Auf der Flucht vor Putin: Wie können wir helfen?

Der Faktencheck zur Sendung vom 14.03.2022

In der Ukraine zerstampfen Putins Truppen die Städte. Wie lange können wir nur zuschauen? Millionen sind auf der Flucht – wie weit stehen Europas Arme offen? Zeigen wir diesmal unser freundliches Gesicht auf Dauer? Zuschauer fragen, Experten und Politiker im Studio antworten.

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Markus Kaim über russische Energie und Industrie

Markus Kaim sagt, der größte Abnehmer russischer Energie sei die Industrie und nicht die einzelnen Verbraucher.

Es gibt keine Statistik, aus der hervorgeht, wie sich speziell die importierten fossilen Energieträger aus Russland auf Industrie und Haushalte aufteilen. Diese Verteilung kann lediglich anhand von Daten zum gesamten Verbrauch von Energieträgern – etwa von Gas – abgebildet werden.

Nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) wurden in Deutschland im vergangenen Jahr rund 1 Billion kWh an Gas verbraucht. Das sind nach ersten Schätzungen des Verbands 3,9 Prozent mehr als im Vorjahr. Tatsächlich ist die Industrie der größte Abnehmer von Gas. 2021 verbrauchte die Industrie laut BDEW 366 Mrd. kWh Gas. Das entspricht einem Anteil von 36 Prozent des gesamten Gasverbrauchs. Nur unwesentlich dahinter folgt aber bereits der Gasverbrauch durch die privaten Haushalte. Sie verbrauchten im vergangenen Jahr 306 Mrd. kWh Gas – das entspricht rund 31 Prozent des Gesamtverbrauchs. Bedenkt man, dass im vergangenen Jahr 49,5 Prozent aller Wohnungen mit Gas beheizt wurden, so hätte ein Gasembargo also nicht nur große Auswirkungen auf die Industrie, sondern auch auf viele Verbraucher. 13 Prozent des Gasverbrauchs entfielen auf den Bereich Handel, Gewerbe und Dienstleistungen. Ähnlich hoch war der Gasverbrauch, der zur Verstromung genutzt wurde. Deutlich größer sind die Unterschiede beim Energieverbrauch zwischen Industrie und Haushalten beim Strom. 2021 benötigte die Industrie laut BDEW mit 226 Mrd. kWh fast doppelt so viel Strom wie die privaten Haushalte.

Saskia Esken über die Verteiliung der Kriegsflüchtlinge

Saskia Esken spricht sich dafür aus, die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine auf die Bundesländer zu verteilen. Eine Verteilung über den “Königsteiner Schlüssel“, die Bundesinnenministerin Faeser angekündigt habe, sei den Geflüchteten zuzumuten. Was hat es mit dem “Königsteiner Schlüssel“ auf sich?

Bis gestern sind in Deutschland bereits rund 150.000 Menschen registriert worden, die hierzulande Schutz vor dem Krieg in der Ukraine suchen. Es wird jedoch mit deutlich steigenden Zahlen gerechnet. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat nach einem Treffen mit den Innenministern der Länder und kommunalen Vertretern angekündigt, die Kriegsflüchtlinge, die nicht privat in Familien oder bei Bekannten unterkommen und versorgt werden können, verstärkt nach dem “Königsteiner Schlüssel“ auf die Bundesländer zu verteilen.

Ursprünglich war der “Königsteiner Schlüssel“ dazu gedacht, Geld zur Finanzierung von Forschungseinrichtungen ausgewogen auf die einzelnen Bundesländern zu verteilen. Die Bezeichnung beruht auf dem dafür ausgehandelten Staatsabkommen der Bundesländer, das 1949 in Königstein unterzeichnet wurde. Im Laufe der Jahre wurde dieser Schlüssel aber immer wieder herangezogen, um mit seiner Hilfe auch Verteilungsfragen zwischen den Ländern in vielen anderen Bereichen zu klären – unter anderem auch bei der Frage der Verteilung von Flüchtlingen. Er wird regelmäßig von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) berechnet. Für den Anteil der Verteilung wird zu zwei Dritteln das Steueraufkommen und zu einem Drittel die Bevölkerungszahl der Länder zugrunde gelegt. Demnach würden aktuell zum Beispiel 21 Prozent der Geflüchteten auf Nordrhein-Westfalen verteilt werden. Baden-Württemberg würde 13 Prozent der Menschen aufnehmen und nach Rheinland-Pfalz gingen demnach 4,8 Prozent der Geflüchteten.

Saskia Esken über die Sanktionen gegen Russland

Saskia Esken sagt, die Sanktionen gegen Russland beginnen zu wirken.

Es ist richtig, dass die Sanktionen gegen Russland Wirkung zeigen. Bereits unmittelbar nach Inkrafttreten waren die Maßnahmen auf dem russischen Aktienmarkt spürbar. Westliche Börsen setzten den Handel mit russischen Wertpapieren aus, zum Teil fielen russische Aktien ins Bodenlose. Russische Reserven an ausländischen Währungen wurden von westlichen Notenbanken eingefroren, was schon Ende Februar einen Kursverfall des Rubels um 40 Prozent nach sich zog. Durch den Ausschluss von bislang sieben russischen Banken aus dem für Finanztransaktionen wichtigen Kommunikationssystem “SWIFT“ ist ihnen ein Zahlungsverkehr mit Handelspartnern nahezu unmöglich gemacht worden.

Insgesamt werden die Strafmaßnahmen die russische Wirtschaft enorm belasten, sagen Ökonomen. JP Morgan etwa prognostiziert in einer aktuellen Analyse, dass die russische Wirtschaft alleine im zweiten Quartal um 35 Prozent einbrechen wird. Für das gesamte Jahr rechnet JP Morgan mit einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes von mindestens 7 Prozent. Die Inflation könnte am Ende des Jahres bei 14 Prozent liegen – vor dem Krieg rechneten die Experten noch mit 5,3 Prozent. Auch die russische Bevölkerung bekommt die Sanktionen bereits im Alltag zu spüren. Zahlreiche westliche Unternehmen haben sich aus dem Geschäft mit Russland zurückgezogen, so dass viele Produkte für Russen nicht mehr erhältlich sind. Berichte über leere Regale in Supermärkten und Hamsterkäufe häufen sich.

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Stand: 15.03.2022, 11:09 Uhr