Heute jung, morgen arm – schuften für eine Mini-Rente?

Der Faktencheck zur Sendung vom 25.04.2016

Politiker und Experten schlagen Alarm: Immer mehr Deutschen droht Armut im Alter. Soll trotzdem das Rentenniveau weiter sinken? Ist die Riester-Rente ein Flop? Und kommt am Ende sogar die Rente mit 70?

Eine Talkshow ist turbulent. Auch in 75 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und überprüft einige Aussagen der Gäste. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Ralf Stegner über die Riester-Rente

Nach Ansicht von Ralf Stegner (SPD) hat die Riesterrente die Erwartungen nicht erfüllt. Er sagt, die, die sie brauchen, können sie sich nicht leisten und die, die sie sich leisten können, brauchen sie nicht. Hat er Recht?

Dr. Florian Blank von der Hans-Böckler-Stiftung erinnert daran, dass die Riester-Rente eingeführt wurde, damit die Menschen privat das sinkende Leistungsniveau der gesetzlichen Rentenversicherung ausgleichen können. "Daher brauchen alle diejenigen eine zusätzliche Sicherung, die vom sinkenden Leistungsniveau betroffen sind und nicht auf eine andere Absicherung – beispielsweise eine betriebliche Altersversorgung – setzen können", sagt der Rentenexperte. Damit ziele die Riester-Rente nicht nur auf Geringverdiener, so Blank. "Allerdings wurde bei der Gestaltung der Zulagen und des Sonderausgabenabzugs, durch die die Nutzung gefördert wird, Wert darauf gelegt, Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen besonders zu fördern."

Tatsächlich aber habe die Riester-Rente die Erwartungen in mehrfacher Hinsicht nicht erfüllt, stellt Blank klar. "Neben der Kritik von Verbraucherschützern an einem unübersichtlichen Markt für Riester-Produkte und der enttäuschten Hoffnung auf hohe Kapitalmarktrenditen – der Garantiezins für Riester-Produkte ist seit der Einführung mehrfach gesenkt worden – muss festgehalten werden, dass längst nicht alle Menschen, die "Riestern" könnten, das auch tun." Insbesondere unter Geringverdienern sei diese private Vorsorge deutlich weniger verbreitet als unter Beziehern höherer Einkommen, so der Experte. "Gerade Geringverdiener könnten eine zusätzliche Einkommensquelle im Alter häufig gut gebrauchen, um nicht auf Grundsicherung angewiesen zu sein." Das betrifft laut Blank aber zunehmend auch mittlere Einkommen. Darüber hinaus bestehe besonders für Geringverdiener das Problem, dass die Riester-Rente wie auch die Leistungen der Rentenversicherung auf die Grundsicherung im Alter angerechnet wird, stellt Blank fest. Aus Sicht von Geringverdienern sei daher nicht klar, ob sich das Sparen überhaupt lohnt.

Dr. Tabea Bucher-Koenen, Rentenexpertin am Max-Planck-Institut, sieht dies differenziert. Tatsächlich sei der Anteil der Haushalte, die keine private oder betriebliche Altersvorsorge besitzen, seit 2003 von über 70 Prozent auf unter 40 Prozent gesunken. "Die Dynamik ist insbesondere auf den Abschluss von Riesterverträgen zurückzuführen", erklärt Bucher-Koenen. Zwar zeige die Verteilung der Vertragsabschlüsse nach Einkommen, dass im obersten Einkommensbereich (20 Prozent der Haushalte mit dem höchsten Einkommen) etwa 60 Prozent einen Riestervertrag abgeschlossen haben und unter den 20 Prozent der Haushalte mit dem geringsten Einkommen nur ca. 20 Prozent, so Bucher- Koenen. Allerdings gebe es auch noch die Mitte der Einkommensverteilung. Und hier besitzen laut der Rentenexpertin ca. 40-50 Prozent der Haushalte Riesterverträge. "Ein großer Teil dieser Haushalte spart laut eigener Einschätzung mehr als sie es ohne so einen Vertrag getan hätten."

Neben den geringen Sparmöglichkeiten gibt es nach Ansicht von Bucher-Koenen zwei weitere wichtige Punkte, die den Abschluss der Riesterrenten - insbesondere im unteren Fünftel der Einkommensverteilung - beeinflussen. Auch sie verweist zum einen darauf, dass die Riesterrente für Haushalte, die im Alter Grundsicherung erwarten müssen, derzeit unattraktiv sei, da die privaten Ersparnisse voll auf die Grundsicherung angerechnet werden. Das zweite Problem liegt laut Bucher-Koenen im mangelndem Wissen über die Förderberechtigung: "Mehr als die Hälfte der Personen, die der Meinung sind, nicht förderberechtigt zu sein, sind tatsächlich förderberechtigt. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, die Förderberechtigung falsch einzuschätzen, unter Haushalten mit geringem Einkommen besonders hoch", so die Rentenexpertin.

Ulrich Schneider und Jens Spahn über Löhne in Pflegeberufen

Ulrich Schneider war der Ansicht, dass ein Lohn von 1.900 Euro deutlich unter dem Durchschnittverdienst eines Arbeitnehmers in einem Pflegeberuf liegt.

Ulrich Schneider hatte offenbar zunächst nicht berücksichtigt, dass Jens Spahn von 1.900 Euro Netto gesprochen hat. Der Durchschnittsverdienst für Arbeitnehmer in Pflegeberufen lag im Jahr 2013 bei 2.410 Euro Brutto. Das geht aus einer Analyse auf Grundlage der Lohnspiegel-Datenbank der Boeckler-Stiftung hervor. Demnach liegt die Spanne der Entlohnung zwischen 1.850 Euro Brutto für einen Helfer in der Krankenpflege und 3.130 Euro für eine Operationsschwester- oder einen OP-Pfleger. Geht man von durchschnittlichen Abzügen in Höhe von 33 Prozent aus, wie es das Institut für Arbeit und Qualifikation der Uni Duisburg-Essen für das Jahr 2013 berechnete, erhält eine Pflegekraft, die 1.900 Euro Netto verdient, demnach rund 2.800 Euro Brutto. Damit liegt sie durchaus über dem durchschnittlichen Einkommen für Arbeitnehmer in Pflegeberufen.

