Interview mit Sportphilosoph Gunter Gebauer

"Eine ganz eigenartige Welt im DFB"

Stand: 12.04.2019, 11:43 Uhr

Im Zusammenhang mit dem Rücktritt von Reinhard Grindel als DFB-Präsident hat der Sportphilosoph Gunter Gebauer den Umgang mit moralischen Werten beim Deutschen Fußball-Bund kritisiert. Dem Nachfolger Grindels empfiehlt Gebauer, sich das Umfeld des Verbandes genau anzuschauen.

Sport inside: Herr Gebauer, Reinhard Grindel hatte Begriffe wie Transparenz, Fairplay und Compliance zu Merkmalen seiner DFB-Präsidentschaft ausgerufen. Ist er an sich selbst gescheitert, oder was sagt das aus über die Funktionärswelt, in er sich befunden hat?

Gunter Gebauer: Das ist eine ganz eigenartige Welt im DFB, die man sich genauer angucken muss. Es ist ein Milieu, das fieberhaft Geld generiert. Da den Kopf oben zu behalten, dafür muss man ein sehr gefestigter Charakter sein. Und wenn man sieht, dass jemand eine Uhr von einem sehr zwielichtigen Menschen aus der Ukraine geschenkt kriegt und sich darauf etwas einbildet, dann ist das ist doch sehr armselig. Also, ich würde eigentlich denken, dass die deutsche Vereinsstruktur gerade bei den ganz großen Verbänden Personen hervorbringt, die damit umgehen können. Das sind ja normalerweise diejenigen, die gewohnt sind, auch Versuchungen zu widerstehen, die ganz klare Moralvorstellungen haben. Und man sieht, das ist gar nicht der Fall.

Sport inside: Reinhard Grindel sagt, er habe sich nichts dabei gedacht, eine solche Uhr anzunehmen. Führt das dazu, dass man nicht mehr irritierbar ist?

Gebauer: Das ist ein Abhärtungsfaktor, würde ich sagen. Man lebt in einer Welt, in der unendlich viel Geld vorhanden ist. Einiges davon kommt in die eigene Tasche, irgendetwas wird demnächst noch kommen. Die Sitzungsgelder sind immens hoch, und es gibt vielleicht noch neue Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Dann bedeutet das ja, dass jemand seine normalen Maßstäbe verloren hat. Das ist so etwas wie eine Hornhaut, die sich da bildet, und dann ist man eigentlich nicht mehr durchdringbar durch normale moralische Skrupel wie die Frage, hab ich das verdient, kann ich das überhaupt verantworten, das ich so viel Geld einstreiche? Ich bin Präsident eines Sportverbandes, in dem die meisten Mitglieder Amateure sind und Jugendleiter und Begleiter und Trainer und so weiter mit kleinen Gehältern. Kann ich hier jetzt teilhaben am großen Tisch der Superreichen oder spreche ich nicht für die meisten Leute, die meine Verbandsmitglieder sind. Da ist offenbar die Entscheidung sehr früh gefallen.

Sport inside: Warum schafft der Sport es nicht, sich selbst zu reformieren, sich selbst zu reinigen. Ist das auch ein Kulturproblem?

Gebauer: Man kann sich ja die Frage stellen, wer wird von solchen Ehrenämtern angezogen. Das ist ein bisschen wie in der Politik. Wer tut sich diese Ochsentour über Jahrzehnte an. Im Verband ist es so ähnlich. Um Vorsitzender von einem großen Sportverband zu werden, muss man lange dabei sein, man muss Stallgeruch haben. Man muss möglichst selber Leistungssportler gewesen sein, zumindest muss man sehr viel davon verstehen. Man muss die Nähe zu den Aktiven haben. Ich denke, von solchen Positionen werden Leute angezogen, die Geltungsbedürfnis haben. Das ist nichts Schlimmes. Das ist sogar etwas, was sich möglicherweise extrem positiv auswirken kann. Es gehört aber vielleicht auch taktische Verschlagenheit, Gerissenheit dazu, die Möglichkeit, Allianzen zu schmieden, und dann sind wir sofort wieder im Hinterzimmer. Ich glaube, ohne das kommt man auch hier nicht aus. Und dann ist der Schritt sehr klein bis hin zu einer Kungelei und Vetternwirtschaft, die dazu neigt, auch Korruption hervorzubringen.

Sport inside: Wie bewerten Sie das Verhalten des Umfelds von Reinhard Grindel beim DFB in den letzten Wochen, das quasi Sachen gezielt an die Presse durchgestochen hat?

Gebauer: Ich fand das merkwürdig, als die Sache mit der Uhr aufkam. Ich habe sofort gesagt, die wissen Bescheid in seiner Umgebung. Er soll ja die Uhr vorgezeigt und damit geprotzt haben. Also wussten doch eine ganze Menge Leute Bescheid. Die erste Frage ist, warum haben sie nicht vorher irgendwann einmal Zeichen gegeben. Da ist ein Milieu um ihn herum, das sehr gut Bescheid weiß, das ihn offenbar auflaufen lässt und auf den Moment wartet, indem er angeschlagen ist und dann gezielt alle möglichen Indiskretionen über alle möglichen Medien herauslockt, bis er schließlich erledigt ist. Das ist, weiß Gott, keine moralische Glanzleistung.

Sport inside: Wie glaubwürdig ist denn der Teil des Verbandes, der sich nun an der Reinigung und an der Neuaufstellung beteiligt sein will?

Gebauer: Ich würde demjenigen, der jetzt Präsident oder Präsidentin werden würde, raten sich das Umfeld mal genauer anzugucken. Denn das scheint nicht sehr loyal zu sein. Nur wissen wir nicht, was das Umfeld gegen Grindel hat. Es kann ja sein, dass er etwas unangenehm war und das es auch gewisse Racheakte gibt. Aber so etwas kann sich wiederholen. Insofern denke ich, diejenigen, die jetzt dafür sorgen sollen, dass eine vernünftige handlungsfähige Spitze gewählt wird, dass sie sich auch das Umfeld genau anschauen.

Sport inside: Warum ist es so schwer, innerhalb von Sportverbänden, eine Debattenkultur zu pflegen?

Gebauer: Ich glaube, das liegt daran, dass die meisten Sportverbände, dazu gehört natürlich der DFB, ein gewisses Traditionsbewusstsein haben. Das heißt, wir sind gute Freunde. Wir kennen uns von der Tribüne. Wenn Deutschland gewinnt, liegen wir uns in den Armen. Wir trinken Bier zusammen, wir kennen uns aus der Jugendmannschaft. Ich würde jetzt nie von Seilschaften reden und von alten Beziehungen, wo man freundlich zueinander ist. Man hat viele Freunde im Sport, aber überall, wo man viele Freunde hat, in dem Moment, wo es wirklich mal ganz ernst wird auch ganz viele Feinde und diese Feinde werden sich nicht von vornherein outen, sondern sie werden warten darauf, dass sie den Freund dann erledigen.

Das Gespräch führte Robert Kempe.