Arm durch Arbeit, reich durch Immobilien: Keine Chance auf sozialen Aufstieg?

Der Faktencheck zur Sendung vom 06.05.2019

Jeder Fünfte arbeitet zum Niedriglohn, Mieten explodieren: Lebt in Deutschland erstmals eine Generation, die es schlechter hat als ihre Eltern? Wird nur reicher, wer Haus oder Wohnung besitzt? Und was muss sich ändern, damit sozialer Aufstieg besser gelingt?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Christoph Gröner über Steuern und Abgaben

Der Immobilienunternehmer Christoph Gröner sagt, in Deutschland tragen diejenigen mit hohem Einkommen zu einem Großteil der Steuereinnahmen bei. So würden 2,8 Prozent der Menschen schon 25 Prozent der Steuern aufbringen. Zehn Prozent der Steuerzahler trügen sogar zu 50 Prozent der Steuereinnahmen bei.

Betrachtet man nur die Einkommensteuer, ist die Größenordnung richtig. Das Institut der deutschen Wirtschaft kommt in einer aktuellen Studie zu diesen Zahlen. Demnach trägt das reichste Zehntel der Bevölkerung zu gut der Hälfte am Einkommensteueraufkommen bei. 2,3 Prozent aller steuerpflichtigen Personen zahlen mehr als 25.000 Euro Einkommensteuer im Jahr. Das macht einen Anteil von 25 Prozent an den gesamten Einkommensteuereinnahmen, so das IW-Köln.

Blickt man auf die gesamte Steuer- und Abgabenlast im internationalen Vergleich, liegt Deutschland innerhalb der OECD deutlich über dem Durchschnitt. 2018 lag der Anteil von Steuern und Sozialabgaben für einen alleinstehenden Durchschnittsverdiener bei 49,5 Prozent. Nur in Belgien liegt die Abgabenquote mit 52,7 Prozent höher. Auch bei ausschließlicher Betrachtung der Sozialabgaben liegt Deutschland deutlich über dem OECD-Durchschnitt. Der lag 2017 bei 36,3 Prozent. In Deutschland waren für Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammen 49,6 Prozent fällig. Geringer fällt nach OECD-Angaben die Abgabenquote für Familien mit nur einem Erwerbstätigen aus. Bezogen auf die Arbeitskosten müssen sie 34,4 Prozent Steuern und Sozialabgaben zahlen. Zum Vergleich: Vergleichbare Familien in Italien oder Frankreich müssen mehr als 39 Prozent abführen.

Alexander Graf Lambsdorff über EU-Mindestlohn

Alexander Graf Lambsdorff (FDP) sagt, wenn sich die SPD mit ihrem Vorschlag durchsetzen sollte, in Europa einen Mindestlohn von 60 Prozent des Medianeinkommens des jeweiligen Mitgliedstaates einzuführen, lande man in Rumänien bei einem Mindestlohn von 2.50 Euro.

Im aktuellen Europawahlkampf wirbt die SPD für einen europäischen Mindestlohn. Dabei soll die Höhe des Mindestlohns nach den Vorstellungen der Spitzenkandidatin Katarina Barley bei 60 Prozent des Medianeinkommens des jeweiligen EU-Staates liegen. Sollte sich die SPD mit ihrem Vorschlag durchsetzen, so würde sich für den Mindestlohn in Rumänien allerdings nicht viel ändern. Das geht aus einer aktuellen Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Böckler-Stiftung hervor. Denn demnach liegt der gesetzliche Mindestlohn in Rumänien bereits heute bei 2,68 Euro pro Stunde. Das sind 59,7 Prozent des rumänischen Medianeinkommens. Der Mindestlohn in Rumänien entspricht also heute schon fast den Vorstellungen der SPD.

Oskar Lafontaine (Die Linke) sagt, in Berlin hätten sich die Mieten seit 2005 verdoppelt.

Es ist richtig, dass die Mieten in Berlin – ohne Berücksichtigung der Sozialwohnungen - in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen sind. Das belegen Daten des Berliner Stadtentwicklungssenats. Der Berliner Mietspiegel aus dem Jahr 2005 weist für Gesamtberlin noch einen durchschnittlichen Mietpreis von 4,49 Euro pro Quadratmeter aus. Schon fünf Jahre später lag die Angebotsmiete im Mittel bei sechs Euro pro Quadratmeter. Das geht aus dem Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin im Auftrag des Senats für Stadtentwicklung hervor. In den darauffolgenden sieben Jahren stieg die durchschnittliche Miete auf 10,80 Euro an.

Hubertus Heil über Beschäftigte und Tarifbindung

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagt, nur noch 47 Prozent der Beschäftigten seien tarifgebunden.

Das stimmt. Nach Daten des so genannten Betriebspanels, einer repräsentativen Arbeitgeberbefragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), hatten im Jahr 2017 47 Prozent aller Beschäftigten einen Arbeitsplatz mit Branchentarifbindung. Weitere acht Prozent wurden nach Haustarifvertrag bezahlt. Unternehmen sind nur noch zu einem Viertel an einen Branchentarifvertrag gebunden. Weitere zwei Prozent der Firmen bezahlen ihre Angestellten nach einem Haustarifvertrag. Laut IAB verliert die Tarifbindung der Betriebe und damit auch die Bedeutung von Tarifverträgen für Beschäftigte seit Jahren an Bedeutung. Besonders in Ostdeutschland würden Betriebe ihre Beschäftigten lieber unabhängig von Tarifverträgen bezahlen, so das IAB.

Oskar Lafontaine über Vermögensverteilung

Oskar Lafontaine sagt, weltweit besitzen gerade einmal 26 Menschen so viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung.

Das jedenfalls geht aus einer Untersuchung der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam hervor. Im Vorfeld des diesjährigen Weltwirtschaftsforums in Davos stellte Oxfam einen Bericht (Public Good or Private Wealth) vor, in dem die Zusammenhänge zwischen großen Vermögenszuwächsen auf der einen Seite und Unterfinanzierung bei Bildung und sozialer Sicherung auf der anderen Seite untersucht wurden. Tatsächlich hat Oxfam errechnet, dass die 26 reichsten Menschen der Welt genauso viel besitzen, wie die ärmere Hälfte der gesamten Menschheit. Außerdem berichtet die Organisation, dass das Vermögen der Milliardäre im vergangenen Jahr um 12 Prozent angestiegen ist. Gleichzeitig sei das Vermögen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung um 11 Prozent gesunken.

Stand: 07.05.2019, 12:23 Uhr