MONITOR vom 04.04.2019

Tod in der Zelle: Wurde der Syrer Amad A. Opfer von Polizeiwillkür?

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Bericht: Andreas Maus, Julia Regis

Tod in der Zelle: Wurde der Syrer Amad A. Opfer von Polizeiwillkür?

Monitor 04.04.2019 07:27 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Andreas Maus, Julia Regis

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Georg Restle: „Es ist jetzt ein halbes Jahr her, dass dieser junge Mann in einer Gefängniszelle in der JVA der niederrheinischen Stadt Kleve verbrannte. Die Umstände seines Todes sind immer noch ungeklärt - genauso wie die Frage, warum der junge Syrer überhaupt völlig grundlos in diesem Gefängnis inhaftiert war. Gemeinsam mit Kollegen des WDR-Magazins Westpol recherchieren wir dazu seit Monaten. Das, was wir jetzt herausgefunden haben, wirft nochmal ein ganz neues Licht auf diesen Justizskandal. Bisher hieß es nämlich immer, bei der Inhaftierung des Syrers hätte es sich um eine bedauerliche Verwechslung gehandelt. Neue Unterlagen nähren jetzt allerdings einen ganz anderen, ziemlich ungeheuerlichen Verdacht. Andreas Maus und Julia Regis.“

Kleve, am 17. September 2018, es ist kurz nach 19:00 Uhr. Gefängnis-Zelle 143, der Raum brennt und qualmt. Die Gefängnisbeamten öffnen die Zelle. Ein Häftling taumelt heraus, der 26-jährige Syrer Amad A. Zwei Wochen später ist Amad A. tot, gestorben an seinen Brandverletzungen. Die genauen Umstände des Brandes und seines Todes sind bis heute nicht geklärt. MONITOR-Recherchen zeigten, so wie es offiziell dargestellt wurde, kann es nicht gewesen sein.

Aber jetzt rückt eine andere Frage in den Vordergrund: Warum saß Amad A. überhaupt hier in Haft? Klar ist, der Syrer war unschuldig, er hätte nie inhaftiert werden dürfen. Bislang lautet die offizielle Version, Amad A. sei das Opfer einer tragischen Verwechslung geworden. Aber stimmt das? Die Darstellung der Polizei geht so: Am 6. Juli soll Amad A. am Baggersee bei Geldern Frauen belästigt haben. Die Polizei wird gerufen, er kann sich nicht ausweisen, muss mit auf die Wache. Per Fingerabdruck taucht in der Datenbank dieser Name von ihm auf: Amed Amed. Diesen Namen habe man dann in den polizeilichen Datenbanken abgefragt. Dabei habe es einen weiteren Treffer gegeben: ein Mann aus Mali, Amedy Guira, der in Hamburg per Haftbefehl gesucht wird. Die Polizei behauptet, auch dieser Mann sei unter dem Namen Amed Amed aufzufinden gewesen. Dass die beiden Männer völlig unterschiedlich aussahen, ist der Polizei dabei nicht aufgefallen. Die Fotos wurden offenbar nicht einmal verglichen. Für den Polizisten Martin Kirsch ist das nur schwer nachvollziehbar.

Martin Kirsch, PolizeiGrün e.V.: „Das gehört für mich zur Grundlage professioneller polizeilicher Arbeit, dass man eben sicherstellt, dass die Person, die man hat, auch die Person ist, die gesucht wird. Eben weil man ja weiß, dass es auch Leute gibt, die auch mal falsche Personalien angeben. Und deswegen muss man da schon gründlich prüfen und nicht nur, weil es jetzt gerade gefällt, das dann mal für gegeben mal hinnehmen.“

Nur schlampige Polizeiarbeit? Oder wurde Amad A. ganz bewusst inhaftiert, ohne dass es dafür einen rechtlichen Grund gab?