Ulrich Schneider über drohende Altersarmut

Ulrich Schneider vom Verband "Der Paritätische" warnt vor steigender Altersarmut. Zwar sei es richtig, dass heute nur rund drei Prozent der Rentner auf eine Grundsicherung angewiesen sind. Gleichzeit aber lägen über 15 Prozent aller Rentner mit ihrem Haushaltseinkommen nur knapp über der Bemessungsgrenze für dieses Grundeinkommen. Diese Zahl sei in den vergangenen zehn Jahren deutlich angestiegen. Ist die Gefahr für Altersarmut gewachsen?

"Tatsächlich liegt die Armutsgefährdungsquote für Menschen über 65 Jahren in Deutschland aktuell unter der der Gesamtbevölkerung", sagt Florian Blank. Bis vor Kurzem seien Menschen über 65 auch gegenüber allen anderen Altersgruppen am wenigsten gefährdet gewesen, so der Sozial-Experte. Zwar sei die Grundsicherungsquote nach wie vor niedrig, so Blank, in der Tendenz aber seien sowohl mit Blick auf die Armutsgefährdung als auch den Bezug von Grundsicherungsleistungen steigende Zahlen zu verzeichnen. "Sowohl die aktuelle Entwicklung als auch Überlegungen zur zukünftigen Situation werden in der Wissenschaft seit einiger Zeit diskutiert. Wiederholt ist vor der Wiederkehr von Altersarmut in Deutschland gewarnt worden", sagt Blank. Gründe für diese Warnungen seien das sinkende Leistungsniveau der Rentenversicherung und die Lücken bei der zusätzlichen Vorsorge, aber auch veränderte Lebensläufe und Arbeitsmarktbedingungen, durch die Menschen die Voraussetzungen für ein ausreichend Alterseinkommen nicht mehr erfüllen, erklärt der Experte. Sein Fazit: "Die Warnung für die Zukunft ist berechtigt."

Hermann-Josef Tenhagen über Rentner von heute und morgen

Nach Ansicht von Hermann-Josef Tenhagen werden die künftigen Rentner deutlich größere Probleme bekommen als die Rentner von heute. Als Grund nennt er die heute häufig niedrigen Löhne, mit denen nur eine geringe Rente erzielt werden könne. Stimmt seine Einschätzung?

"Der Einschätzung ist zuzustimmen", sagt Florian Blank von der Hans-Böckler-Stiftung. Nach Ansicht des Rentenexperten gerät das Rentensystem von zwei Seiten unter Druck: "Zum einen durch ein sinkendes Rentenniveau, durch das Renten und auch die Ansprüche der jetzigen Beitragszahler abgewertet werden. Zum anderen dadurch, dass Menschen, die jetzt im Erwerbsleben stehen, geringere individuelle Ansprüche auf eine Rente erwerben als frühere Generationen." Ursache hierfür sind laut Blank die veränderten Erwerbsbiografien. Hierzu zählten häufigere Phasen von Arbeitslosigkeit und längere Bildungszeiten ebenso, wie die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, wie etwa Arbeit unter prekären Bedingungen, so Blank. Aber auch rentenrechtliche Veränderungen tragen demnach zu der Entwicklung bei: "Phasen andauernder Arbeitslosigkeit mit Bezug von "Hartz IV" führen in der Rentenversicherung nicht mehr zu Ansprüchen. Das war bei der Arbeitslosenhilfe noch anders geregelt", erklärt Blank. Zwar seien durch die 2014 eingeführte Mütterrente die Zeiten der Kindererziehung aufgewertet worden, in der Summe jedoch geht der Rentenexperte davon aus, dass Jüngere voraussichtlich geringere Renten erzielen.

Auch Tabea Bucher-Koenen, Rentenexpertin vom Max-Planck-Institut, hält die Einschätzung grundsätzlich für schlüssig, auch wenn differenziert werden müsse: Sie verweist ebenfalls auf die veränderten Rahmenbedingungen: "Maßgeblich für die Bestimmung der Renten sind nicht nur die Löhne – welche heutzutage im Durchschnitt höher sind als früher –, sondern vielmehr die kompletten Erwerbsbiografien der Versicherten. Die Arbeitsmarktentwicklung der vergangenen Jahrzehnte war gekennzeichnet von einer zunehmenden Flexibilisierung der Beschäftigung, steigenden Phasen von Arbeitslosigkeit (insbesondere in Ostdeutschland) und einem Anstieg der Beschäftigung im Niedriglohnbereich." Diese individuellen Erwerbsbiografien beinhalten laut Bucher-Koenen seltener langjährige sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung, was sich negativ auf die zukünftigen Rentenansprüche auswirke. "Das gilt in besonderem Maße für die jüngeren Geburtsjahrgänge in den neuen Bundesländern, die häufig Zeiten der Arbeitslosigkeit aufweisen", sagt die Expertin. Immerhin aber könne bei den Frauen in Westdeutschland insgesamt eine steigende Erwerbsbeteiligung festgestellt werden. Dies werde sich künftig positiv auf die Rentenansprüche auswirken. Für die Männer in den alten Bundesländern werde es dagegen kaum Veränderungen geben, so die Rentenexpertin.

Stand: 19.04.2016, 08:43 Uhr