Die Kinozeit mit neuem Sendetermin: Montag, 23.25 Uhr

Das Kinozeit-Highlight im Februar 2016

Mit der TV-Erstausstrahlung von Asia Argentos Film „Missverstanden“ starten wir (1.2.2016, 23.20 Uhr) in den Februar: Aria (Giulia Salerno) ist das einsamste Mädchen Roms: Ihr Zuhause gleicht einem Schießstand, auf dem ihre neurotischen Eltern ihre Eitelkeiten abfeuern. Die männerverrückte Pianistin (Charlotte Gainsbourg) und der Möchtegern-Filmstar (Gabriel Garko) haben die Neunjährige in ihrem Ehekrieg aus den Augen verloren.

Szene aus: Missverstanden - Incompresa

Szene aus: Missverstanden - Incompresa

Während ihre Schwestern mit Liebe überschüttet werden, wird Aria wie ein ungeliebtes Möbelstück hin- und hergerückt. In der Schule sieht es nicht anders aus – weder die beste Freundin noch Arias Schwarm erkennen die hilflose Verlorenheit der Außenseiterin. Zurückgewiesen und abgeschoben streunt Aria durch die Stadt und schenkt ihre Liebe einer schwarzen Straßenkatze.

Die erste Ohrfeige der Mutter setzt es nach etwa drei Minuten. Dafür, dass Aria die Fleischbällchen aus dem Fenster geworfen hat, die ihr die Mutter zum Abendessen aufzwingen wollte. Aria, neun Jahre alt, hasst Fleischbällchen, aber ihre Mutter hasst Aria. Das eine ist nicht weniger klar als das andere. Kein Grund also, schockiert zu sein: Arias Blick nach dem Schlag ins Gesicht ist zwar entsetzt und todtraurig, aber auch der Blick von jemandem, der genau weiß, wie es um ihn und um die anderen bestellt ist.

Es ist dieser sanfte Blick, der aus Aria (Giulia Salerno) alles andere als ein Opfer macht - und aus Asia Argentos "Missverstanden" keinen wehleidigen und anklagenden Opferfilm über ein vernachlässigtes und geschlagenes Kind. Eher ist Aria Zuschauerin eines Horrorfilms. Denn diese bürgerliche römische Künstlerfamilie, Mitte der Achtzigerjahre, ist im höchsten Maße bizarr und entstellt - als seien Arias richtige Eltern und Geschwister schon längst durch Dämonen ersetzt worden.“ (Philipp Stadelmaier, SZ, 22.1.2015)

Auch unser nächster Film (15.2.2016, 23.25 Uhr) widmet sich einer besonderen Familie: „Dogtooth“ von Giorgos Lanthimos. Der Film wurde 2009 in Cannes mit dem Prix Un Certain regard ausgezeichnet und war 2011 für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert.

 Die pubertierenden Jugendlichen (v. li.: Christos Passalis, Aggeliki Papoulia, Mary Tsoni) werden von der Außenwelt abgeschottet und mit strenger Disziplin erzogen.

Die pubertierenden Jugendlichen (v. li.: Christos Passalis, Aggeliki Papoulia, Mary Tsoni) werden von der Außenwelt abgeschottet und mit strenger Disziplin erzogen.

Abgeschottet von der Außenwelt werden die beiden Töchter und der Sohn ganz im Sinne der reichen Eltern erzogen. Den pubertierenden Jugendlichen wird dabei ein verqueres Weltbild voller Lügengeschichten vermittelt: Die Welt hinter der Gartenhecke ist angeblich ein böser und gefährlicher Ort und gewohnten Begriffen des Alltages werden neue Bedeutungen zugesprochen. Das Familienleben ist geprägt von emotionsloser Disziplin und den unschuldig-perversen Spielen der drei Geschwister, die sich damit die Zeit vertreiben. Die scheinbar perfekte Idylle erhält erste Risse, als die Töchter und der Sohn sich die Frage stellen, was wirklich hinter der Gartenhecke liegt?

In nüchternen Bildern entwirft der griechische Regisseur Giorgos Lanthimos in DOGTOOTH das Porträt einer Familie, die in ihren Grundfesten zutiefst dysfunktional und pervertiert ist. Die bis in die letzte Konsequenz durchdachte Geschichte ist dabei von einer oberflächlichen Ruhe durchzogen, die mit ihrer einzigartigen Atmosphäre gleichermaßen fasziniert und beunruhigt.

Und schließlich bleiben wir mit unserem letzten Film im Februar beim Neuen Griechischen Kino: „Attenberg“ von Athina Rachel Tsangari. (22.2.2016, 23.25 Uhr)

Alles, was Spätzünder Marina über menschliches Verhalten und Sexualität weiß, kennt sie aus den Tierdokumentationen von Sir David Attenborough ("Attenberg"). Lieber übt sie sich in der Imitation von Affen anstatt im Annähern an das andere Geschlecht. Ihre einzige Bezugsperson, abgesehen von ihrem krebskranken Vater, ist ihre Freundin Bella. Bella bemüht sich, Marina aufzuklären, und weiht sie in ihre eigenen Erfahrungen und Phantasien ein. Während Marinas Interesse am Zwischenmenschlichen langsam erwacht, geht das Leben ihres Vaters zu Ende. Ihre letzten Gespräche mit ihm werfen noch mehr Fragen auf. Und erst als ein Fremder in die Stadt kommt, beginnt Marina die Mysterien der menschlichen Fauna auf eigene Faust zu untersuchen.

 „Wenn es Attenberg (2010) nach 115 Jahren Filmgeschichte gelingt, eine Bewegung des menschlichen Körpers so zu zeigen, wie man sie noch nie gesehen hat, dann ist dieser Verfremdungsakt ein kleines Wunder, denn der menschliche Körper ist das mit Abstand am häufigsten abgebildete Motiv der „siebenten Kunst“. Aus bloßen Schulterbewegungen erschaffen Regisseurin Athina Rachel Tsangari und Kameramann Thimios Bakatakis verstörenden und zugleich betörenden Body Horror. (…)Attenbergist ein mutiger, unorthodoxer Film. Obwohl er sich über Festivals primär an ein internationales Publikum richtet, stecken die lakonischen Stakkato-Dialoge voller Wortspiele, die kaum übersetzt werden können. Die Bilder werden zwar oft von Musik aus dem Off begleitet – gleichzeitig aber bricht Tsangari die dadurch geschaffenen Stimmungen immer wieder und macht den Einfluss der Musik bewusst, wenn Songs fragmentarisch bleiben, abrupt abgebrochen werden oder zu der jeweiligen Situation nur bedingt passen.“ (Martin Gobbin, critic.de, 5.4.2012)

Die Hauptdarstellerin Ariane Labed wurde bei den 67. Internationalen Filmfestspielen von Venedig 2010 mit der Coppa Volpi als beste Darstellerin ausgezeichnet.