Wie es ist, in der Bahn von Fahrgästen beschimpft und geschubst zu werden

Stand: 16.09.2016, 14:51 Uhr

"Idiot", "Asi", "Hurensohn": Dass Bahnmitarbeiter beschimpft und angeschrien werden, das gibt es täglich. Es geht aber noch weiter. "Ich kenne Kollegen, die haben Angst, zur Arbeit zu gehen", sagt Zugbegleiter und Vorstandsmitglied der GDL NRW Christian Deckert. Für uns hat er aufgeschrieben, was er im Alltag so alles erlebt.

Ich habe 1997 bei der Bahn angefangen, damals im Gastgewerbe als Servicekraft. Seit 2002 bin ich Zugbegleiter. Über die Jahre hat sich da etwas verändert. Da ist diese Aggressivität.

Früher waren die Leue relaxter. Heute sind alle so angespannt, immer in Eile. Irgendwie hat sich das Zeitmanagement verändert. Alle haben Stress und wollen dann natürlich ein verlässliches Verkehrsmittel – und sobald dann etwas schief geht, lassen sie ihren Frust raus.

Schräg angucken, schreien, schubsen

Das fängt damit an, dass wir erst schräg angeguckt und dann angemault werden. Manchmal stehen die Fahrgäste vor uns und brüllen uns an. Dann können wir oft noch so ruhig dastehen, man wird trotzdem angeschrien. Zuerst geht es meist ums Unternehmen – "Scheißbahn", "Drecksunternehmen". Dann geht es auf die persönliche Ebene: "Sie Idiot", "Sie können gar nichts", "Sie Asi", "Du Arsch", "Vollpfosten", "Hurensohn". Da hört man sich alles an, das komplette Programm.

Dabei ist es ja so: Wir Zugbegleiter können gar nichts für diese Verspätungen. Wir haben in NRW eine hohe Verkehrsdichte, und da geht es dann um technische Störungen oder um Einflüsse, die von außen kommen durch das Wetter oder Unfälle. Sie können uns glauben: Jeder Einzelne von uns ist bemüht, dass alles reibungslos abläuft und der Zeitplan eingehalten wird.

Dann gibt es aber auch noch die Schwarzfahrer. Wenn wir so ein Ticketproblem lösen müssen, stehen wir ja in der Regel vor den Fahrgästen. Aus so einer Situation wollen die Fahrgäste natürlich raus. Wenn das verbal nicht geht, geht es oft zum körperlichen Angriff über. Das fängt mit Wegschubsen an und geht bis zum Schlag. Ich bin ein Mann, aber wenn ich mir jetzt vorstelle, da steht eine Frau, die kann sich vielleicht nicht so wehren. Und das passiert häufiger.

Pfefferspray und Alarm

Pfefferspray und Alarm. Das ist jetzt vielleicht etwas, um sich sicherer zu fühlen. Aber das ist keine Wunderwaffe. Es geht da eher um ein Gefühl, dass man mit sich trägt.

Man muss aber auch daran denken, dass wir Pfefferspray dann auch gegen Leute im Umfeld einsetzen. Das kann dann auch die Mutter mit Kind abbekommen oder die alte Dame – und auch ich kann selbst kann es abbekommen.

"Wir wünschen uns mehr Courage"

Ein Alarmsignal ist gut. Aber es ist ja jetzt auch schon oft so, dass andere Fahrgäste diese Auseinandersetzungen mitbekommen. Das eigentliche Problem ist, dass die Leute wegschauen. Niemand muss sich in eine Gefahr bringen, aber hilflos zuschauen und sich sagen "Der wird da schon alleine rauskommen", das ist nicht in Ordnung. Wir wünschen uns mehr Courage, dass die Leute uns in solchen Notsituationen beistehen oder Hilfe rufen – etwa über die 110.

Was wir uns wünschen sind Deeskalationstrainings. Alle Zugbegleiter müssen lernen, wie man aus solchen Situationen rauskommt, ohne sich zu verletzten. Hier muss die Bahn jeden Mitarbeiter vorbereiten. Ich kenne Kollegen im Nahverkehr, die haben Angst zur Arbeit zu gehen. Das kann nicht sein. Wir brauchen da wirklich eine Veränderung.

Protokoll: Sabine Schmitt