Das Virus und die Pflege: Werden Altenheime zur Corona-Falle?

Der Faktencheck zur Sendung vom 06.04.2020

Jetzt erreicht das Corona-Virus auch bei uns immer öfter alte Menschen, bedroht sie mit dem Tod. Wie kann man Pflegeheime und Kliniken besser schützen? Welche Hilfe gibt es für pflegende Angehörige? Experten und Politiker beantworten die Fragen der Zuschauer!

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Karl-Josef Laumann über Sterbereate in Italien

Karl-Josef Laumann sagt, in Italien sei die Sterberate so hoch, weil dort Jung und Alt viel häufiger zusammenleben.

Diesen Zusammenhang haben kürzlich zwei Wirtschaftswissenschaftler der Universität Bonn hergestellt. Prof. Dr. Moritz Kuhn und Prof. Dr. Christian Bayer schauten sich die die Sozialstrukturen in mehreren Ländern etwas genauer an und verglichen die Sterberaten durch Corona-Infektionen. Je mehr Erwerbstätige mit den Eltern zusammenleben, desto höher ist der Anteil der Corona-Toten zu Beginn der Epidemie, so das Ergebnis der Studie. Dabei untersuchten die Forscher den Anteil der 30 bis 49-jährigen, die mit ihren Eltern zusammenwohnen. Demnach ergeben sich hierbei im europäischen Vergleich große Unterschiede. „Wenn sich die arbeitende Bevölkerung in hohem Maß infiziert, dann ist das für Bevölkerungsstrukturen wie in Deutschland oder Skandinavien, wo wir weniger generationsübergreifende Formen des Zusammenlebens kennen, weniger dramatisch“, sagt Moritz Kuhn. In Ländern wie Italien, in denen Ältere oft mit der gesamten Familie unter einem Dach wohnen, steige dann der Anteil der Krankheitsverläufe mit tödlichem Ausgang deutlich, so der Volkswirtschaftler.

Silke Behrendt-Stannies über Pflegeheime in privater Hand

Silke Behrendt-Stannies sagt, die Hälfte der Pflegeheime in Deutschland sei inzwischen in kommerzieller Hand.

Von den rund 14.500 Pflegeheimen in Deutschland wurden im Jahr 2017 nach Angaben des statistischen Bundesamtes rund 6.170 Heime von privaten Anbietern betrieben. Das ist ein Anteil von 42 Prozent. Gemeinnützige Träger wie beispielsweise die Diakonie oder die Caritas betrieben 7.631 Pflegeheime (rund 53 Prozent.) 682 Pflegeheime waren nach Angaben der Statistiker in öffentlicher Hand. Das sind gerade einmal 4,7 Prozent.

Aktuellere Daten hat das Portal pflegemarkt.com erhoben. Nach Angaben der Pflegemarktbeobachter waren im Jahr 2019 mehr Heime in privater (48,5 Prozent) als in gemeinnütziger (47,9 Prozent) Hand. Nur 3,6 Prozent der Pflegeheime wurden demnach durch öffentliche Träger betrieben.

Isolierung älterer Menschen und das Grundgesetz

Es werden Stimmen laut, die im Zuge einer Lockerung der Maßnahmen gegen das Coronavirus fordern, ältere Menschen und Menschen aus Risikogruppen länger zu isolieren. Hans-Christian Ströbele (Die Grünen) stellte sich vehement gegen solche Pläne und kündigte an, sofort vor das Bundesverfassungsgericht ziehen zu wollen, sollten solche Maßnahmen ergriffen werden. Ob eine Regelung, älteren Menschen oder Menschen aus Risikogruppen Lockerungen der Maßnahmen gegen das Coronavirus vorzuenthalten, gegen die Verfassung verstößt, lässt sich an dieser Stelle natürlich nicht bewerten. Das entscheiden zu gegebenem Anlass die Richter in Karlsruhe. Verfassungsrechtler machen sich über ein solches Szenario aber bereits Gedanken.

Für die ehemalige Richterin am Bundesverfassungsgericht, Prof. Gertrude Lübbe-Wolff stellen sich zwei grundsätzliche Fragen, die sie kürzlich in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung aufgeworfen hat. Zum einen fragt sie, ob es sich bei einer solchen Regelung um eine ungerechtfertigte Benachteiligung der Hochrisikogruppen handelt, weil sie stärkeren Einschränkungen unterworfen werden als Jüngere und Gesündere. Oder handelt es sich vielmehr um eine ungerechtfertigte Bevorzugung der Hochrisikogruppen, weil gerade sie vom Kontakt mit dem Virus besonders streng abgeschirmt und damit besonders geschützt werden? So oder so kommt es nach Ansicht von Prof. Lübbe-Wolff auf die Ausgestaltung einer solchen Maßnahme an, so die Rechtswissenschaftlerin in der FAZ. Ihrer Ansicht nach aber bedeutet eine Unterscheidung zwischen Alt und Jung im Prinzip noch keine Altersdiskriminierung. Allerdings nur dann, so Lübbe-Wolff, wenn die Maßnahmen nach pragmatischen Aspekten ausgerichtet sind und nicht etwa nach unterschiedlichen Beurteilungen vom Wert des Lebens. “Wo künftig welche Härten zurückgenommen werden können und welcher Maßnahmenmix sich am ehesten mit ausreichender Präventionswirkung auf längere Dauer stellen lässt, muss ohne grundsätzliche Scheu vor gruppenbezogenen Unterscheidungen unter Berücksichtigung der verfügbaren epidemiologischen und sonstigen medizinischen Erkenntnisse zu ermitteln versucht werden“, schreibt die ehemalige Verfassungsrichterin.

Deutlicher bezieht in einer ersten Einschätzung der Verfassungsrechtler Prof. Georg Hermes von der Universität Frankfurt/Main Stellung: “Das erwähnte Konzept einer Isolierung von Risikogruppen und Älteren wäre mit den Grundrechten nicht vereinbar, soweit die Isolierung nicht freiwillig erfolgt.“ Nach Ansicht des Rechtswissenschaftlers würde eine Zwangsisolierung Älteren und Risikogruppen ein Sonderopfer abverlangen, das verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt sei. Für die Umsetzung müssten darüber hinaus ganz praktische Fragen geklärt werden, so der Experte: Wo liegt die Altersgrenze? Prüft der Staat die gesunde Lebensführung in der Vergangenheit? Gehören Raucher zu Risikogruppen oder haben Männer ein höheres Risiko als Frauen? Das vorläufige Fazit des Verfassungsrechtlers: “Nur die ‘Alten und Kranken‘ wegzusperren, um das öffentliche Leben und die Wirtschaft wieder ‘hochfahren‘ zu können, wäre ein klarer Verfassungsverstoß.“

Karl-Josef Laumann über häusliche Pflege

Karl-Josef Laumann sagt, die häusliche Pflege sei in Deutschland DER Pfeiler der Pflege.

Das untermauern die Zahlen. Laut der aktuellsten Pflegestatistik des Statistischen Bundesamtes (2019) lebten in Deutschland Ende 2017 3,4 Millionen pflegebedürftige Menschen. Von ihnen wurden 76 Prozent (2,59 Millionen) zu Hause versorgt. Hierunter waren 1,7 Millionen Pflegebedürftige, die alleine von Angehörigen gepflegt wurden. Die verbleibenden 830.000 Pflegebedürftigen wurden zu Hause mit Unterstützung ambulanter Pflegedienste versorgt.

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Stand: 07.04.2020, 11:08 Uhr