MONITOR vom 17.03.2005

In der Polizeizelle verbrannt: Die Geschichte eines fatalen Einsatzes (17.03.2005)

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Bericht: Pagonis Pagonakis, Andreas Maus

In der Polizeizelle verbrannt: Die Geschichte eines fatalen Einsatzes (17.03.2005)

Monitor 17.03.2005 08:31 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Sonia Mikich: "Neulich in Deutschland, eine kleine Geschichte: Da ist einer 21, fällt auf, weil er betrunken ist und angeblich Frauen auf der Straße anmacht und landet dann in einer Ausnüchterungszelle. Die Geschichte wird sonderbar. Denn der junge Mann wird an Armen und Beinen angebunden, stundenlang. Die Geschichte wird grausam. Im gefesselten Zustand, bewegungsunfähig, verbrennt er in der Polizei-Zelle. Die Geschichte wird skandalös. Niemand bekommt das Grauen in der Zelle mit. Aber alle sind sich danach einig: Der junge Mann habe sich selbst in Brand gesetzt. Danach wechseln sich ab: Widersprüche, Fragen und Schweigen. Vielleicht deswegen, weil der Tote Ausländer war? So ein Asylbewerber, so ein Schwarzer… Andreas Maus und Pagonis Pagonakis über einen fatalen Polizeieinsatz in Dessau."

Vielleicht hat er noch diese Musik im Kopf, am Morgen des 7. Januar. Er hat in der Nacht getrunken, vielleicht auch Drogen genommen, und dann kommt ein Streifenwagen, weil sich laut Polizeibericht Frauen auf der Straße von ihm belästigt fühlen. Die Streife der Dessauer Polizei nimmt ihn mit, auch weil er Widerstand geleistet haben soll, der junge Mann landet auf dem Polizeirevier in der Wolfgangstraße.

Er kommt in diese Zelle, wird an Händen und Füßen gefesselt. Drei Stunden später ist er tot. Verbrannt auf einer Matratze wie dieser. Er konnte nicht weg. Er war "fixiert", wie es im Polizeijargon heißt.

Oury Jalloh, 21 Jahre, Asylbewerber, vor vier Jahren geflohen vor einem Bürgerkrieg in Sierra Leone. Den blutigen Massakern entkommen ‑ in die Sicherheit Deutschlands.

Spurensuche in der Unterkunft. Mouctar Bah hat Oury Jalloh gut gekannt, er war sein Freund und hat ihn oft besucht. Mit zwei anderen Asylbewerbern lebte Oury Jalloh in einem Zimmer.

Mouctar Bah: Das ist Zimmer von Jalloh. Hier hat er gewohnt, und das ist seine Bett. Und wie Sie auch sehen, das ist sein Tasche, ja, hier ist seine Bibel. Auch, die er mal oft hier gelesen hat. Wenn er mal oft bei mir war, hat er auch mit seine Mutti telefoniert, ja. Und wenn er raus gekommen, hat er mir ein bisschen erzählt von seiner Mutti. Er sagte, ja, meine Mutti sagt ja, es ist lange Zeit, komm mal doch langsam bei mir auch, ja,  ich möchte dich mal sehen. Und so was weiter …"

Die Zelle Nr. 5: Die Brandspuren sind fast alle beseitigt. Mehr als zwei Monate sind vergangen, aber noch immer ist der qualvolle Tod von Oury Jalloh ungeklärt. Klar ist nur, Mitte Februar musste die Staatsanwaltschaft schwere Versäumnisse der Polizeibeamten einräumen. Die ignorierten Hilferufe durch die Wechselsprechanlage.

Folker Bittmann, Staatsanwaltschaft Dessau, 15.02.2005: "Kurz vor 12 … stellte der Dienstgruppenleiter, der über eine Wechselsprechanlage mit der Zelle akustisch verbunden war, diese Wechselsprechanlage leiser. Weil auf Grund … von Rufen, möglicherweise auch Bewegungen des Ouri Jalloh, die Lautstärke in seinem Zimmer so war, dass er nicht telefonieren konnte."

Und nicht nur die Wechselsprechanlage wurde leiser gedreht. Auch schaltete der Dienstgruppenleiter den Alarm des Rauchmelders in der Wache gleich zweimal ab.

Warum?

Oury Jalloh muss Höllenqualen gelitten haben, als er brannte, während sich oben ein Polizeibeamter beim Telefonieren gestört fühlte. Oder war es noch anders? Oury Jalloh war an Händen und Füßen gefesselt. Konnte er sich da selber anzünden?

Folker Bittmann, Staatsanwaltschaft Dessau, 15.02.2005: "Dass es bisher keinerlei Anhaltspunkte, keinerlei Tatsachen gibt, die dafür sprechen, dass Ouri Jalloh vorsätzlich getötet worden wäre. Offen ist allerdings, ob es sich … ob es sich um eine Selbsttötung oder um ein Unglück gehandelt hat."

10 Jahre Bürgerkrieg hat Oury Jalloh als Kind überlebt. Als junger Mann wurde er hier in Deutschland Vater eines Sohnes, war froh in einem Land ohne Krieg zu leben.

