Viel Druck im Kessel: Wie lange ist ein Lockdown noch zu halten?

Der Faktencheck zur Sendung vom 01.03.2021

Familien am Limit, Restaurant- und Ladenbesitzer verzweifelt – auch die Geduldigsten werden langsam mürbe. Kurz: Der Druck steigt. Wie lange hält noch der Deckel auf dem Land? Muss Deutschland jetzt ins Risiko gehen? Oder wäre das unverantwortlich?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Karl Lauterbach über die Corona-Warn-App

Karl Lauterbach sagt, nur die Hälfte der Nutzer der Corona Warn-App geben positive Corona-Tests auch in die App ein.

Die Größenordnung ist richtig. Anhand aktueller Kennziffern der Corona Warn-App geht hervor, dass zwischen September 2020 und dem 24. Februar 2021 rund 427.000 Nutzer ein positives Testergebnis erhalten haben. Von diesen Nutzern haben sich allerdings nur rund 254.000 entschieden, ihre Testergebnis auch zu teilen, um andere User zu warnen – das sind gerade einmal 59 Prozent. Laut Angaben der Betreiber liegt der 7-Tage-Mittelwert der Nutzer, die täglich ihre positiven Testergebnisse teilen, bei durchschnittlich 1.141. Insgesamt haben bislang 25,8 Millionen Menschen die Corona-Warn-App heruntergeladen. Wie viele hiervon die App aktuell auch nutzen, ist allerdings nicht bekannt. Berücksichtigt man auch die negativen Tests, so wurden bislang rund 9,3 Millionen Test-Ergebnisse mit Hilfe der App übermittelt.

Michael Busch über Einzelhandel und Infektionsrisiko

Michael Busch sagt, laut Robert Koch-Institut (RKI) stelle der Handel ein ganz niedriges Infektionsrisiko dar.

Das Robert Koch-Institut (RKI) hat im Februar ein Stufenkonzept erarbeitet, mit dessen Hilfe Entscheidungen über Lockerungen erleichtert werden sollen. Hierzu hat das RKI den Einfluss von insgesamt 17 Alltagsbereichen unterschiedlichen Aspekten des Infektionsgeschehens zugeordnet. Zu diesen Aspekten gehören das Infektionsrisiko, der Anteil an der gesamten Infektions-Verbreitung, der direkte Einfluss auf schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle sowie Nicht-COVID-Effekte – also welche sozialen oder ökonomischen Folgen Beschränkungen mit sich bringen. Tatsächlich stuft das RKI das Infektionsrisiko für den Einzelhandel allgemein als niedrig ein. Auch seinen Einfluss auf die Verbreitung von Corona und die Zahl schwerer Krankheitsverläufe und Todesfälle betrachtet das RKI als niedrig. Im Stufenkonzept des RKI rangieren Alten- und Pflegeheime in der Risiko-Skala ganz oben. Für alle Aspekte des Infektionsgeschehen stuft das RKI das Risiko für Heime als hoch ein. Das Infektionsrisiko in Kitas und Grundschulen, der Gastronomie oder auch im ÖPNV liegt demnach ebenso im moderaten Bereich wie ihr Anteil am gesamten Transmissionsgeschehen. Das RKI weist allerdings darauf hin, dass der Stufenplan lediglich der Orientierung dienen kann. Eine belastbare Gewissheit für scharfe Grenzwerte liege nicht vor.

Lamya Kaddor über psychische Folgen bei Kindern und Jugendlichen

Nach einem Jahr Corona-Pandemie mit mehreren Lockdowns stellt Lamya Kaddor psychische und mentale Schäden bei Kindern und Jugendlichen fest, die ihrer Ansicht nach inzwischen "sehr schwer wiegen".

Inzwischen gibt es einige Studien, die das zu belegen scheinen. Eine dieser Untersuchungen ist die COPSY-Studie (Corona und Psyche) der Uniklinik Hamburg-Eppendorf unter der Leitung von Prof. Ulrike Ravens-Sieberer. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Lebensqualität und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland im Verlauf der Pandemie weiter verschlechtert haben. Demnach leidet jedes dritte Kind unter psychischen Auffälligkeiten. Hierzu zählen Sorgen und Ängste ebenso wie depressive Stimmungen und psychosomatische Beschwerden wie etwa Kopf- oder Bauchschmerzen. Vier von fünf Kindern und Jugendlichen fühlen sich durch die Corona-Pandemie belastet. 70 Prozent der Befragten sagen, ihre Lebensqualität habe abgenommen. Laut der Studien-Autoren wirkt sich die Pandemie vor allem bei Kindern aus sozial schwachen Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund aus. Die Studie der Uniklinik Hamburg ist deutschlandweit nach eigenen Angaben die bislang einzige Längsschnittstudie dieser Art.

Auch das Robert-Koch-Institut hat einen Blick auf die Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche. Das RKI hat sich einen Überblick verschafft und einige aktuelle Studien zum Thema zusammengefasst. Neben der oben beschriebenen COPSY-Studie beschreibt das RKI unter anderem eine Untersuchung aus China, wonach rund 44 Prozent der befragten Schüler zwischen 12 und 18 Jahren während des Corona-Ausbruchs depressive Symptome aufwiesen. Über 37 Prozent hatten mit Angstsymptomen zu kämpfen. Weitere Studien beschreiben, dass Existenzsorgen in den Familien – etwa durch Jobverlust, Kurzarbeit oder geringerem Verdienst – das Stresslevel in der Familie erhöhen. Kinder könnten hierauf mit rückschrittlichem Verhalten wie Schreien und anderen, nicht altersgemäßen Verhaltensweisen reagieren. Die angespannte Situation könne außerdem zu Reizbarkeit und Aggressivität führen.

Faktencheck in eigener Sache

In einem unserem Einspieler, in dem wir das Papier von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier vorgestellt haben, das unter bestimmten Voraussetzungen auch Lockerungen bei einem Inzidenzwert von über 50 für denkbar hält, ist uns ein kleiner Fehler unterlaufen. Das Papier hat Peter Altmaier natürlich nicht – wie im Einspieler gesagt – mit den Landwirtschaftsministern aus den Ländern erarbeitet, sondern mit den Landes-Wirtschaftsministern. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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Stand: 02.03.2021, 10:50 Uhr