Hier Bonpflicht, da Krötenschutz: Alles geregelt, aber nichts geht mehr?

Der Faktencheck zur Sendung vom 03.02.2020

Ob Großprojekt oder kleiner Anbau: Hierzulande scheitert Vorhaben oft an Bedenken oder im Paragraphen-Dschungel. Gibt es zu viele Vorschriften und deshalb zu wenig Fortschritt? Oder ist es gut, wenn zum Schutz der Schwachen auch große Projekte gestoppt werden?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Edmund Stoiber über Bürokratiekosten in Europa

Edmund Stoiber (CSU) sagt, die Bürokratiekosten in Europa belaufen sich auf insgesamt 360 Milliarden Euro. Hat er Recht?

“Herr Stoiber beruft sich auf sehr grobe Schätzungen von Bürokratiekosten, von denen niemand wirklich weiß, ob sie zutreffen“, sagt Jörg Bogumil. Nach Ansicht des Professors für öffentliche Verwaltung, Stadt- und Regionalpolitik an der Uni Bochum werden Bürokratiekosten in der Regel immer zu hoch angesetzt, um den Anschein zu erwecken, es bestehe Handlungsbedarf. Darüber hinaus sei eine reine Auflistung möglicher Bürokratiekosten ohne eine Betrachtung des Nutzens von Verwaltungsprozessen nicht besonders sinnvoll, so der Verwaltungswissenschaftler. “Nur eine konkrete Gegenüberstellung von Nutzen und Kosten an einzelnen Bereichen zeigt uns, wo wir unnötige Bürokratie haben. Pauschale Urteile helfen hier nicht weiter.“ Bogumil verweist außerdem auf Probleme in Ländern ohne rechtsstaatliche Verwaltungskultur, in denen bürokratische Systeme geringer geschätzt werden – etwa im Bereich der Korruption.

Auch Sylvia Veit, Professorin für Public Management an der Universität Kassel, ist der Ansicht, dass es sich hier nur um einen Schätzwert handeln kann, da eine exakte Messung der Bürokratiekosten in allen Mitgliedstaaten der EU sehr aufwändig sei. Dennoch hält sie die Größenordnung für realistisch, wenn es lediglich um die Bürokratiekosten für die Wirtschaft bzw. für die Unternehmen geht. “Nimmt man noch die Bürokratiekosten für Bürgerinnen und Bürger sowie für die Verwaltung hinzu, dann müsste der Wert deutlich höher angesetzt werden“, sagt die Verwaltungswissenschaftlerin. “Da allein vom deutschen Bundestag pro Legislaturperiode rund 500 Gesetzesentwürfe verabschiedet werden, ist es wichtig, die Gesamtentwicklung der Bürokratiekosten im Auge zu behalten und regelmäßig Maßnahmen zur Reduzierung dieser Kosten in Angriff zu nehmen, damit es nicht zu einem stetigen Anstieg der Bürokratiekosten kommt“, sagt die Expertin. Hierfür sei die auch in der Sendung thematisierte “one in, one out“ - Regelung des Nationalen Normenkontrollrates in Deutschland ein guter Ansatz, so Veit.

Tatsächlich kursieren viele Zahlen über Bürokratiekosten. Die deutsche Vertretung in der EU-Kommission zum Beispiel bezifferte die reinen Verwaltungskosten alleine für die Europäische Union für 2017 auf 8,3 Milliarden Euro. Die Gesamtverwaltungsausgaben der damals noch 28 Mitgliedstaaten lagen nach Angaben der deutschen Vertretung in Brüssel demnach sogar bei 2,2 Billionen Euro.

Frank Thelen über Bürokratie als Wirtschaftsbremse

Frank Thelen wünscht sich eine bessere Digitalisierung der Bürokratie. Der heutige Verwaltungsaufwand führe dazu, dass weniger Unternehmen gegründet werden. Dies sei ein „Riesenproblem“ für unsere Wirtschaft. Ist an seinem Vorwurf was dran oder ist sein Urteil zu pauschal?

“Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ist wichtig, aber kein Allheilmittel“, sagt Prof. Jörg Bogumil. Es sei unstrittig, dass es einen großen Handlungsbedarf gibt, Verwaltungsprozesse in Deutschland stärker digital zu gestalten und damit auch bürokratische Lasten abzubauen, so der Experte. Dass aber der bestehende Verwaltungsaufwand dazu führe, dass weniger Unternehmen gegründet werden, sei in dieser Pauschalität nicht richtig und empirisch auch nicht bewiesen, sagt Bogumil. “Natürlich belästigt Bürokratie Unternehmen und es existieren auch unnötige Nachweis- und Informationspflichten, aber es gibt auch viele sinnvolle Regelungen z.B. im Umwelt- und Arbeitsschutz.“ Auch hier sei immer im Einzelfall zu überprüfen, welche Regelungen sinnvoll sind und welche nicht, so Bogumil.