Sven Wolf (SPD), Rechtsausschuss NRW-Landtag: „Die bisherigen Erklärungsmuster, die auch insbesondere vom Innenminister gegeben worden sind, die sind auch nach der jetzigen Aktenlage schon hinfällig.“

Stefan Engstfeld (B‘90/Grüne), Rechtsausschuss NRW-Landtag: „Was hat die Polizei genau gemacht? War es reine Schlamperei? War es technischer Fehler oder, es gibt jetzt verstärkt Hinweise in den Akten, ist es sogar eventuell eine absichtliche Verwechslung gewesen.“

Eine absichtliche Verwechslung? MONITOR und der Redaktion Westpol liegen neue Unterlagen vor. Darin entdecken wir Widersprüche und Ungereimtheiten, die nicht zur bisherigen Darstellung passen. Laut Polizei soll die Verbindung zwischen dem Syrer und dem per Haftbefehl gesuchten Malier der gemeinsame Name „Amed Amed“ gewesen sein. Doch erstaunlicherweise liegt ein Eintrag des Namens „Amed Amed“ bei dem Mann aus Mali zum Zeitpunkt der Datenabfrage überhaupt nicht vor. Das Landeskriminalamt Hamburg hält in einem Schreiben daher fest, es hätte zu diesem Zeitpunkt

Zitat: „(…) keinen Treffer auf den Datensatz des GUIRA, Amedy (…) geben dürfen!”

Kein Treffer. Und damit keine Verbindung zwischen dem Syrer und dem Mann aus Mali.

Sven Wolf (SPD), Rechtsausschuss NRW-Landtag: „Die Ermittlungen des LKA Hamburg haben jetzt eben nochmal die ganze Frage der Verwechslung in ein ganz neues Licht gerückt. Jetzt stellt sich wirklich tatsächlich die Frage, war das ein ganz dummer Fehler, der gemacht worden ist, oder gab es da in irgendeiner Weise Absicht?“

Vorsätzliches Handeln? Ging es möglicherweise also nur darum, Amad A. irgendwie ins Gefängnis zu bringen? Das wäre dann Freiheitsberaubung. Uns liegen die Abfrageprotokolle der wichtigsten Datenbank der Polizei, INPOL, vor. Auch hier findet sich nichts, was für eine Verwechslung spricht. Das Bundeskriminalamt hat die Abfrageergebnisse rekonstruiert. Über Stunden hatten die Klever Polizisten immer wieder die Datenbank nach Amed Amed abgefragt. Doch auch die Auswertungen des BKA zeigen keine Verbindung zwischen dem Syrer und dem Malier. Wie aber ist der vermeintliche Treffer der Polizisten dann überhaupt zu erklären? Zumal Amad A. auch schon früher überprüft worden war.

Sven Wolf (SPD), Rechtsausschuss NRW-Landtag: „Bei den ganzen vorherigen Überprüfungen von Ahmad A. gab es diese Treffer nie. Also, was ist an diesem Tag anders gewesen, dass tatsächlich man auf einen Haftbefehl stößt aus Hamburg?“

In den Unterlagen findet sich dazu nichts. Dafür ein anderer Hinweis. Demnach wurde dem Mann aus Mali der Name „Amed Amed“ erst nachträglich, nämlich erst drei Tage nach der Verhaftung des Syrers, zugeordnet. Schwer zu begreifen. Um nachzuvollziehen, was genau passiert ist, zeigen wir die Dokumente der IT-Expertin Annette Brückner. Sie hat selbst lange Zeit IT- Programme für verschiedene Polizeibehörden entwickelt und schreibt heute Analysen zu Informationssystemen der Polizei. In den Unterlagen fällt ihr eine weitere Ungereimtheit auf.

Annette Brückner, IT-Expertin für Polizeisysteme: „Was aus den Protokollen nachvollziehbar ist, ist dass es bei dem Malier mehrere Alias-Personalien gab, also Angaben über verschiedene Namensverwendungen. Und man sieht in den Protokollen sehr deutlich, dass einer dieser Datensätze, eine dieser Alias-Personalien ersetzt worden ist durch den Namen des Syrers Amed Amed.“

Aus den uns vorliegenden Unterlagen ergibt sich: Ursprünglich war der Malier Amedy Guira mit zehn weiteren unterschiedlichen Namen registriert. Der Name Amed Amed war nicht darunter. Drei Tage nach der Verhaftung von Amad A. hat man eine der zehn Alias-Personalien einfach ausgetauscht. Wie von Geisterhand taucht hier jetzt plötzlich der Name Amed Amed auf. Man hat also offenbar in einer bestehenden Datei den Namen einfach verändert. Aber warum? Sollte hier etwas vertuscht werden? Oder war es ein Fehler im System?

