Interview mit dem russischen Oppositionellen Ilja Jaschin

"Den Preis für die WM zahlt das russische Volk"

Stand: 23.11.2017, 19:03 Uhr

Schon jetzt gilt die WM 2018 in Russland als die teuerste WM aller Zeiten. Im Interview mit Sport inside spricht der russische Oppositionspolitiker Ilya Yaschin über Korruption beim Bau der Stadien und darüber, welche Rolle das Turnier für die Politik von Wladimir Putin spielt.

Sport inside: Wie wichtig ist die Fußballweltmeisterschaft für Präsident Wladimir Putin?

Ilja Jaschin: Da Putin keine bestimmte Ideologie verfolgt, versucht er immer einen Ersatz zu finden um diese ideologische Leere zu füllen. Mal ist es eine abstrakte Idee des Patriotismus, mal ist es die abstrakte Idee der Wiederherstellung des Imperiums. Sehr oft ist es aber auch der Sport. Deswegen haben eine Weltmeisterschaft oder die Olympischen Spiele in Sotschi für Putin den Status eines staatlichen Projekts. Dafür werden enorme Summen ausgegeben. Und es gibt keinen Zweifel, dass Putin bestimmte Schlüsselentscheidungen selber trifft. Für Putin ist das nicht einfach nur Sport. Für Putin ist das ein Teil des geopolitischen Kampfes. Es ist die Möglichkeit, der ganzen Welt zu zeigen wie mächtig der Staat ist, an dessen Spitze er steht. Es ist sehr wichtig für ihn, dass Russland Erfolge feiern kann. Ob es auf internationaler Ebene ist, oder beim Sport. In letzter Zeit ist der Sport in Russland nicht einfach nur Sport. Man betrachtet Siege beim Sport wie Siege auf einem Schlachtfeld. Und Niederlagen sind nationale Tragödien.

Sport inside: Was sind Ihre Hauptkritikpunkte an der Organisation der WM?

Jaschin: Die erste Punkt, und das ist auch der Hauptkritikpunkt: Unsummen an Geldern werden höchst ineffektiv ausgegeben, und das auch noch während einer Krise. Die Rede ist da nicht nur von Korruption - das ist sowieso klar. Die Rede ist davon, dass die Gelder, die in den Bau von Sportanlagen gesteckt werden, höchst ineffektiv genutzt werden. Es werden riesige Stadien gebaut, die nach der Weltmeisterschaft nicht mehr genutzt werden. Riesige Stadien, die in Regionen gebaut werden, in denen der Fußball keine große Rolle spielt. Hinzu kommt eben diese maßlose Korruption, die unser Land beschämt.

Zur Person: Ilja Jaschin

Der 34 Jahre alte Jaschin ist einer der wenigen Oppositionspolitiker in Russland. Er arbeitete bereits mit dem im Februar 2015 in Moskau ermordeten Oppositionellen Boris Nemzow an der Aufarbeitung der Korruption bei den olympischen Winterspielen in Sotschi. Jaschin organisiert seit Jahren Proteste gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und ist Mitbegründer der Solidarnost-Bewegung, die sich für demokratische Veränderungen im Land einsetzt.

Sport inside: Man spricht von Kosten in Höhe von umgerechnet rund 10,5 Milliarden Euro für die WM. Das wird wohl die teuerste Weltmeisterschaft, die es jemals gab.

Jaschin: In dem Moment, als klar wurde, dass die Weltmeisterschaft in Russland stattfinden wird, war genauso klar, dass das die teuerste Weltmeisterschaft in der Geschichte sein wird. Und das noch vor der Vergabe der Projekte. Weil Putin und sein Umfeld anders gar nicht können. Wenn es ein großes staatliches Projekt gibt, dann ist das automatisch ein Futtertrog für Diebe, korrupte Beamte, dem Kreml nahestehende Oligarchen. Es ist ein Trog, aus dem sich all diese korrupten Schweine ernähren, sie schlürfen diesen Mansch, fressen bis zum Umkippen. Dieses Bild vom riesigen Trog, an dem sich die korrupten Schweine mästen, ist ein ziemlich genaues Bild davon, wie das System der Macht in Russland funktioniert.

