Das Phänomen Untertauchen

Drei Jahrzehnte unter falschem Namen

Stand: 25.09.2015, 15:33 Uhr

Eine junge Frau verschwindet, wird sogar für tot erklärt. 31 Jahre später taucht sie lebend wieder auf. Der aktuelle Fall aus Düsseldorf sorgt für Rätselraten bei der Polizei. Wie kann es gelingen, so lange unerkannt zu bleiben?

Was geht in einem Menschen vor, der untertaucht und unter falschem Namen neu anfängt? Der Fall der heute 55-jährigen Petra P. ist ein extremes Beispiel. Wenn Menschen ihr Leben so erheblich verändern, gibt es aus Sicht der Bonner Psychotherapeutin Gisela Dreyer grundsätzlich zwei unterschiedliche Erklärungen: "Da ist einmal die sehr bewusste Entscheidung, nachdem man über längere Zeit Bilanz gezogen hat, sich intensiv mit seinem bisherigen Leben beschäftigt hat." Dann ist der Bruch mit Umfeld und Familie der Weg, sich aus einer negativ empfundenen Situation zu lösen.

Auf der anderen Seite kennt die Psychologie auch das Untertauchen als Flucht nach einer akut enttäuschenden oder verletzenden Erfahrung. Diese ad-hoc-Entscheidung, einfach zu gehen, werde aber nicht selten rasch wieder zurückgenommen. Zum Beispiel, wenn Teenager weglaufen und sich dann einige Tage später wieder melden.

Reaktion auf traumatische Erfahrungen

Damit, wie Menschen auf extreme Situationen reagieren, beschäftigt sich auch Brigitte Dennemarck-Jäger, Therapeutin am Deutschen Institut für Psychotraumatologie in Köln. Sie kennt jedoch keinen Fall, in dem jemand als Reaktion untergetaucht ist: "Vielmehr kann es zu einer Ich-Spaltung kommen, einer multiplen Persönlichkeit." Diese sehr unterschiedlichen Teil-Persönlichkeiten kommen dann einzeln zum Vorschein, mitunter ausgelöst von Alltagssituationen.

Kontaktabbruch muss akzeptiert werden

Was 1984 bei Petra P. passiert war, können heute auch die Ermittler nur spekulieren. Sie selbst sagt bislang nichts zu ihrer Motivation. Klar ist für sie jedoch: Kontakt zu ihrer Familie will sie auch jetzt, nach über drei Jahrzehnten Funkstille, nicht. Das ist auch vollkommen legal. Grundsätzlich gilt, dass Volljährige selbst darüber entscheiden, ob Angehörigen konkrete Informationen zu ihrem Aufenthaltsort mitgeteilt werden.

"Unglaubliche Kraft"

Dass die Frau aus Braunschweig es schaffte, so lange unentdeckt mitten in Deutschland zu leben, verblüfft. Offenbar gab es nie eine Situation, in der sie gezwungen war, ihren Ausweis vorzuzeigen. Sie blieb nach eigenen Aussagen im Land, lebte in mehreren Städten in Westdeutschland, zuletzt eben in Düsseldorf. "Das muss eine unglaubliche Kraft verlangt haben", vermutet die Psychologin Gisela Dreyer. Ohne die ganze Geschichte zu kennen, könne sie allerdings nur spekulieren. Aber die Fluchttendenz, die Ortswechsel, das Leben unter falschem Namen, das alles weise auf die sehr bewusste Entscheidung hin, sich von der alten Identität komplett zu lösen.