Arm trotz Arbeit: Wird sozialer Aufstieg zum leeren Versprechen?

Der Faktencheck zur Sendung vom 10.05.2021

"Ihr sollt es mal besser haben" – gilt dieses Versprechen zwischen den Generationen nicht mehr? Werden wenige immer reicher, während vielen der Abstieg droht? Und macht Corona alles schlimmer, weil gerade diejenigen krank werden, die sich Vorsicht und Home Office nicht leisten können?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Hubertus Heil über Arbeitnehmer und Tarifbindung

Hubertus Heil sagt, nur 47 Prozent der Beschäftigten arbeiten in Jobs, die tariflich geregelt sind.

Den neuesten Daten des statistischen Bundesamtes zufolge war das Beschäftigungsverhältnis im Jahr 2019 sogar nur für 44 Prozent der Arbeitnehmer durch einen Tarifvertrag geregelt. Dabei gibt es nach Angaben der Statistiker Unterschiede zwischen den alten und den neuen Bundesländern. Während in den alten Bundesländern für 53 Prozent der Beschäftigten Tarifverträge galten (46 Prozent Branchentarifvertrag, 7 Prozent Firmentarifvertrag), waren es in den neuen Bundesländern lediglich 45 Prozent (34 Prozent Branchentarif, 11 Prozent Firmentarif). Unter dem Strich gab es für 47 Prozent der Beschäftigten im Westen und 55 Prozent der Arbeitnehmer im Osten keinen Tarifvertrag. Die Zahl der tarifgebundenen Jobs ist laut statistischem Bundesamt seit Jahren rückläufig. Seit 1998 nahm sie in den alten Bundesländern um 23 Prozentpunkte ab. Die neuen Bundesländern verzeichnen im gleichen Zeitraum einen Rückgang der tarifgebundenen Jobs um 18 Prozentpunkte.

Arndt Krichhoff über Azubi-Vergütung in Pflege und Metallindustrie

Arndt Kirchhoff sagt, in der Pflege würden Ausbildungsvergütungen zwischen 1100 und 1250 Euro und damit 200 Euro mehr als in der Metall- und Elektroindustrie gezahlt.

Richtig ist, dass in der Pflege – je nach Träger einer Pflegeeinrichtung – Ausbildungsvergütungen in dieser Größenordnung gezahlt werden. Die Diakonie etwa zahlt ihren Auszubildenden im ersten Lehrjahr einen monatlichen Bruttolohn von 1.140 Euro. Im Dritten Lehrjahr steigt die Vergütung auf 1305 Euro an. Ähnlich vergütet werden Pflege-Azubis im öffentlichen Dienst. Die pauschale Aussage, sie verdienten damit 200 Euro mehr als Azubis in der Metall- und Elektroindustrie, geht aber zu weit. Denn auch Azubis in der Metall- und Elektroindustrie erhalten – je nach Bundesland – Löhne von rund 1000 Euro im ersten Lehrjahr bis zu über 1260 Euro im vierten Lehrjahr.

Hubertus Heil über Beschäftigte mit weniger als 12 Euro/Stunde

Hubertus Heil sagt, in Deutschland arbeiten zehn Millionen Menschen in Vollzeit, die weniger als 12 Euro Stundenlohn erhalten.

Betrachtet man nur die in Vollzeit Beschäftigten, ist die Zahl von Hubertus Heil deutlich zu hoch gegriffen. Richtig läge er, wenn man alle Beschäftigten berücksichtigen würde. Die aktuellsten Daten des statistischen Bundesamtes zur Verdienststruktur in Deutschland stammen aus dem Jahr 2018. Demnach erhielten im April 2018 rund 2,6 Millionen Menschen in Vollzeitbeschäftigung einen Bruttostundenlohn von weniger als 12 Euro. Für alle Beschäftigten (ohne Auszubildende) lag die Zahl tatsächlich bei 9,9 Millionen.

Hubertus Heil über den Einspielfilm zum Mindestlohn

Hubertus Heil äußerte in der Sendung Zweifel an unserem Einspielfilm, in dem wir erklären, dass der gesetzliche Mindestlohn ohne politische Einmischung von der Mindestlohnkommission festgelegt wird. Eine politische Entscheidung habe es bei Einführung des Mindestlohns von 8,50 im Jahr 2015 durchaus gegeben, so Heil.

In diesem Punkt hat Hubertus Heil recht. Die Festsetzung des ersten Mindestlohns von 8,50 war auch eine politische Entscheidung. Aber unsere Darstellung ist dadurch nicht falsch. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte die Mindestlohnkommission noch keinen Einfluss auf die Festsetzung des ersten Mindestlohns. Die Kommission fasste Ihren ersten Beschluss zur Höhe eines Mindestlohns erst im Sommer 2016. Und das – wie auch in den darauffolgenden Beschlüssen - ohne politische Einflussnahme. Die Mindestlohnkommission orientierte sich dabei an der allgemeinen Tarifentwicklung. So sieht es das Mindestlohngesetz vor.

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Stand: 11.05.2021, 10:29 Uhr