In der Omikronwelle: Was bringt eine Impfpflicht?

Der Faktencheck zur Sendung vom 17.01.2022

Die Infektionszahlen explodieren – wegen Omikron. Stecken sich jetzt alle an, wandelt sich das Virus immer weiter? Auch wenn die Impfung immer noch vor schwerer Erkrankung schützt: Rechtfertigt das die umstrittene Impfpflicht, kommt erst so die neue Normalität mit Corona?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Michael Bröcker über Norwegen und Kinder-Impfungen

Michael Bröcker sagt, da Kinder durch eine Infektion länger geschützt sind als durch eine Impfung, rate der norwegische Expertenrat im Grunde von einer Impfung für Kinder ab.

Das ist so nicht richtig. Zwar stimmt es, dass das norwegische Institut für öffentliche Gesundheit davon ausgeht, dass eine Impfung Kindern zwischen 5 und 11 Jahren zwar Immunität verleiht, die Dauer und Wirkung der Impfantwort wahrscheinlich aber kürzer und begrenzter ist, als die Immunität nach einer Infektion. Diese Vermutung ist nicht neu. Zu dieser Einschätzung kamen bereits im vergangenen Jahr diverse Studien. Dass die Norweger jedoch davon abraten Kinder zu impfen, ist nicht richtig. Genau wie die Ständige Impfkommission (STIKO) in Deutschland geben zwar auch die Norweger keine generelle Impfempfehlung für Kinder zwischen 5 und 11 Jahren aus. Ebenso wie bei uns können Eltern in Norwegen aber selbst entscheiden, ob sie ihre Kinder, die nicht vorerkrankt sind, impfen lassen oder nicht. Auch bei Kindern, die durch Vorerkrankungen einem hohen Risiko für einen schweren Corona-Verlauf ausgesetzt sind, liegen Deutschland und Norwegen auf einer Linie. Beide Länder halten es für sinnvoll, diese Kinder zu impfen. Das Gleiche gilt für Kinder, in deren Umfeld Personen leben, die einem erhöhten Risiko für eine schwere Erkrankung ausgesetzt sind.

Malu Dreyer über Ungeimpfte auf Intensivstationen

Malu Dreyer erinnert daran, dass mit zwei Dritteln nach wie vor deutlich mehr Ungeimpfte auf Intensivstationen behandelt werden als Geimpfte.

Das ist richtig. Eine aktuelle Untersuchung des Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und des RKI zeigt, dass der weitaus größte Teil der Patienten, die auf Intensivstationen wegen Corona behandelt werden, ungeimpft sind. So wurden zwischen Mitte Dezember 2021 und dem 12. Januar 2022 9.946 Intensiv-Fälle übermittelt. Von 90 Prozent dieser Fälle (8.912) lag der Impfstatus vor. Laut Impfregister waren hiervon 5.521 Patienten nicht geimpft – das waren fast zwei Drittel. 9,6 Prozent hatten einen unvollständigen Impfschutz und 28,4 Prozent waren vollständig geimpft. Unter den vollständig Geimpften waren laut DIVI 5,8 Prozent, die bereits eine Booster-Impfung erhalten hatten.

Christine Aschenberg-Dugnus über Impfquoten bei über 60-jährigen

Christine Aschenberg-Dugnus sagt, in Schleswig-Holstein seien bereits über 90 Prozent der über 60-jährigen geimpft. Deutschlandweit liege die Quote bei 87 Prozent.

Die Größenordnungen stimmen. In Schleswig-Holstein haben nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) 91,1 Prozent der über 60-jährigen mindestens eine Impfung erhalten. Für diese Altersgruppe liegt Schleswig-Holstein damit in der Spitzengruppe aller Bundesländer. Die höchste Impfquote in dieser Altersgruppe verzeichnen Bremen und das Saarland mit 96,8 bzw. 92,1 Prozent. Schlusslicht ist – wie auch bei der Impfquote der Gesamtbevölkerung - Sachsen mit 80,5 Prozent. Deutschlandweit wurden bislang 88,4 Prozent aller über 60-jährigen mindestens einmal geimpft. Auf den ersten Blick erscheint das als sehr viel. Epidemiologen aber beklagen, dass noch zu viele Menschen über 60 Jahre ungeimpft sind. Laut statistischem Bundesamt leben in Deutschland etwas mehr als 24 Millionen Menschen, die 60 Jahre und älter sind. Demnach gibt es hierzulande noch immer rund 2,8 Millionen über 60-jährige, die noch nicht geimpft sind.

Timo Ulrichs über den spanischen Weg

Timo Ulrichs sagt, Spanien beginne damit, langsam umzuschalten. Dort werde zumindest in den jüngeren Altersgruppen nicht mehr so stark kontrolliert und getestet.

Tatsächlich will die spanische Regierung – trotz hoher Infektionszahlen – keine schärferen Maßnahmen anordnen. Im Gegenteil: Corona soll nach dem Willen des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez als normale Krankheit eingestuft werden. Die Spanier haben für diese Strategie auch schon einen Namen: “Grippalisierung“. Für viele Experten kommt diese “Grippalisierung“ allerdings zu früh, berichtet Reinhard Spiegelhauer aus dem ARD-Studio in Madrid. So liefen wegen der hohen Zahl an Omikron-Fällen die Stationen voll. Die Belastung der Krankenhäuser sei in den vergangenen Wochen extrem gestiegen. Intensivmediziner warnen davor, eine “Grippalisierung“ bagatellisiere die Krankheit, berichtet Spiegelhauer. Eine beidseitige Lungenentzündung durch Omikron sei genauso gefährlich und schlimm wie bei früheren Corona-Varianten, so ein spanischer Intensivmediziner.

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Stand: 18.01.2022, 11:13 Uhr