Mouctar Bah: "Wenn ich das alles zusammenfasse, ja, dann werde ich hier sagen – ne! Er ist nicht … war nicht so weit, er war nicht so weit, dass er sich selber – sich verbrennen könnte oder selber umbringen. Der war ein normaler Mensch wie ihr und wie ich, und wie andere Leuten auch, der war nicht so psychisch gestört."

Etwas später im Zentrum von Dessau, hier hat Mouctar Bah einen kleinen Telefonladen. Hier treffen sich die meisten Afrikaner, telefonieren nach Hause, reden miteinander, hören Musik. Auch Oury Jalloh kam fast jeden Abend. Was denken seine Freunde darüber, dass er in der Polizeizelle einen solchen Selbstmord begangen haben soll?

Freund von Jalloh, Übersetzung MONITOR: "Nein, wir alle hier glauben nicht, dass Oury Jalloh Selbstmord begangen hat."

Freund von Jalloh, Übersetzung MONITOR: "Sie nehmen dir doch alles ab, wenn du gefilzt wirst, die übersehen kein Feuerzeug. Unmöglich."

Mouctar Bah:"… das hat man ihn ja auch alles untersucht und gesucht, alles, hat man alles rausgeholt bei ihm."

Dieses nachgestellte Video der Staatsanwaltschaft soll der Beweis sein, dass Oury Jalloh ein Feuerzeug aus der Tasche ziehen, die Matratze anstecken und sich so selbst verbrennen konnte.

Nur: Die Matratze ist feuerfest. Die Behörden sagen, sie sei möglicherweise beschädigt gewesen, der Schaumstoff innen hätte Feuer gefangen. Also doch Selbstmord oder ein Unglück?

Die Anwältin Regina Götz vertritt die Familie von Oury Jalloh. Ignorierte Hilferufe ‑ Abgeschaltete Rauchmelder ‑ Eine feuerfeste Matratze, die brennt ‑ Nach Akteneinsicht beurteilt sie die Versäumnisse ganz anders.

Regina Götz, Rechtsanwältin:"Fremdverschulden liegt ja offensichtlich vor. Ich meine, es ist offensichtlich schon jetzt, wird ein Feuerzeug in der Zelle gefunden, was da nicht hingehört. Es ist auch offensichtlich, dass hier mehrfach Rauchmelder und andere Alarmanlagen ausgeschaltet wurden. Also ein Fremdverschulden, finde ich, ist schon jetzt ganz eindeutig erwiesen."

Wir wollen mit Stadt und Behörden in Dessau über den Fall Oury Jalloh sprechen. Der Bürgermeister lässt uns ausrichten, "aus Prinzip" dazu nichts zu sagen. Die Polizei verweist auf die Staatsanwaltschaft. Und die auf ihre laufenden Ermittlungen.

Der Tod von Oury Jalloh schlägt in der Stadt keine Wellen. Die Polizisten, gegen die ermittelt wird, werden völlig abgeschirmt. Eines haben die Behörden zugesagt: Sie zahlen die Kosten für den Transport des Toten nach Afrika.

Freund von Jalloh, Übersetzung MONITOR: “Hier, das sind wir letzten Sommer im Stadtpark. Der da sitzt ist Oury Jalloh. Immer wenn ich das Foto betrachte, muss ich an Oury denken. Ich vermisse einen Freund, einen Bruder. Sehen Sie, damals waren wir drei. Jetzt ist einer weg.“

Fast täglich ruft Mouctar Bah Oury Jallohs Mutter in Afrika an. Von ihm erfuhr sie vom schrecklichen Tod ihres Sohnes. Und die Behörden? Haben die sie benachrichtigt, ihr Bedauern ausgedrückt?

Mouctar Bah:"Leider bis jetzt noch nicht."

Sonia Mikich: "Ich will jetzt nicht von Ausländerfeindlichkeit oder Rassismus reden, das sind viel zu abgegriffene Vokabeln. Vielleicht ist es ja nur die Herzlosigkeit, die berührt. Die Tatsache, dass sich nur die Freunde für den Tod des Asylbewerbers noch interessieren."

Stand: 13.10.2015, 14:40 Uhr

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1 Kommentar

  • 1 Brigitte Saager 11.01.2018, 23:02 Uhr

    Ich habe die Berichterstattung über den schrecklichen Tod von Oury Jalloh verfolgt und bin schon seit Jahren der Meinung, dass Herr Jalloh ermordet wurde. Auf jeden Fall aber deutet alles darauf hin, dass die Umstände seines Todes vertuscht werden sollten und immer noch sollen. Mehrere der Beamten haben sich schuldig emacht, aber eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Es ist eine Schande, wie sich die Justiz in Sachsen verhält! Die Staatsanwaltschaft in Halle sollte sich in Grund und Boden schämen und am besten ihr Amt niederlegen. Solche Leute, die ihr Amt dermaßen missbrauchen, brauchen wir in Deutschland nicht. Es kann einem Angst und bange werden, wenn man von den vielen Justizskandalen hört, liest und im Fernsehen sieht. Und es trifft meistens die Armen und Verfolgten, die es sowieso schon so hart getroffen hat weil sie aus ihrer Heimat fliehen mussten. Anstatt dass sie hier Schutz finden, werden sie auch hier noch verfolgt. Ich schäme mich dafür.