Sport inside: Geht das anders nicht?

Jaschin: Natürlich geht das nicht anders. So funktioniert das russische System der Macht und der Wirtschaft. Die wichtigsten und lukrativsten Bereiche der Wirtschaft sind aufgeteilt unter Putins Gefolgschaft. Putin sucht sich seinen sozialen Kreis, die Leute die ihn umgeben, nicht nach einem professionellen Prinzip aus, sondern nach dem Prinzip der Loyalität. Man kann in Russland nicht viel Geld verdienen, wenn man Putin nicht seine Treue zeigt. Das ist die wichtigste Aufgabe: Putin seine persönliche Ergebenheit zu zeigen. Und manchmal heißt das, man muss ihm einen Gefallen tun. Man wird gebeten, ein bestimmtes wichtiges Projekt für den Kreml zu finanzieren, dann muss man das machen. Wenn man das nicht macht, könnte dies das Vertrauen des Präsidenten schwächen und es wird nicht mehr möglich sein, weiterhin auf dieselbe Art und Weise Geld zu verdienen.

Sport inside: Bis auf das Stadion “Spartak” wurde bei keinem Stadion der vorgeschriebene Etat eingehalten.

Jaschin: Natürlich nicht. Das hat mit dem überaus ineffektiven System der Oligarchie zu tun. Wenn ihre Wirtschaft auf einem Monopol aufgebaut ist und von Oligarchen bestimmt wird, dann muss man sich nicht wundern, dass Fristen nicht eingehalten werden, und dass man schlechte Stadien für Unsummen von Geld bekommt. Die Oligarchen können nämlich nichts, außer Geld stehlen und sich in dunklen Kämmerchen genau darüber zu unterhalten. Wenn es jedoch um die Wettbewerbsfähigkeit geht, dann zeigen die Oligarchen jedes Mal, dass sie ineffektiv sind.

Sport inside: Das Stadion in Sankt-Petersburg etwa kostet das zehnfache der geplanten Summe. Wie geht das Volk damit um?

Jaschin: Das ist schon lange zu einem Thema der Folklore geworden. Das Stadion in Sankt Petersburg, welches Unsummen an staatlichen Geldern auffrisst und dessen Eröffnung immer weiter nach hinten geschoben wird, ist jetzt schon eins der teuersten Stadien der Welt. Und trotzdem gibt es immer noch Malheurs. Mal ist das Dach undicht, mal haben Vögel irgendwas kaputt gepickt. Der Vize-Gouverneur beschwert sich, dass es nicht vorangeht. Dann haben sich die Fußballspieler beschwert, dass der Rasen in furchtbarer Verfassung ist. Man könne sich beim Spielen die Beine brechen. Die Leute sind darüber nicht einmal mehr verärgert, sondern sehen es ironisch. Es gibt unzählige Witze darüber.

Sport inside: Der ehemalige Bürgermeister hat zugegeben, dass er 50 Millionen Rubel gestohlen hat.

Jaschin: Sie sagen das, als könne man in Russland noch jemanden mit Korruption erstaunen. Da hat halt jemand hier und da ein paar Milliarden gestohlen. Das wundert niemanden mehr. Die Korruption in Russland hat schon lange aufgehört ein Problem sein - sie ist zu einem System geworden. Die Korruption ist die Lösung aller Probleme geworden. Nicht nur im Alltag, sondern auch in den höchsten Ebenen der Politik. Leider fassen die Leute schon seit längerer Zeit die Korruption als etwas Alltägliches auf. Manchmal wird sich da schon noch drüber aufgeregt, aber man kann nicht sagen, dass das zu einer politischen Krise geführt hätte.

Sport inside: In Sankt Petersburg wurden die Sozialausgaben und Bildungsausgaben gekürzt, damit das Stadion zu Ende gebaut werden kann.

