Giftgas gegen syrische Kinder - werden wir schuldig durch Wegschauen?

Der Faktencheck zur Sendung vom 10.04.2017

Kinder, vom Giftgas gemordet – ein neuer, schrecklicher Höhepunkt im syrischen Bürgerkrieg. US-Präsident Trump lässt Raketen abfeuern – aber kann er so das Sterben beenden? Und wir: Ohnmächtig? Oder schuldig, weil wir uns raushalten?

Eine Talkshow ist turbulent. Auch in 75 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und überprüft einige Aussagen. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Ulrich Scholz über Juristen und Kampf-Einsätze

Der ehemalige Bundeswehr-Pilot Ulrich Scholz sagt, auch Juristen seien in die Entscheidungsprozesse bei Militärschlägen eingebunden. Sie hätten darauf zu achten, dass die Kollateralschäden auf ein Minimum begrenzt werden. Für den ehemaligen Soldaten heißt dies im Umkehrschluss jedoch, dass - je nach Wichtigkeit des Zieles – der Tod von Zivilisten in Kauf genommen wird.

Unstrittig ist, dass bei militärischen Operationen Rechtsberater eingebunden sind. Eine ihrer Aufgaben besteht darin, Einsätze, wie etwa Luftangriffe durch die NATO, auf ihre Legitimität hin zu überprüfen. Dabei unterstützen sie ihre Kommandanten unter anderem bei Fragen des Völkerrechts. Laut Handbuch für Rechtsberater der NATO müssen die beteiligten Akteure dabei immer die Verhältnismäßigkeit eines Militärschlages im Blick haben. So könne beispielsweise der Beschuss einer Munitionsfabrik, die in einem bewohnten Gebiet liegt, militärisch von so bedeutendem Nutzen sein, dass Opfer unter den Zivilisten in Kauf genommen werden. 

Grundlage für die Abwägung von militärischem Nutzen und zivilen Opfern bildet dabei das Zusatzprotokoll des Genfer Abkommens über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte. Artikel 57 besagt unter anderem, dass bei Angriffen alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen sind, "um Verluste unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen und die Beschädigung ziviler Objekte, die dadurch mit verursacht werden können, zu vermeiden und in jedem Fall auf ein Mindestmaß zu beschränken."

Militärschläge gegen Afghanistan und Sudan

Julian Reichelt sagt, es sei nicht – so wie Ulrich Scholz zuvor sagte - Afghanistan gewesen, das Bill Clinton 1998 bombardieren ließ. Vielmehr habe der ehemalige US-Präsident den Sudan angegriffen.

Beide haben Recht. Im August 1998 waren bei zwei Bombenanschlägen auf US-Botschaften in Kenia und Tansania mehr als 200 Menschen ums Leben gekommen. Der damalige US-Präsident Bill Clinton reagierte mit einem Vergeltungsschlag. Mit Marschflugkörpern ließ er in Afghanistan mutmaßliche islamistische Ausbildungslager beschießen. Ein weiterer Angriff galt einer pharmazeutischen Fabrik in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Die USA beschuldigten die Firma, Grundstoffe für chemische Waffen zu produzieren. Hierfür aber gab nie einen Beweis, weshalb der Angriff seinerzeit heftig kritisiert worden war.

Kristin Helberg über Syrien und UN-Untersuchungen

Kristin Helberg sagt, die UNO habe zahlreiche Belege für Kriegsverbrechen in Syrien.

Es ist richtig, dass eine Untersuchungskommission der UN seit sechs Jahren Kriegsverbrechen in Syrien untersucht und dokumentiert. Dabei ist sie auf Beweise für Kriegsverbrechen durch das Assad-Regime aber auch durch Rebellen gestoßen.

Unter anderem kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass das Assad-Regime im vergangenen Jahr gezielt und systematisch Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen in Aleppo zerstört hat. Dem Bericht zufolge hat das syrische Militär zudem Chlorgas eingesetzt. Der Chemiewaffeneinsatz in Aleppo ist nicht der erste, den die UN dokumentieren konnte. Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen untersuchte im Auftrag der UN vergangene Chemiewaffeneinsätze. Auch sie kommt zu dem Ergebnis, dass das syrische Regime in den vergangenen Jahren mehrfach Chlorgas eingesetzt hat. Untersuchungen zu weiteren vermeintlichen Gas-Angriffen laufen derzeit noch. Auch der so genannte Islamische Staat hat dem Bericht zufolge in der Vergangenheit Chemiewaffen eingesetzt – unter anderem im Jahr 2015 in Marea.

Stand: 11.04.2017, 12:06 Uhr