"Es ist richtig, dass ein übermäßiger Verwaltungsaufwand gerade für kleine und mittlere Unternehmen ein großes Problem darstellt", sagt Prof. Sylvia Veit. Bei der Frage, ob Unternehmen gegründet werden und die Wirtschaft wächst, spielten aber auch viele andere Faktoren eine Rolle, so die Verwaltungsexpertin. Oft werde über Bürokratie geklagt, wenn es eigentlich um inhaltliche Standards etwa im Arbeitsrecht, im Umweltbereich oder in der Verbraucherschutzpolitik geht, sagt Veit. Auch sie hält differenzierte Bewertungen für sinnvoller. "Eine pauschale Bürokratieschelte ist da wenig hilfreich, zumal 'gute Bürokratie' im Sinne eines regelgebundenen und rechtsstaatlichen Verwaltungshandelns ja auch für Unternehmen durchaus wünschenswert ist." Unabhängig davon biete die Digitalisierung ein erhebliches Potential für eine Vereinfachung des Vollzugs von Gesetzen und Rechtsverordnungen. Tatsächlich bestehe in Deutschland ein erheblicher Nachhol- und Modernisierungsbedarf, sagt die Expertin. "Im internationalen und auch im EU-Vergleich schneidet Deutschland bei der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen eher schlecht ab. Länder wie Finnland oder Estland sind da viel weiter", so Veit.

Werner Jann über "to-go" - Becher

Werner Jann hält das Umweltschutz-Argument im Zusammenhang mit der eingeführten Bon-Pflicht für vorgeschoben. Wenn die Deutschen gleichzeitig 2,8 Milliarden to-go-Becher im Jahr verbrauchen, sei "die neue Liebe zum Umweltschutz" nicht ganz glaubwürdig.

Tatsächlich bestätigt eine Studie des Umweltbundesamtes (UBA), dass die Deutschen pro Jahr 2,8 Milliarden Heißgetränke in Einwegbechern konsumieren. Stündlich werden somit etwa 320.000 Wegwerfbecher verbraucht. Alleine der Verbrauch an „to-go“-Bechern summiert sich pro Jahr auf 1,2 Milliarden. Das UBA untersuchte die ökologischen Auswirkungen von Einwegbechern und erarbeitete Maßnahmen zu ihrer Reduzierung. Das UBA bezog sich dabei unter anderem auf Daten aus dem Jahr 2015, die von TNS Emnid (inzwischen in Kantar Emnid umbenannt) erhoben wurden. Pro Jahr werden laut der Studie 28.000 Tonnen Abfall alleine durch Einwegbecher verursacht. 60 Prozent der Becher sind kunststoffbeschichtet, der Rest besteht aus reinem Kunststoff, zumeist Polystyrol, so das UBA.

Werner Jann über Normenkontrollrat und Bonpflicht

Werner Jann findet es bedauerlich, dass der Nationale Normenkontrollrat beim Gesetzgebungsverfahren zur Bonpflicht nicht, wie sonst üblich, zu den möglichen Folgekosten befragt wurde.

Es ist richtig, dass der Nationale Normenkontrollrat (NKR) während der Gesetzgebungsphase zum so genannten Kassengesetz, das Ende 2016 beschlossen wurde, keine Stellungnahme zum so genannten Erfüllungsaufwand abgegeben hat. Diese Nichtberücksichtigung aber wurde vom Normenkontrollrat selbst noch vor wenigen Tagen vor dem Hintergrund der intensiven Berichterstattung zur Bonpflicht kritisiert.

Im April 2017 hatte der NKR dann wenigstens die Gelegenheit dies im Rahmen einer Stellungnahme zur so genannten Kassensicherungsverordnung nachzuholen. Der Kontrollrat gab konkrete Schätzungen darüber ab, wie hoch der Erfüllungsaufwand durch die Einführung einer Bonpflicht sein würde. Dabei nahm er sowohl die Kosten für die Bürger als auch für Wirtschaft und Verwaltung unter die Lupe. Der NKR kam zu dem Ergebnis, dass die Bonpflicht weder für die Bürger noch für die Verwaltungen einen nennenswerten Erfüllungsaufwand nach sich ziehen würde. Dagegen bezifferte er die jährlichen Kosten für die Wirtschaft, die zusätzlich zu dem im Gesetz erfassten Aufwand anfallen, auf 8,8 Millionen Euro.

Werner Jann über Zeitpunkt der Bonpflicht

Werner Jann sagt, erst nachdem absehbar gewesen sei, dass der Einzelhandel es nicht geschafft habe, die Vorgaben eines Gesetzes einzuhalten, wonach er Kassen einführen sollte, die vor Manipulationen gesichert sein müssen, habe man im vergangenen Jahr beschlossen, die Bon-Pflicht einzuführen.

Dass eine Bonpflicht eingeführt werden wird, steht nicht erst seit dem vergangenen Jahr fest. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens hat der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages bereits im Dezember 2016 Änderungen am Kassengesetz beschlossen. Tatsächlich war in einem ersten Gesetzentwurf von einer Bonpflicht noch nicht die Rede. Aber noch im Jahr 2016 beschloss der Finanzausschuss des Bundestages das Gesetz um eine Belegausgabepflicht zu erweitern.

Allerdings sah das Gesetz ursprünglich Ausnahmeregelungen vor. Diese wurden im Juni vergangenen Jahres per Erlass vom Bundesfinanzministerium stark eingeschränkt. Eine Befreiung von der Bonpflicht kommt demnach nur noch bei besonderen Härtefällen in Betracht. Jeder Fall muss nun einzeln geprüft werden.

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Stand: 04.02.2020, 10:47 Uhr