Maxwell Salzberg

"Diaspora" - anders netzwerken?

"Teilen macht das Netz erst großartig"

Stand: 16.04.2011, 14:12 Uhr

"Diaspora" will dem User die Kontrolle zurückgeben: Vier Studenten entwickeln das neue soziale Netzwerk. WDR.de sprach mit Mitgründer Maxwell Salzberg über die Open Source Community und darüber, warum er trotzdem (noch) bei Facebook ist.

Der Amerikaner Maxwell Salzberg, 23, und seine drei Kommilitonen Ilya Zhitomirskiy, Daniel Grippi und Raphael Sofaer von der New York University begannen im Frühjahr 2010 an ihrer Vision eines Open Source Social Networks zu arbeiten. In nur zwölf Tagen sammelten sie über einen Crowdfunding-Service mehr als 10.000 Dollar Startkapital von interessierten Spendern ein. "Diaspora", das Projekt der vier Studenten, sorgt seitdem weltweit für Wirbel. WDR.de hat Maxwell Salzberg auf der Republica (13 - 15.04.11) getroffen, wo er "Diaspora" vorstellte.

WDR.de: Sind Sie bei Facebook?

Maxwell Salzberg: Ja, das bin ich. Daniel ist der einzige aus unserem Team, der nicht dort ist. Ich war dort eigentlich immer angemeldet und benutze es noch gelegentlich. Es hat noch so lange einen Wert, bis die Kontakte, die man dort hat, auch woanders sind. Ich finde, es ist langweiliger geworden. Es bereichert mein Leben nicht wirklich. Es ist einfach diese komische Sache, die alle machen.

WDR.de: War Facebook so etwas wie eine Anti-Inspiration für Diaspora?

Salzberg: Ich finde einfach die Art, wie das Unternehmen geführt wird, nicht in Ordnung. Und wie Facebook technisch aufgebaut ist, schadet dem Internet. Es verhindert, das einige coole Sachen möglich werden. 2.000 Leute im Facebook-Hauptquartier geben vor, was Leute teilen können, was ein "Like" ("Gefällt mir") ist, was man in einer privaten Nachricht verschicken kann, welche Sachen man mit seinen Freunden teilen kann. Mit einem offenen, dezentralen sozialen Netzwerk, einem sozialen Webserver, könnte man dagegen verschiedene Netzwerke integrieren. Jedes einzelne davon mag im Hinblick auf einen besonderes sozialen Aspekt innovativer sein als Facebook: Netzwerke zum Katzenfotos-Tauschen oder um über ganz bestimmte Lautsprecher zu diskutieren. Facebook profitiert gerade einfach davon, dass so viele dort sind.

WDR.de: "Share what you want with who you want", ist Ihr Slogan. Bei Diaspora soll also gerade das "Teilen" anders funktionieren als bei bisherigen sozialen Netzwerken?

Salzberg: Das ist der Marketing-Slogan, aber das ist nur ein Aspekt. Das, woran wir arbeiten, ist eine Art übergeordnetes Meta-Projekt. Die Benutzeroberfläche, die man jetzt auf unserer Website joindiaspora.com sieht, ist nur ein Teil von dreien, die wir gerade zusammenfügen. Wir wollen erreichen, dass Websites miteinander sprechen und die sozialen Daten des Users dorthin befördern, wo er sie haben möchte und wo sie ihm besonders nützlich sind. Sie sollen eben nicht an eine bestimmte Site gebunden sein oder von deren Betreiber kontrolliert werden.

Die Idee bei Diaspora ist nun, den User selbst wieder ins Zentrum zu setzen, von wo aus er seine Informationen und sozialen Beziehungen steuern kann. Eine Website schickt etwas zu dir, und du verteilst es an all deine Freunde. Dafür müssen die Inhalte aber keinem Seitenbetreiber zugänglich gemacht werden, der Austausch findet nur zwischen dem User und seinen Freunden statt.

WDR.de: Es geht um eine Infrastruktur, die es ermöglicht, verschiedene Communities zusammenzuführen?

Salzberg: Ja, denn es gibt sehr viele soziale Communities in Foren oder auf Mailinglisten oder einfach Leute, die nicht bei Facebook sind, weil es nicht zu dem passt, worüber sie sich austauschen wollen. Diaspora soll anpassbar sein. Es ist ist Open Source und für alle, die wollen, frei zugänglich. Wir erstellen also Software, die es Communities erlaubt, auf eine ganz individuelle Weise Inhalte mit anderen Gruppen zu teilen. Jede Community für sich bleibt aber autonom. Wir wollen also um Facebook herum Communities aufbauen, mit denen sich die User sehr stark identifizieren können. Irgendwann werden sie merken, dass Facebook langweilig ist. Weil es dort nicht um die Themen geht, die ihnen wirklich wichtig sind.

