Gekommen um zu bleiben - wie werden aus Einwanderen Deutsche?

Der Faktencheck zur Sendung vom 18.04.2016

Deutschland streitet über die Integration der Flüchtlinge. Bei "hart aber fair" haben die diskutiert, die sich schon integriert haben und die jetzt mittendrin sind: Als Rockstar, Top-Fußballer, Fernsehmoderatorin. Was können die Neuen erwarten, was sollten wir verlangen?

Eine Talkshow ist turbulent. Auch in 75 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und überprüft einige Aussagen der Gäste. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Mehmet Daimagüler über Zuwanderung

Der Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler ist sicher, dass Deutschland Einwanderung braucht. Alleine, um die sozialen Sicherungssysteme aufrecht zu erhalten, seien 500.000 Einwanderer nötig. Hat er Recht?

"Das kann man nicht mit Ja oder Nein beantworten", sagt der Integrationsforscher Wolfgang Bosswick.  "Sicher ist, dass Bürger mit Migrationshintergrund wesentlich durch ihre Beiträge und Steuern zu den sozialen Sicherungssystemen beitragen, und dass die deutsche Bevölkerung ohne Einwanderung schrumpfen und zunehmend überaltern würde", stellt Bosswick klar. Inwieweit Einwanderung jedoch zur Bewältigung dieser Problematik beiträgt, hänge von vielen Faktoren ab. Demographisch etwa vom Nachwuchs sowohl der Migranten als auch Einheimischen, vom durchschnittlichen Alter der Erstgebärenden oder der Zahl der Kinder, sagt Bosswick. Aus wirtschaftlicher Sicht müsse unter anderem das Wachstum der Produktivität und die Teilhabe von Migranten im Bildungssystem berücksichtigt werden. Bosswick: "Seriöse Prognosen sind hier kaum zu erstellen, aber Empfehlungen, wie der mögliche Beitrag von Migranten besser aufgegriffen werden kann, schon."

Markus Söder über Integration in Bayern

Markus Söder (CSU) lobt die Integrationspolitik in Bayern. Er sagt, in Bayern gebe es die höchste Erwerbsquote und die niedrigste Armutsquote unter Migranten. Darüber hinaus hätten Migranten in Bayern im Vergleich zu anderen deutschen Bundesländern das höchste Bildungsniveau. Stimmt das?

In Sachen Erwerbsquote stimmt Wolfgang Bosswick zu: "Die Arbeitslosenquoten bei ausländischen Erwerbspersonen sind in Bayern und Baden-Württemberg bundesweit am niedrigsten."  Und auch bei der Armutsrisikoquote steht Bayern mit am besten da. Das Risiko, von Armut betroffen zu sein, liegt bei ausländischen Staatsangehörigen in Bayern und Brandenburg mit 22,4 Prozent am niedrigsten, so Bosswick. Bei Personen mit Migrationshintergrund liege dieses Risiko demnach nur in Baden-Württemberg (18,5 Prozent) noch niedriger als in Bayern (18,9 Prozent).

Differenzierter beurteilt Bosswick die Situation im Bereich des Bildungsniveaus: "Das stimmt für vereinzelte Indikatoren, aber nicht generell. So schneidet in der PISA-Studie aus dem Jahr 2000 Bayern bei den Kompetenzpunkten von Schülern mit Migrationsgeschichte unter den Bundesländern am besten ab – allerdings wie alle anderen Bundesländer noch unter dem OECD-Gesamtdurchschnitt aller untersuchten Staaten." Auch beim Vergleich von Einheimischen mit Bürgern mit Migrationshintergrund ohne berufliche Ausbildung oder Hochschulabschluss schneidet Bayern laut Bosswick am besten ab. So sei die Situation für Migranten in allen anderen Bundesländern im Vergleich zu den Einheimischen deutlich schlechter. Darüber hinaus sei auch der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund ohne allgemeinbildenden Schulabschluss unter den alten Bundesländern in Bayern am niedrigsten. Hier schneiden laut Bosswick nur die neuen Bundesländer besser ab.

