Medizinische Gutachten

Wenn die Expertise zum Albtraum wird

Stand: 15.06.2015, 17:21 Uhr

Oft entscheiden die Urteile von Gutachtern über die Leistungen der Krankenkasse. Gesundheitsexpertin Christiane Grote von der Verbraucherzentrale NRW erklärt, welche Möglichkeiten Patienten haben, sich gegen "abschlägige Leistungsbescheinigungen" zu wehren.

Aktuelle Stunde: Wie kann man sich als Patient gegen eine abschlägige Leistungsbescheinigung wehren?

Christiane Grote: Wer als Patient nach einer Begutachtung durch einen Sachverständigen oder den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) eine abschlägige Leistungsbescheinigung erhält, kann Widerspruch dagegen einlegen. Die Frist dafür beträgt einen Monat. Üblicherweise fordert man zunächst Akteneinsicht ein. Oft sind fehlende Unterlagen der Grund für eine abschlägige Leistungsbescheinigung der Krankenkasse. In diesem Fall kann man beispielsweise Unterlagen nachreichen, die den eigenen Standpunkt untermauern. Im Anschluss muss der MDK seine Bewertung noch einmal prüfen. Die Krankenkasse ist dazu verpflichtet, den Widerspruch innerhalb von drei Monaten zu prüfen und eine Entscheidung herbeizuführen. Wenn Patient und Krankenkasse sich nicht einigen können, steht der Weg vor das Sozialgericht frei.

Aktuelle Stunde: Gibt es Schlichtungsinstanzen, an die man sich wenden kann?

Christiane Grote: Im Fall abschlägiger Leistungsbescheinigungen sind keine Schlichtungsinstanzen vorgesehen. Wer aber beispielsweise den Verdacht auf einen Behandlungsfehler hegt, kann sich an seine Krankenkasse wenden. Die ist verpflichtet, Patienten in einem solchen Fall zu unterstützen. Hier ist das Procedere wie oben beschrieben: Die Krankenkasse beauftragt einen Sachverständigen, der ein MDK-Gutachten anfertigt. Auf Basis dessen wird in einem nächsten Schritt entschieden, wie es weitergeht. Alternativ kann man in einem solchen Fall auch die Schlichtungsstellen der Ärzteschaft anrufen. Die sind bei den Ärztekammern angesiedelt und haben ein Schlichtungsverfahren organisiert. Das kann aber nur stattfinden, wenn beide Seiten mit der Schlichtung einverstanden sind.

Aktuelle Stunde: Ist es üblich, dass Gutachten nur aufgrund der Aktenlage erstellt werden?

Christiane Grote: Ja, auch wenn das für Patienten nicht nachvollziehbar ist, ist das häufig der Fall. Hintergrund des Gedankens ist: Alles, was wir nicht aus den Dokumenten erkennen können, können wir auch nicht belegen. Wenn beispielsweise geklärt werden soll, ob ein Behandlungsfehler gemacht wurde, soll grundsätzlich festgestellt werden: Gibt es einen Schaden? Gibt es einen Fehler? Und ist der Fehler ursächlich für den Schaden? Diese Vorgehensweise ist durchaus üblich.

Aktuelle Stunde: Welche Kosten kommen auf Versicherte zu, wenn sie tatsächlich vor Gericht klagen?

Christiane Grote: Die Sozialgerichte sind kostenfrei. Das ist der positive Aspekt für den Verbraucher. Wenn man sich allerdings einen Rechtsbeistand holt, was wohl in der Regel der Fall ist, muss man den natürlich bezahlen. Und auch wer ein eigenes Gutachten in Auftrag gibt, muss für die Kosten des Sachverständigen selbst aufkommen.

Aktuelle Stunde: Nicht jeder will direkt vor Gericht klagen. Welche weiteren Möglichkeiten haben Patienten, sich zu informieren?

Christiane Grote: Natürlich bieten die Verbraucherzentralen, Patientenberatungsstellen und Selbsthilfegruppen ebenfalls Hilfe bei allen Fragen rund um die Krankenversicherung. Hier kann sich jeder erst mal unabhängig beraten lassen oder Erfahrungen mit anderen Betroffenen suchen - und dann entscheiden, ob und welche weiteren Schritte eingeleitet werden sollen.

Dokumetation: "Die Gutachterrepublik"

Gutachter haben eine große Macht. Ihre "Urteile" haben weitreichende Folgen für das Leben der Begutachteten. Die WDR-Dokumentation "Die Gutachterrepublik" geht in einer akribischen Recherche Fällen nach, spricht mit Betroffenen, Experten und Insidern. Sie beleuchtet ein offenbar gut eingespieltes System: Wer den Gutachter auf seiner Seite hat, hat gute Chancen, seine Interessen durchzusetzen – Experten sprechen von sogenannten "Gefälligkeitsgutachten". Heißt das: Wer den Gutachter bezahlt, bekommt Recht?

Mehr zum Thema sehen Sie am Montag, 15.06.2015, um 22.45 Uhr in der Dokumentation "Die Gutachterrepublik" in der ARD.