Jaschin: Das passt sehr gut in die Schiene, die Putin fährt. Unser Land wird in den letzten Jahren in Anbetracht der Krise immer ärmer. Über 20 Millionen Menschen leben bei uns unter der Armutsgrenze. Und da Putin den Menschen kein Brot bieten kann, bietet er ihnen stattdessen Spiele. Sie werden zwar kein Geld haben, um Wohnungsgelder und Kommunaldienstleistungen zu bezahlen, um ihr Kind anständig für die Schule zu kleiden. Sie werden sich nicht normal ernähren können, aber dafür werden sie zusammen mit der Familie vor dem Fernseher sitzen und sich die Nationalhymne anhören und sich anschauen können, wie unsere Nationalmannschaft Fußball spielt. Das ist Putins Plan, wie man sein Volk loyal hält. Aber es gibt ein Problem: Die Prognose für die Sbornaja für die Weltmeisterschaft ist nicht besonders optimistisch. In unseren besten Jahren konnten wir ja schon keine WM gewinnen und jetzt sieht die Situation nicht besser aus. Man hat sehr hohe Erwartungen, es wurde sehr viel Geld investiert. Aber ich denke, uns erwartet eine große Enttäuschung. Ich befürchte jedoch, dass ein schlechtes Resultat der russischen Nationalmannschaft eine Aggression in der geopolitischen Landschaft provozieren könnte.

Sport inside: Wie wichtig ist die WM im Hinblick auf die Wahlen im März?

Jaschin: Das spielt schon eine Rolle. Russland befindet sich in einer sehr schwierigen wirtschaftlichen Lage. Unsere Wirtschaft ist sowieso schon nicht besonders stark und entspricht nicht dem 21. Jahrhundert. Es gibt einen Haufen Probleme. Gleichzeitig muss man aber als mächtiges Imperium auftreten. Hier hilft Putin manchmal der Sport. Warum nur manchmal? Weil es uns in den letzten Jahren auch nicht gelungen ist, sportliche Erfolge zu feiern, vor allem im Fußball. Es wird aber trotzdem eine Menge Geld, eine Menge Ressourcen und Kraft da reingesteckt, damit man eine Geschichten von Erfolgen erzählen kann. Das kann man natürlich auch im Kontext des Wahlkampfes sehen. Denn vor den Wahlen ist es natürlich wichtig, den Wählern seine Erfolge zu demonstrieren.

Sport inside: Manche sagen, die Weltmeisterschaft ist der Preis, den Putin zahlen muss, um an der Macht zu bleiben. Sehen Sie das auch so?

Jaschin: Wenn doch alles so einfach wäre. Ich glaube, dass man das nicht einfach nur auf die Weltmeisterschaft runterbrechen kann. Denken sie daran zurück, wie viel Pathos es gab, als die Olympischen Spiele in Sotchi durchgeführt wurde. Jetzt ist schon etwas Zeit vergangen, und die einzigen, die sich an Olympia immer wieder erinnern, sind die Kollegen in den Anti-Doping-Untersuchungen. Die Weltmeisterschaft wird ein großes Ereignis sein, aber es wird etwas Zeit vergehen und man wird es wieder vergessen. Denn dann kommt die nächste Europameisterschaft in zwei Jahren und dann wieder eine Weltmeisterschaft. Was den Preis angeht, den Putin zahlen muss, glaube ich, dass er selbst ihn bezahlen wird, sondern das russische Volk. Das Volk zahlt jetzt schon dafür: Mit Geldern aus dem Staatshaushalt, die veruntreut werden, mit Rechten und Freiheiten, die in den letzten 17 Jahren nur noch eingeschränkt werden, mit der sozialen Sicherheit, die täglich abnimmt. Damit wird das russische Volk zahlen müssen, damit Putin weiterhin als Präsident an der Macht bleiben kann.

Das Interview führte Olga Sviridenko