Wie aus Opfern Täterinnen gemacht werden

Stand: 14.06.2016, 16:28 Uhr

Vergewaltigung - liegt dann vor, wenn der Sex nicht einvernehmlich ist. Eigentlich. Denn oft wird eine Vergewaltigung nicht als solche anerkannt. Das liegt am deutschen Strafrecht und daran, dass sich nur wenige Leute darum kümmern, das zu ändern.

Über eine Million Mal geklickt wurde das Video, das zeigt, wie zwei Männer mit Gina-Lisa Lohfink Sex haben. Die Ex-Kandidatin von Germany's Next Topmodel sagt, sie sei an jenem Abend vor vier Jahren vergewaltigt worden und erstattet Anzeige. Sie gibt zu Protokoll, dass sie KO-Tropfen bekommen habe und zum Geschlechtsverkehr gezwungen wurde. In dem Video soll sie apathisch wirken. Doch die Richter wollen ihr nicht glauben.

Aus dem Opfer wird eine Täterin

Stattdessen bekommt Lohfink selbst einen Strafbefehl: Sie soll 24.000 Euro zahlen – wegen Falschverdächtigung der beiden Männer aus dem Video. Der Sex sei einvernehmlich gewesen, so das Gericht. Dabei soll auf dem Video deutlich zu hören sein, dass Lohfink mehrmals "Hör auf" sagt. Ein deutliches Nein also. Warum soll der Sex dann einvernehmlich gewesen sein?

In Deutschland ist beim Sex ein "Nein" kein Nein

§177 StGB Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung

(1) Wer eine andere Person

1. mit Gewalt,

2. durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder

3. unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist,

nötigt, sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

Das Deutschen Sexualstrafrecht spricht also von einer sexuellen Nötigung, wenn das Opfer gezwungen wird, sexuelle Handlungen zu dulden. Für Laien scheint der Sachverhalt klar: Lohfink wurde offensichtlich zum Sex gezwungen, war sogar in einer Lage, in der sie sich nicht wehren konnte. Es war also eine Vergewaltigung. Das Problem: Für Juristen ist das nicht so.

Das liegt besonders am ersten Absatz des Paragrafen: Er sagt aus, dass ein Gericht eine Vergewaltigung erst als solche anerkennt, wenn sich das Opfer körperlich zur Wehr setzt. Findet das nicht statt, ist der Geschlechtsverkehr auch keine Vergewaltigung. Eine "Nein-heißt-Nein"-Regelung gibt es in Deutschland nicht.

Sexuelle Selbstbestimmung schützen - ohne Vorbehalt

Die Aktivistin Anne Wizorek fordert: "Es braucht eine Reform im Sinne von Nein-heißt-Nein. Das würde einfach bedeuten, dass die sexuelle Selbstbestimmung aller Menschen aller Geschlechter von sich aus geschützt ist." Bisher müssten die Opfer noch nachweisen, dass sie sich ausreichend verteidigt haben."Das darf einfach nicht sein."

Nur der Vize-Präsident der USA findet klare Worte

In den USA gibt es derzeit einen ähnlichen Fall: Dort wurde nach einer Party eine Frau von einem Studenten vergewaltigt – er wurde vom Richter zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Es sei schon genug Strafe, dass der Student, der als US-Olympia-Hoffnung galt, nun nicht mehr in seinem Team schwimmen durfte, so die Begründung.

US-Vizepräsident Joe Biden rügte das Urteil in einem offenen Brief: "In Deinem Fall hat zwar die Rechtsprechung entschieden, aber die Nation ist nicht zufrieden damit. Und deswegen werden wir weiter die Stimme erheben." In Deutschland hat sich bisher noch kein Staatsoberhaupt für Vergewaltigungsopfer ausgesprochen.