Annette Brückner, IT-Expertin für Polizeisysteme: „Ich würde ausschließen, dass es ein Fehler im System ist. Ich halte es auch nicht für möglich oder nachvollziehbar, dass so etwas aus Versehen passiert, denn hier ist, sind ja ganz gezielt mehrere Einzeleinträge verändert worden. Von daher gehe ich davon aus, dass es eine vorsätzliche Veränderung, also vorsätzliche Manipulation dieses Datensatzes war, um ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen.“

Eine Manipulation von Daten, womöglich mit dem Ziel, die illegale Inhaftierung nachträglich zu rechtfertigen? Ein schwerer Vorwurf, der jetzt vom Untersuchungsausschuss des Landtags aufgeklärt werden muss.

Georg Restle: „Das Düsseldorfer Innenministerium erklärte uns gegenüber heute, dass man sich zu den neuen Erkenntnissen nicht äußern wolle. Dies sei allein Sache der Staatsanwaltschaft.“

Interview mit MONITOR-Autorin Julia Regis zum aktuellen Kenntnisstand im Fall Amad A.:

Neue Zweifel im Fall Amad A.

Monitor 05.04.2019 05:10 Min. Verfügbar bis 05.04.2024 Das Erste

Stand: 04.04.2019, 22:15 Uhr

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10 Kommentare

  • 10 Klaus Keller 18.04.2019, 11:54 Uhr

    Selbst mit Fragezeichen sind „schlampige Polizeiarbeit“ und „Polizeiwillkür“ überzogene Beschuldigungen. Merkels Akzeptanz der Willkommenskultur bleibt Ursache Nummer 1. Als Marktradikale hat sie wie so vieles auch die Polizei in Grund und Boden gespart, mit der Willkommenskultur 2015 hat sie eine Fehlentwicklung eingeleitet, die von keiner Seite in absehbarer wieder repariert werden kann. Öffentlich rechtliches Polizei-Bashing ist dabei auch nicht hilfreich. Eigentlich würde ich an dieser Stelle sortieren, was plausibel ist und was nicht. Im Forum ginge das auch, das wird aber eingestellt. Mit 1000 Zeichen ohne Absätze bleibt zu viel an Argumenten auf der Strecke. Monitor berichtet extrem einseitig, jetzt kann man auch in Kommentaren kaum eine Gegenüberstellung von Pro und Kontra nachholen. Mit einem gegenseitigen Schlagaustausch der verschiedenen Lager ist aber niemanden geholfen. Dann bleiben solche Dinge eben unsortiert im Raum stehen; man kann dem dann folgen oder nicht.

  • 7 Hansi 10.04.2019, 09:06 Uhr

    Sowohl der Malier als auch der Syrer haben eine falsche Identität angenommen! Der Fehler liegt doch schon bei der Bamf die solchen offensichtlichen Betrug mit der Identität zulässt? Schon am Geburtstag 1.1 sollte das schon auffallen? Die Polizei muss dann wieder diesen Irrsinn ausbaden wenn diese Leute dann wie so oft Kriminell werden? Folge ist dann Untersuchungshaft weil man nicht weiß wer er wirklich ist. Solche Fehler sind dann die Folge dieser unmöglichen Politik? Eine Verwechslung halte ich nach wie vor für möglich! Die Polizei kann dann unmöglich die richtige Identität feststellen ? Wir wissen doch bis heute nicht wie Amad wirklich heißt und wann er geboren wurde? Weder Amad noch seine Familie haben seinen richtigen Namen je der Polizei genannt oder bei der wahren Identität geholfen. Das alles wäre mit der richtigen Identität nicht passiert und dafür kann man nicht die Polizei verantwortlich machen! Soll die Polizei jeden Straftäter laufen lassen der eine falsche Identität hat?

  • 6 Klaus 07.04.2019, 13:16 Uhr

    zu Anonym,erst mal hat Amad eine falsche Identität angenommen! Falscher Name und Geburtstag.Hätte er auf der Wache seinen richtigen Namen und Geburtstag angegeben wäre das alles nicht geschehen? Ich halte es für falsch ihn als Unschuldig hinzustellen auch in Bezug zu seinen Straftaten (sexuelle Beleidigung usw.) LKA und BKA haben ja ermittelt ,daher scheint die innen Revision der Polizei gut zu funktionieren? Was die IT Expertin aber behauptet geht aber weit darüber hinaus! Mein Problem ist ,sie hat offensichtlich keinen Zugriff auf das Polizeisystem und auch keine Administratorrechte dafür! Was wichtig ist. Sie ist eine entschiedene Gegnerin dieses IT Systems und damit nicht unabhängig?Auch weiß man nicht ob Monitor für ihre Expertise bezahlt hat? Die Frage ist doch wie immer, lässt sich das alles gerichtsfest beweisen? Ich denke,dass geht genauso aus wie bei Oury. J ? Das Ansehen der Polizei wird meiner Meinung nach durch solche Berichte beschädigt! Monitor übertreibt mal wieder?