Bosswick gibt aber zu bedenken, dass sich die Probleme von Migrantenkindern im deutschen Bildungssystem, das viel Unterstützung durch die Eltern verlange, stark nach den Herkunftsländern der Eltern unterscheide: “Kritisch sind vor allem türkische Familien wegen der geringen Schulbildung der aus ländlichen Regionen stammenden ersten Generation“, sagt Bosswick. Aber auch bei italienischen Familien treten eher Probleme auf, da durch die häufige Pendelmigration zwischen Deutschland und Italien viele Schulwechsel nötig würden. "Familien aus anderen EU-Staaten und osteuropäischen Staaten schneiden hier wesentlich besser ab", sagt Bosswick.

Nazan Eckes über die "hart aber fair" - Umfrage

Die Moderatorin Nazan Eckes hatte leichte Zweifel an dem Ergebnis unserer Straßenumfrage unter Menschen mit Migrationshintergrund in Dortmund. "hart aber fair" fragte, ob Deutschland noch mehr Flüchtlinge aufnehmen solle.

Das Ergebnis unserer Umfrage war ausgewogen. Von den fünf Befragten sprachen sich lediglich zwei eindeutig gegen die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus. Natürlich ist eine solche Straßenumfrage nicht repräsentativ.

Allerdings kommt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes "Yougov" im Auftrag für die "Welt am Sonntag" zu dem Ergebnis, dass deutlich mehr Menschen mit Migrationshintergrund einer weiteren Aufnahme von Flüchtlingen skeptisch gegenüber stehen. 40 Prozent der Deutschen mit Migrationshintergrund sprachen sich dafür aus, dass Deutschland weniger Flüchtlinge aufnehmen solle. Gut ein Viertel war sogar der Ansicht, Deutschland solle gar keine Flüchtlinge mehr aufnehmen. Unter den Befragten ohne Migrationshintergrund waren 45 Prozent der Meinung, Deutschland solle weniger Flüchtlinge aufnehmen – nur unwesentlich mehr als bei Menschen mit Migrationshintergrund. 25 Prozent der Befragten ohne Zuwanderungsgeschichte sagten, Deutschland solle gar keine Flüchtlinge mehr aufnehmen.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Emnid-Umfrage im Auftrag der Universität Münster unter schon länger hier lebenden Syrern. Zwar begrüßt die Mehrheit die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, gleichzeitig spricht sich die Hälfte jedoch für eine Obergrenze aus. 46 Prozent der Befragten machen sich darüber hinaus Sorgen, ob unter den neu ankommenden Flüchtlingen nicht auch viele Terroristen seien. Damit unterscheiden sich die Syrer in ihren Ängsten kaum von der Mehrheitsgesellschaft.

Beide Studien waren Frank Plasberg und der Redaktion bekannt und haben uns veranlasst, mit den Stimmen aus Dortmund genau diese Studien zu illustrieren.

Mehmet Daimagüler über Versäumnisse der Politik

Mehmet Daimagüler sagt,  die Politik habe es über Jahrzehnte versäumt, Integrationsangebote für die Gastarbeiter aus den 60er Jahren anzubieten. Hat er Recht?

Auch hier differenziert Wolfgang Bosswick: "Für die Bundes- und viele Landespolitiken stimmt das weitgehend, und für die ehemalige DDR mit ihren Gastarbeitern auch." Für die Kommunen, und da vor allem die städtischen Zentren, stimme das jedoch nicht, so der Experte. "Hier hat bereits Anfang der siebziger Jahre eine sehr intensive und pragmatische Integrationsarbeit auf kommunaler Ebene begonnen, die wesentlich zum sozialen Frieden in Deutschland und der weitgehend gelungenen Integration beigetragen hat und einen riesigen Erfahrungsschatz birgt."  Sehr wichtig sei auch die Gleichbehandlung der Gastarbeiter bei der sozialen Sicherung gewesen, die zwischen den Sozialpartnern zu Beginn der Gastarbeiteranwerbung vereinbart worden war, sagt Bosswick. "Deshalb haben die Gewerkschaften – im Gegensatz zum Beispiel zu den Niederlanden – in Deutschland die Einwanderer voll integriert, und die Integration über die Arbeit gehört zu den Erfolgsgeschichten der deutschen Einwanderungsgeschichte", sagt Bosswick.

Stand: 19.04.2016, 08:43 Uhr