Der Staat schwimmt im Geld - aber warum haben die Bürger so wenig davon

Der Faktencheck zur Sendung vom 08.10.2018

Die Steuer-Milliarden sprudeln, aber wo bleibt das Geld? Warum hört man bei jedem Missstand: Wir müssen sparen! Warum verrotten Straßen und Brücken, sind Schulklos so elend? Und was ist mit den Plänen, Steuern gerechter und einfacher zu machen?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Zunächst ein Faktencheck in eigener Sache

Bei der steuerlichen Absetzbarkeit von Restaurantrechnungen haben wir in einem Einspielfilm stark verkürzt formuliert, dass die Ersparnis bei 70 Prozent liege. Da hätten wir präziser texten sollen, dass die Ersparnis darin besteht, dass 70 Prozent des Rechnungsbetrages steuerlich geltend gemacht werden können. (hinzugefügt am 11.10.2018)

Norbert Walter-Borjans und der Steuerbescheid seines Bekannten

Norbert Walter-Borjans sagt, ein alleinstehender Bekannter mit einem Bruttoeinkommen von 70.000 Euro zahle heute 28 Prozent Einkommenssteuern. Berücksichtige man die Inflation der vergangenen Jahrzehnte, hätte er Mitte der achtziger Jahre für das vergleichbare Einkommen noch Prozent 35 Prozent gezahlt.

Die Größenordnung ist richtig. Nach Abzug aller absetzbaren Beträge kommt der Bekannte von Walter-Borjans auf ein zu versteuerndes Einkommen von rund 62.600 Euro. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes wäre unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Inflationsraten zwischen 1986 und 2017 im Jahr 1986 ein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von rund 37.000 Euro mit dem Einkommen des Bekannten aus dem Jahr 2017 vergleichbar. Schon mit Hilfe eines einfachen Steuerrechners des Bundesfinanzministeriums, bei dem auch frühere Steuersätze gewählt werden können, wird ersichtlich, dass der Freund von Walter-Borjans als Alleinstehender mit einem zu versteuernden Einkommen von rund 37.000 Euro Mitte der 80er Jahre etwa 35 Prozent Einkommensteuer bezahlt hätte. 2017 lag sein Einkommensteuersatz – ohne Berücksichtigung des Solidaritätszuschlags - bei ca. 28,5 Prozent. Mit Soli musste er 30 Prozent Steuern zahlen und liegt damit immer noch fünf Prozentpunkte unter dem vergleichbaren Steuersatz von 1986.

Gesine Lötzsch über vergangene Steuerreformen

Gesine Lötzsch sagt, die Steuerreformen der vergangenen 20 Jahre seien stets den Reichen zu Gute gekommen, während die ärmeren Einkommen immer mehr bezahlen mussten. Hat sie Recht?

Die Experten sind sich hier nicht völlig einig. "Nein", widerspricht Dr. Carolin Rublack, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für öffentliche Finanzen an der Universität Hannover. “Durch Inflation und Wachstum werden Bezieher höherer Einkommen automatisch stärker belastet“, erklärt die Steuerexpertin. Ab und zu sei diese Mehrbelastung lediglich kompensiert worden. “Gegenfinanzierungsmaßnahmen haben zudem hauptsächlich Besserverdiener getroffen. Hierzu zählen etwa die Zinsschranke oder die Steuerpflicht von Kursgewinnen auf Kapitalanlagen.“ Die Expertin für Steuerpolitik hält die Debatten, in denen zwischen “Reichen“ und “Ärmeren“ unterschieden wird, in der jetzigen Lage ohnehin nicht zielführend: “Sie lenken davon ab, dass der Staat angesichts von Rekordsteuereinnahmen aktuell die Möglichkeit hätte, alle Steuerzahler zu entlasten“, sagt Carolin Rublack. Dies könne beispielsweise im Zuge der anstehenden Reform der Grundsteuer geschehen. Das Bundesverfassungsgericht hatte entschieden, dass die Grundsteuer bis Ende 2019 neu geregelt werden muss.

“Da ist was dran“, sagt dagegen Dr. Martin Beznoska vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Alleine schon von der Senkung des Spitzensteuersatzes hätten vor allem die Bezieher der höchsten zehn Prozent der Einkommen profitiert, sagt der Experte für Steuerpolitik. Die Entlastung für die Menschen am unteren Rand der Einkommensskala sei dagegen geringer ausgefallen. Allerdings, so Beznoska, seien durch die Steuerreformen der Vergangenheit auch Menschen, die im Bereich der mittleren Einkommen weiter oben liegen, eher belastet worden. Darüber hinaus habe es in jüngster Vergangenheit generell keine Reformen mit dem Ziel einer Steuerentlastung gegeben. Auch Beznoska verweist darauf, dass dies indirekt zu einer Steuermehrbelastung vor allem von Beziehern höherer Einkommen führt. Denn durch die steigenden Einkommen der vergangenen Jahre erhöhte sich besonders für besser Verdienende unter dem Strich auch die Steuerbelastung.

Reina Becker über Helmut Kohl und das Familiensplitting

Reina Becker sagt, Helmut Kohl habe bereits in seiner ersten Regierungserklärung im Jahr 1982 die Einführung des Familiensplittings versprochen. Stimmt das?

Das ist richtig. Nach dem Ende der sozialliberalen Koalition kündigte der neue Bundeskanzler Helmut Kohl ein Familiensplitting an. Am 13.10.1982 sagte Kohl vor dem Deutschen Bundestag: "Das Steuerrecht wollen wir familienfreundlicher gestalten. Mit Wirkung vom 1. Januar 1984 wird das bisherige Ehegattensplitting in ein Familiensplitting umgewandelt." Auch in der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU, CSU und FDP nach der Bundestagswahl 1983 wurde das Familiensplitting versprochen: "Der Familienlastenausgleich ist zu verbessern. Diesem Ziel dient auch die freundliche Ausgestaltung des Steuerrechts durch ein Familiensplitting: Wer Kinder hat, soll weniger Steuern zahlen als derjenige, der keine Kinder hat. Das gilt auch für Alleinerziehende."

Bis heute aber gilt nach wie vor das Ehegattensplitting, das in den 1950er Jahren vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund des besonderen Schutzes von Ehe und Familie eingeführt worden war. Im Kern werden beim Ehegattensplitting Ehepartner zusammen veranlagt. Es ist besonders für Eheleute interessant, bei denen ein Partner sehr viel, der andere aber sehr wenig oder gar nichts verdient. Beim Familiensplitting sollen neben den Ehepartnern auch die Kinder einbezogen werden. Grundlage der Besteuerung wäre dann das Familieneinkommen. Vereinfacht gesagt würde das Einkommen der Familie zusammengerechnet und auf alle Familienmitglieder gesplittet - also auch auf die Kinder.

Das Familiensplitting hat sich in Deutschland nicht durchgesetzt. Befürworter versprechen sich eine steuerliche Entlastung für Familien mit Kindern. Kritiker bezweifeln den Sinn der Maßnahme. Auch von einem Familiensplitting würden reiche Eltern mehr profitieren als einkommensschwache Eltern. Darüber hinaus sei es teuer, sagen unter anderem die Ökonomen Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Stand: 09.10.2018, 10:51 Uhr