Bangladesch zurückgeschickt werden", sagen sie uns.  

Proteste auch im Zusammenhang mit dem Flughafen

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtete vergangene Woche über weitere Proteste in Katar. Demonstriert haben danach schätzungsweise an die 1000 Gastarbeiter, beschäftigt bei einem Subunternehmen, das u.a. für Reinigungsarbeiten am Flughafen Hamad International Airport zuständig ist. Der Flughafenbetreiber, die Qatar Airways Group, ist  Partner und Sponsor des FC Bayern München.

Gegenüber Human Rights Watch sprachen die Arbeiter des Subunternehmens davon, unter Druck gesetzt worden zu sein. Sie sollten neue Verträge zu schlechteren Konditionen unterschreiben. Willigten sie nicht ein, so sei ihnen angedroht worden, nach Hause  geschickt zu werden.

Auch sportschau.de gelingt es mit Arbeitern zu sprechen. Sie zeigen uns Handy-Aufnahmen der Proteste, bei denen es zu Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Firmenvertretern kommt. Aus Angst vor ihrem Arbeitgeber möchten die Arbeiter anonym bleiben. "Wir sind jetzt schon zweimal gezwungen worden neue Verträge zu unterschreiben. Jedes Mal wurde dabei unser Gehalt gekürzt", erzählt uns ein Arbeiter. Zudem seien die Zustände in den Unterkünften nicht tragbar, die Arbeiter würden schlecht verpflegt.  

Ausbeutung vor der WM 2022 - Gefangen in Katar

sport inside 05.06.2019 16:31 Min. Verfügbar bis 05.06.2120 WDR Von Benjamin Best

Weder das Subunternehmen noch die Betreiberfirma vom Flughafen Hamad International Airport äußert sich auf Anfrage gegenüber sportschau.de. WDR Sport inside hatte im Juni 2019 verdeckt in Katar gedreht und recherchiert und über Ausbeutung von Gastarbeitern berichtet. Die FIFA musste daraufhin erstmals öffentlich einräumen, dass es auch auf der WM Baustellen zu Verstößen gegen das Arbeitsrecht gekommen ist.

Auf Anfrage erklärt das WM Organisationskomitee gegenüber sportschau.de, dass "keine Arbeiter, die derzeit an Projekten der FIFA WM 2022 beteiligt sind, an den öffentlichen Demonstrationen teilgenommen haben". Das Organisationskomitee sieht sich generell nur zuständig für den Stadionbau. Alle anderen Infrastrukturmaßnahmen lägen außerhalb des Verantwortungsbereichs des Komitees.

Noch drei Jahre bis zur WM 2022

Menschenrechtsaktivisten kritisieren diese Art der Unterscheidung. "WM Baustellen haben höhere Arbeitsstandards aber die WM-Bauarbeiter machen nur zwei Prozent der Gastarbeiter in Katar aus. Diese Standards gelten jedoch nicht für die große Mehrheit der Arbeiter im Land. Sie bauen zum Beispiel Straßen, U-Bahnen oder Hotels, die von Millionen von Fans genutzt werden. Alles wichtige Projekte, die eine internationale Großveranstaltung mittragen", erklärt Hiba Zayadin von Human Rights Watch.

Noch drei Jahre bis zur WM 2022 – im Land mit dem höchsten Pro-Kopf Einkommen der Welt, trauen sich Gastarbeiter erstmals öffentlich gegen ihre Ausbeutung zu demonstrieren.