Wembley-Torwart Tilkowski: "Heute gäbe es da einen Rudel-Auflauf"

Stand: 19.06.2016, 13:24 Uhr

Bei der EM 2016 gibt es jetzt ein magisches Auge, das Torlinien kontrolliert. Vor 50 Jahren war das anders - und das 3:2 von Wembley erregte die Gemüter wie kein anderes Tor in der Geschichte des Fußballs. Hans Tilkowski, der Torwart von 1966, über Fair Play, Torkameras und Gentlemen im Fußball.

Das WM-Finale 1966. Kurz vor Schluss steht es 2:1 für England, aber in letzter Minute kann die Deutsche Mannschaft ausgleichen. Es geht in die Verlängerung ... dann, in der 101. Minute, fällt das wohl umstrittenste Tor der Fußballgeschichte.

Damals für Deutschland im Tor: Torwart Hans Tilkowski aus Herne. Die große Frage: War der Ball tatsächlich mit vollem Umfang hinter der Linie? Später veröffentlichten Aufnahmen sagen: Nein, das war er nicht. Die Deutsche Mannschaft verlor das Spiel, die Spieler nahmen die Entscheidung hin wie Gentlemen.

Das sagt Wembley-Torwart Hans Tilkowski heute…

… über das Wembley-Tor

"Ich hab schon vor 50 Jahren gesagt, der war nicht drin. Ich hab den Ball mit den Fingerspitzen berührt und konnte dann über die Schulter sehen, dass der Ball auf der Linie aufgekommen ist. Das sind eben Fehlentscheidungen."

… über die Reaktion nach der Entscheidung

"Da hat diese Mannschaft gezeigt, was Fair Play ist. Das haben die Engländer sehr hoch anerkannt. Anerkannt, weil die deutsche Mannschaft sich so verhalten hat. Was wäre das heute für ein Rudelauflauf, wenn heute so eine Entscheidung kommen würde? Der Sportreporter Rudi Michel hatte damals geschwärmt und gesagt: "Wie ihr euch benommen habt, euer Auftreten, wie ihr das hingenommen habt - das war sensationell."

… darüber, wo ein Spiel ausgetragen wird

"Ich glaube nicht, dass wenn das Endspiel in Deutschland gewesen wäre, dass der Linienrichter das Tor gegeben hätte."

… über die Spielweise von damals und heute

Heute ist mehr Tempo. Die trainieren ja heute auch ganz anders, dann der ganze Trainerstab. Wie viele Leute da dazugehören – und mit wie wenig Mitteln wir auskommen mussten. Aber ich denke gerade auch an das Auftaktspiel, an das Fünf-Null gegen die Schweiz. Wir haben schon mit Wolfgang Overath, mit Helmut Haller und Franz Beckenbauer schon eine exklusive Mannschaft gehabt.

… über Auswechselspieler

Die gab es nicht. Es durfte nicht gewechselt werden.

… über Torkameras

Diese Gerechtigkeit, die man sich darüber verspricht, ich bezweifle das. Da wird es andere Entscheidungen geben, die genauso Fehlentscheidungen sind - ob es jetzt um Abseits geht oder um Handspiel… Fußball wird immer mit Fehlentscheidungen leben müssen.