Affenliebe: Frau Samel und ihre zwölf Schimpansen

Menschen hautnah 22.06.2023 43:50 Min. UT Verfügbar bis 31.12.2099 WDR Von Claudia Ruby


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Affenliebe - Frau Samel und ihre zwölf Schimpansen

"Babsy liebt Supermärkte", sagt Christiane Samel, während sich die blitzschnell eine Dose Pfirsiche aus dem Regal angelt, mit geübtem Griff öffnet und verspeist. Wenn die beiden zusammen einkaufen gehen, erregen sie regelmäßig großes Aufsehen, denn in Frau Samels Einkaufswagen sitzt kein kleines Kind, sondern - eine ausgewachsene Schimpansendame.

Christiane und ihr Ehemann Erhard wohnen zusammen mit zwölf Schimpansen. Acht leben draußen in einem Gehege. Doch mit den vier jüngsten teilt Christiane Samel Tisch, Bett und Bad. "Unsere Kinder" nennt sie die Tiere. Doch anders als menschliche Kinder werden die Schimpansen nie für sich selbst sorgen können. "Irgendwann müssen wir uns von ihnen trennen", das weiß sie. Auf Dauer können sie und ihr Mann weder die Arbeit noch die Kosten für die Tiere aufbringen. Aber zumindest was ihre vier - Babsy, Uschi, Fanny und Nicky - betrifft, mag sie gar nicht weiter darüber nachdenken. Die Affen sind ihr näher als jeder Mensch.

Frau Samel auf einem alten Foto mit einem Schimpansen auf dem Arm.

Angefangen hat alles beim Staatszirkus der DDR: Christiane Samel mit ihrem Schimpansen.

Bei fünf der Gehege-Schimpansen allerdings rückt der Abschied näher. Schweren Herzens haben sich die Samels entschlossen, die Tiere abzugeben. Ein Zoo in China hat Interesse. Nach monatelangen Vorbereitungen ist es so weit. Ein großer LKW steht im Hof, der Tierarzt ist gekommen, um die Schimpansen für den Transport zu betäuben. Ein schwerer Tag für die Samels: Sie haben sie mit der Flasche groß gezogen, sie gefüttert und gewickelt.

Angefangen hat alles beim Staatszirkus der DDR. Direkt neben dem Haus ihrer Eltern hatten Zirkusleute ihr Winterquartier errichtet. Die 17-jährige Christiane verliebt sich und heiratet den Tierpfleger Erhard Samel, geht mit dem Zirkus auf Tour. "Ich wollte schon immer etwas Besonderes sein", sagt sie. Wer sie kennenlernt, glaubt das sofort.

In der DDR gehören die Zirkusleute zur privilegierten Elite. Sie touren durch die Welt. Aus Amerika bringen sie die ersten drei Schimpansen mit. Dann kommt der Nachwuchs zur Welt. Affenbabys, versteht sich. Für die drei leiblichen Kinder werden die "schwarzen Geschwister" zur Konkurrenz. "Wenn meine Mutter uns mal in den Arm genommen hat", erzählt die älteste Tochter Annette Samel, "sind die Schimpansen sofort eifersüchtig geworden." Also ließ sie es immer öfter bleiben.

Auch nach der Wende tritt Christiane Samel weiter mit den Schimpansen auf. Doch seit einigen Jahren haben Tierschützer sie im Visier. Es hagelt Anzeigen. Die Behörden wollen ihr die Auftritte verbieten, eventuell sogar die Haltung der Tiere. Die Verhältnisse haben sich geändert, doch Christiane will das nicht einsehen. Sie dreht den Spieß um und klagt wegen Mobbing. "Die Tierschützer haben es auf mich abgesehen."

Noch nie hat Christiane Samel klein beigegeben, doch jetzt könnte eine Krankheit stärker sein als sie selbst. Die Ärzte bekommen eine Infektion in ihrer Ferse nicht in den Griff. Möglicherweise wird sie den Fuß verlieren. "Vielleicht ist von heute auf morgen  alles aus", sagt Christiane Samel im Krankenhaus. Ihre Zukunft und die ihrer Schimpansen ist ungewiss.

 ‚Menschen hautnah‘ erzählt die Geschichte einer extremen Tierliebe - für die Mensch und Tier einen hohen Preis bezahlen.

Ein Film von Claudia Ruby
Redaktion: Petra Nagel