Staumetropole Brüssel

Kommt die City-Maut?

Stand: 18.03.2014, 10:37 Uhr

72 Stunden, drei volle Tage, steht jeder Belgier pro Jahr im Stau. Zweimal täglich melden die Verkehrsnachrichten Dutzende von Staus in und um die Metropolen Brüssel und Antwerpen. Nicht selten sind sie zusammengenommen bis zu 200 Kilometer lang.

Untersuchungen der amerikanischen Firma Inrix zufolge hat keine der westlichen Industrienationen größere Verkehrsprobleme als Belgien. Allein über 300 000 Pendler nutzen jeden Tag das Auto, um nach Brüssel zu fahren. Der belgische Hauptstadt fällt es immer schwerer der täglichen Verkehrslawine und ihrer Folgen Herr zu werden.

Stillstand

Die Infrastruktur in und um Brüssel ist veraltet. Seit Jahren soll ausgebaut werden. Passiert ist nichts. Gleichzeitig hat der Schwerverkehr massiv zugenommen: immer mehr Lastwagen quälen sich zu den größten Häfen Europas Antwerpen und Rotterdam. Mittlerweile setzt sich die Erkenntnis durch, dass ein Ausbau das Problem auch nicht löst. Gesucht werden Konzepte zur Verkehrssteuerung.
„Die Lösung unsrer Stauprobleme ist nicht mehr, neue Straßen zu bauen, denn da sind die Möglichkeiten beschränkt und zu teuer. Die einzig echte Lösung liegt darin, dass die Menschen sich auf andere Weise bewegen oder zu anderen Zeiten“, sagt Brune de Lille, Staatssekretär für Verkehr in Brüssel. Er favorisiert ein elektronisches Mautsystem.

Satellitengesteuerte Kilometerabgabe?

Der Pilotversuch dazu ist gerade angelaufen, 1200 Autofahrer sollen sich daran beteiligen. Simuliert wird eine Kilometerabgabe, gestaffelt nach Ort und Zeit. Je näher an den Ballungszentren, desto mehr kostet der Kilometer – vor allem in den Spitzenzeiten. Bis zu 9 Cent sollen dann z.B. in Brüssel fällig werden. Um 20 Prozent will de Lille so das Verkehraufkommen in der Stadt vermindern. Noch ist das eine Simulation, aber Testfahrer Bruno Van Zeebroeck glaubt an den Nutzen des Systems. "Ich bin mir sicher, dass das eine Lösung ist, um den Verkehr in und um Brüssel zu reduzieren." Handlungsbedarf besteht zweifelsohne: Brüssel erlebt einen Bevölkerungsboom: bis 2020 soll die Bevölkerung um rund ein Fünftel wachsen. Zugleich wandern die ersten Betriebe ins Umland ab. Den Weg zur Arbeit für auswärtige Mitarbeiter halten sie für nicht mehr zumutbar, manchmal dauert er Stunden.

Wie zu Zeiten der Dampflok

Der Brüsseler Nahverkehr ist keine Alternative. Busse und Straßenbahnen sind vielfach veraltet und eigene Fahrspuren fehlen. Allzu oft stehen sie im selben Stau wie die Autos. Und mit dem Regionalverkehr sieht es noch schlechter aus. Die Verbindungen ins Umland sind miserabel. Am S-Bahn-Netz, schon vor zwanzig Jahren mit viel Tarara angekündigt, wird immer noch gebaut. Und die überfüllten Regionalzüge sind langsamer unterwegs als zu Zeiten der Dampflok.

Widerstand

Viele Belgier sind nicht zuletzt deshalb gegen die Mautpläne. Ohne tragfähige Alternative, so argwöhnen sie, ist die Maut nur eine weitere Methode, die Bürger zu schröpfen. Und es regt sich Widerstand: in kürzerster Zeit zeichneten über 170.000 Belgier eine entsprechende Petition im Internet. Mit jeder Unterschrift sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass die Maut kommt. Unpopuläre Maßnahmen verkaufen sich schlecht in Wahlkampfzeiten.

Autor: Veit-Ulrich Braun