hartaberfair-extra: Das Virus befällt die Wirtschaft: Wieviel bleibt von unserem Wohlstand?

Der Faktencheck zur Sendung vom 30.03.2020

Der Kampf gegen Corona bringt viele Menschen in Existenznot. Wie lange halten Betriebe und Selbstständige das durch – trotz Geld vom Staat? Muss man bald Gesundheitsgefahr gegen wirtschaftlichen Schaden abwägen? Ein "hartaberfair-extra" mit Ihren Fragen, beantwortet von Experten und Politikern!

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Corona-Epidemie: Auswirkungen auf Arbeitsmarkt

Hubertus Heil kann nicht versprechen, dass alle Arbeitsplätze erhalten bleiben werden. Er sagt, man werde jedoch um jeden Arbeitsplatz kämpfen. Gibt es Prognosen, wie sich die Corona-Krise auf den Arbeitsmarkt auswirken wird?

Es gibt derzeit vereinzelte Prognosen von Wirtschaftsforschern, wie sich die Corona-Krise auf den Arbeitsmarkt auswirken könnte. In ihrem aktuellen Sondergutachten rechnen beispielsweise die Wirtschaftsweisen in einem für die Wirtschaft günstigeren Fall damit, dass sich die Zahl der Arbeitslosen über das ganze Jahr betrachtet um 125.000 erhöhen könnte. Dies würde einen leichten Anstieg der Arbeitslosenquote von 5,0 auf 5,3 Prozent bedeuten.

Nach Ansicht von Prof. Enzo Weber ist jedoch allen Prognosen die hohe Unsicherheit über Fortgang und Dauer der Phase gemein, in der Teile der Wirtschaft heruntergefahren sind. Weber forscht am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) unter anderem auf dem Gebiet der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsmarktentwicklung. Sein Institut hat Prognosen für zwei Szenarien aufgestellt: “Unter der Annahme einer sechswöchigen Schließungsphase mit ebenso langer schrittweiser Aufhebung erwartet das IAB, dass die Erwerbstätigkeit vorübergehend um 300.000 Personen zurückgeht.“ Sollten die Schließungen allerdings zweieinhalb Monate andauern und sich die Normalisierung bis Jahresende hinzieht, könnten die Rückgänge doppelt so hoch liegen, so der Arbeitsmarktexperte. “Entscheidend ist eine Stützung durch Kurzarbeit und Liquiditätshilfen, aber auch Neueinstellungen müssen gefördert werden“, sagt Weber.

Dr. Klaus Wohlrabe vom ifo-Institut geht davon aus, dass die Krise Arbeitsplätze kosten wird. Aber auch er verweist darauf, dass genaue Zahlen aufgrund der Unsicherheit über die Entwicklung der Epidemie aktuell nicht genannt werden können. “Es wird auch davon abhängen, wie lange die Beschränkungen des öffentlichen Lebens aufrechterhalten werden müssen. Der deutsche Arbeitsmarkt war zu Beginn der Krise in einer sehr robusten Verfassung. Die Arbeitslosenquote lag bei 5 Prozent. Viele Prognosen zu Beginn der Krise gingen davon aus, dass dieser Wert dieses Jahr gehalten werden kann.“ Mit zunehmender Dauer das “Lock-Down“ werde nun deutlich, dass die Arbeitslosigkeit steigen wird, so Wohlrabe. Viele Betriebe würden versuchen, mit Hilfe des Instruments der Kurzarbeit die Belegschaft zu halten, um in Zeiten der Lockerung die Produktion nach und nach wieder hochzufahren, sagt der Konjunkturexperte. “So planen laut einer ifo-Umfrage gegenwärtig 25 Prozent der Industrieunternehmen Kurzarbeit einzusetzen. Die Zahlen werden sich im Laufe der kommenden Monate weiter erhöhen“, sagt Wohlrabe. Es sei nicht auszuschließen, dass im zweiten Quartal bis zu zwei Millionen Arbeitnehmer in Kurzarbeit sind.

Auch auf der Einstellungsseite sei der Arbeitsmarkt gegenwärtig mehr oder weniger lahmgelegt, so Wohlrabe. “Die Unternehmen nehmen aufgrund der Unsicherheit de facto keine Neueinstellungen mehr vor.“ Er befürchtet, dass die kommende Rezession vor allem die Betriebe hart treffen wird, die schon zuvor Probleme hatten. Hier werde eine Insolvenz oftmals unvermeidlich sein. Hinzu kommen nach Ansicht des Wirtschaftsforschers die vielen Solo-Selbständigen, von den viele wahrscheinlich arbeitslos werden. Wenn die medizinische Lage es zulasse, dass die Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte wieder anzieht, so Wohlrabe, dann werde sich das auch auf den Arbeitsmarkt wiederspiegeln. “Aktuelle Schätzungen gehen aufs Jahr gerechnet von einer Arbeitslosenquote von 5,5 Prozent aus. Sollte die Beschränkungen des öffentlichen Lebens länger dauern, dann wird diese Zahl noch nach oben gehen“, schätzt Wohlrabe.

Am frühen Nachmittag wollen Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Detlef Scheele, Chef der Bundesagentur für Arbeit, über die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt vor dem Hintergrund der Corona-Krise informieren.

Hubertus Heil über Kurzarbeit und Rücklagen der BA

Hubertus Heil sagt, ein Teil der Kosten für das Kurzarbeitergeld werde aus Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit in Höhe von 26 Mrd. Euro finanziert. Werden diese Rücklagen ausreichen?

“Die Rücklage der Bundesagentur für Arbeit (BA) übersteigt aktuell tatsächlich den Wert von 0,65 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), der vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zur Abfederung von Rezessionen empfohlen wird und entsprechend gesetzlich verankert ist“, bestätigt Prof. Enzo Weber. Seiner Ansicht nach kann die Bundesagentur für Arbeit erhebliche Kosten auffangen. “Ich gehe davon aus, dass die Kurzarbeit sehr stark in Anspruch genommen wird, kurzfristig noch deutlich stärker als in der Weltfinanzkrise 2009.“ Falls aber größere Teile der Wirtschaft für mehrere Monate lahmgelegt werden, befürchtet der Arbeitsmarktforscher, dass der Einbruch bisher ungekannte Dimensionen erreichen wird. “Wenn sich diese akute Phase zu lange zieht, würden die Kosten die Rücklage übersteigen.“ In manchen Bereichen des öffentlichen Lebens könnte die Kurzarbeit aber auch recht schnell wieder zurückgehen, sobald die Schließungen aufgehoben werden, so Weber.

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Stand: 31.03.2020, 07:18 Uhr