WDR.de: Warum ist das Teilen so wichtig? Was haben wir überhaupt getan, bevor wir online Dinge mit unseren Freunden teilen konnten?

Salzberg: Es war Menschen wahrscheinlich immer wichtig. Einige Kulturen existieren nur, weil sie Geschichten teilen und weitergeben. Kulturen, die nicht schreiben. Und ohne das Erzählen könnte das Wissen nicht weiter übertragen werden zur nächsten Generation, es verbindet. Das Internet hat das Teilen von Inhalten auf eine besonders einfache und soziale Weise möglich gemacht. Bis zu dem Punkt des übermäßigen Teilens und Mitteilens, wie manche sagen würden. Aber das Teilen macht das Internet erst so großartig. Solange du noch die Kontrolle hast.

WDR.de: Wird es über Diaspora auch so etwas wie Profil-Seiten geben?

Salzberg: Ja, so etwas wird es sicherlich geben. Wir testen mit der aktuelle Alpha-Version noch, was technisch möglich ist. Es wird sicherlich nicht auf jeder Diaspora-Site diese 100 Features geben. Jede Diaspora-Site wird aber eine Auswahl dieser Features haben.

WDR.de: An welchem Punkt im Entwicklungsprozess sind Sie jetzt?

Salzberg: Im Augenblick bauen wir an Strukturen, die es möglichst vielen verschiedenen Usern ermöglichen sollen, selbst eigene Verbindungen zu ihren Communities zu bauen und diese entsprechend ihrer Bedürfnisse anzupassen. Ein relativ langweiliger Prozess, aber eine große technische Herausforderung. Wir sind in einer Alpha-Phase und hoffen, dass wir in einigen Monaten eine Beta-Version haben werden. Als Organisation sind wir außerdem dabei, mehr Entwickler und Designer anzuheuern, um das Team zu vergrößern. Offiziell sind es nur wir vier, aber wir haben eine große Open Source Community - vielleicht zehn Leute, die wir jeden Tag sehen, 15 weitere sehen wir jeden Monat. Und hunderte Leute melden sich, wenn sie Bugs gefunden haben. Das ist wichtig, weil wir nicht mehr Zeit haben, aber immer mehr Arbeit auf uns zukommt. Drei unserer fünf Hauptentwickler sind übrigens deutsche Kids, alle drei sind 17 Jahre alt. Sie kümmern sich auch um die deutsche Version. Dort kann man sich registrieren und wird eingeladen.

WDR.de: Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit der Community?

Salzberg: Open Source Communities haben seltsame Machtstrukturen, die sehr kompliziert sind. Wer am meisten daran gearbeitet hat, fällt die Entscheidungen. So funktioniert es im Wesentlichen. Weil wir vier also jeden Tag daran arbeiten, beschließen wir die Diskussion, aber es steht jedem frei, dazu beizutragen. Wir sind sehr liberal und geben jedem Zugang zu unseren Speichern, so dass sie alles modifizieren können. Wenn jetzt jemand anfangen würde, dem Ganzen zu schaden, würden wir ihn natürlich daran hindern. Aber bisher ist jeder konstruktiv, und alle arbeiten für das gleiche Ziel.

WDR.de: Und das heißt Diaspora. Warum eigentlich?

Salzberg: Der Name ist mir auf dem Weg zur Uni eingefallen. Es war der einzige Name, den wir je in Betracht gezogen haben. Und das einzige Mal, dass wir jemals nicht über eine Entscheidung gestritten haben. (lacht) Schon komisch. Mir gefiel das Wort. Die Vermischung der Leute auf der ganzen Welt ist etwas Gutes. Nur deshalb haben sich Kulturen entwickelt, die es vorher nicht gegeben hat. Viele haben in "Diaspora" aber erst etwas Negatives gesehen. Menschen mit den unterschiedlichsten ethnischen Hintergründen haben mich gefragt: Du meinst doch die armenische Diaspora? Du meinst die nigerianische Diaspora? Du meinst die jüdische Diaspora? Sie haben es alle auf sich bezogen. Dabei meine ich alle Menschen, die über die Welt verstreut sind. Wir sind eine globale gemischte Kultur, auch im Netz. Aber bei Diaspora sind es nur die Leute, die über das Internet verteilt sind, nicht ihre Daten.

Das Interview führte und übersetzte Insa Moog.

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