  • 5 K 06.04.2019, 11:39 Uhr

    Man könnte den Eindruck erhalten, dies sei ein Testlauf, um zu prüfen, ob ein Todesfall bzw. Verschwindenlassen Unschuldiger geduldet wird. Es wäre nicht verwunderlich, wenn das neue Polizeiaufgabengesetz entsprechend dazu genutzt würde, um marginalisierte & politisch 'unerwünschte' zu Verschwindenlassen...

    • Squareman 15.04.2019, 15:54 Uhr

      Wenn sie der Meinung sind sollten sie Deutschland schleunigst verlassen. Und ganz so unschuldig war der Mann nicht. Eine falsche Identität und das belästigen von Frauen sind in Deutschland immer noch strafbar. Das soll natürlich nicht entschuldigen das der Mann im Gewahrsam ums Leben kam.

  • 4 Silke 05.04.2019, 17:07 Uhr

    Hallo Monitor,so kann man mit Kritik nicht umgehen unmöglich! Nochmal,der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei GdP in NRW, M.Mertens,hält eine nachträgliche Manipulation von Daten des Syrers Amad.A für grundsätzlich ausgeschlossen! "Das halte ich für sehr abendteuerlich,allein wegen des großen technischen Aufwands.Ich halte das aus polizeilicher Sicht für ausgeschlossen". Unschuldig das ist wohl ein schlechter Scherz? Wer hat den einen falschen Namen und Geburtstag angegeben? 4 Mädchen im Strandbad sexuell belästigt und wurde wegen sexueller Beleidigung verhaftet und wer hat die Zelle in Brand gesetzt? Auch war Amad schon mal in Kleve in der JVA wegen Körperverletzung? Unschuldig ist für mich was anderes? Zu ihrer Expertin, ich lese da was von 1993 ist schon ziemlich lange her? Ist sie den noch mit der aktuellen Software vertraut ? Für mich klingt der Bericht unglaubwürdig. Sie beschädigen mal wieder das Vertrauen in die Polizei?

    • Anonym 06.04.2019, 13:54 Uhr

      Die Polizei schafft es meiner Meinung nach leider sehr gut selbst das Vertrauen zu zerstören. Solange so getan wird, als ob jeder der Polizist wird direkt keine menschlichen Makel mehr hat, wird es eher schlimmer. Auch und erst recht Polizisten müssen sich Moralisch verantworten. Mir gehen die Möglichkeiten dies zu sanktionieren und anzuzeigen bei weitem nicht weit genung! Ja, ein Polizist sollte sich 5 mal Gedanken machen müssen ob er wirklich in die Grundrechte eines anderen menschen eingreift. Und wenn sich dies vor Gericht als nicht tragfähig herausstellt muss er sich dort verantworten, so wie jede andere Person auch. Bzgl. Software Entwicklung verhält es sich zumeist so das sich die Grundlagen im Grunde nicht wirklich geändert haben. Hier geht es primär um Logik und die nun mal unabhängig von der eingesetzten Sprache und der Art der Umsetzung. Billiger Versuch der diskreditierung!

  • 3 Schade 05.04.2019, 11:32 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • 2 Silke 05.04.2019, 10:24 Uhr

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  • 1 Annerose Bilzer 04.04.2019, 22:15 Uhr

    TRAGISCHES UNGLÜCK (für Oury Jalloh, der in einer Dessauer Polizeizelle angekettet verbrannte) Frei willst du sein und gehst in ein freies Land. Kaltschnäuzigkeit prallt dir entgegen, Ablehnung deiner Rastalocken bestimmt deinen Gang. Sicherheit im freien Land lässt Rastalocken brennen. „Tragisches Unglück“ wird es rechtfertigend genannt in diesem FREIEN Land. Annerose Scheidig, März 2007