Zocker belohnen, Sparer bestrafen – Zinspolitik gegen die Bürger?

Der Faktencheck zur Sendung vom 21.03.2016

Dank Billiggeld verdienen Zocker an Aktien und Immobilien, für einfache Sparer gibt’s aber nur noch Null-Zinsen. Wie soll man da fürs Alter vorsorgen? Wohin mit dem Ersparten und welchem Bankberater kann man sein Geld noch anvertrauen?

Eine Talkshow ist turbulent. Auch in 75 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und überprüft einige Aussagen der Gäste. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Sahra Wagenknecht über Versäumnisse der Politik

Sahra Wagenknecht (Die Linke) wirft der Politik vor, auch nach der Finanzkrise nicht genügend gegen Finanzprodukte zu unternehmen, die für den normalen Anleger ein großes Risiko darstellen. Ralph Brinkhaus (CDU) hält dagegen, dass in den vergangenen sechs Jahren zahlreiche Gesetze auf den Weg gebracht wurden. So sei beispielsweise die Qualität der Beratung verbessert worden. Außerdem seien Produkte vom Markt genommen worden, die für Kleinanleger nicht geeignet sind. Wie wirksam sind die Maßnahmen der Politik tatsächlich?

“Tatsächlich wurden seit 2008 einige Gesetze zum Anlegerschutz auf den Weg gebracht”, bestätigt Dorothea Mohn von der Verbraucherzentrale Bundesverband. So seien Beratungsprotokolle, so genannte Produktinformationsblätter und erweiterte Informationspflichten bei Produkten des grauen Kapitalmarkts eingeführt worden. “Daneben wurde die Finanzaufsicht BaFin auch für den Verbraucherschutz zuständig erklärt. Der BaFin ist es beispielsweise möglich, Produkte vom Markt zu nehmen, wenn diese als für Kleinanleger nicht geeignet erklärt werden”, sagt die Finanzexpertin. Dennoch gebe es nach wie vor Defizite: “Trotz dieser neuen gesetzlichen Regelungen ist nicht erkennbar, dass sich die Qualität der Beratung verbessert hätte. Diese ist nach wie vor unzureichend und schlecht”, so das Urteil von Dorothea Mohn. Für eine effiziente Beratungsqualität im echten Interesse des Verbrauchers sei es erforderlich, den durch Provisionen erzeugten Interessenkonflikt in der Beratung aufzulösen, fordert Mohn. “Dafür müssten, wie in Großbritannien und den Niederlande, Provisionen im Finanzvertrieb verboten werden." Mit Blick auf die Teilprivatisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung sei dies alles andere als von Vorteil, so Mohn.

Rainer Voss über weltweite Verschuldung

Der ehemalge Investmentbanker Rainer Voss sieht in der Niedrigzinspolitik gar nicht das größte Problem. Viel gravierender sei die Gesamtverschuldung in der Welt, die man auch nach der Finanzkrise nicht in den Griff bekommen habe. Die Verschuldung sei in den vergangen Jahren sogar noch einmal deutlich gestiegen. Hat er Recht?

"Die Zunahme der weltweiten Verschuldung stellt nicht das eigentliche, sondern auch ein Problem dar", sagt die Volkswirtschaftlerin der Uni Düsseldorf, Prof. Ulrike Neyer . Dieses Problem liege jedoch nicht in der Zunahme der absoluten Verschuldung, sondern in der starken Zunahme in Relation zum Einkommen, erklärt Neyer. "So ist in den letzten acht Jahren die globale Verschuldung relativ zum globalen Bruttoinlandsprodukt - als ein Maß für das globale Einkommen - laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) von 180 Prozent auf über 200 Prozent gestiegen." Dies wirft nach Ansicht der Expertin für Geldpolitik die Frage auf, inwiefern diese Schuldenlast tragfähig ist, also aus künftigen Einkommen der Schuldner weiter finanziert werden kann oder möglicherweise Ursache einer neuen Finanzkrise sein kann. "Die BIZ sieht in ihrem aktuellen Vierteljahresbericht diesbezüglich vor allem ein Problem darin, dass die Verschuldung in Schwellenländern zugenommen hat, und zwar insbesondere von privaten Unternehmen - bei sinkendem Einkommen dieser Unternehmen. Hinzu kämen stark steigende Vermögenspreise in diesen Ländern und das Eingehen hoher Risiken seitens der Investoren." Dies seien beides Entwicklungen, die man am Vorabend der letzten Finanzkrise beobachten konnte, so Ulrike Neyer.

Michael Kemmer über Sparen und Aktien

Michael Kemmer vom Bundesverband deutscher Banken teilt die Ansicht nicht, dass es heute nichts mehr bringen würde, sein Geld auf die Seite zu legen. So könne man über einen Zeitraum von 20-30 Jahren durchaus auch bei niedrigen Zinsen hervorragende Renditen erzielen, wenn man sein Geld regelmäßig und breit gestreut in Aktien anlegt. Hat er Recht?

"Herr Kemmer hat Recht", stimmt Dorothea Mohn von der Verbraucherzentrale Bundesverband zu. "Es macht trotz niedriger Zinsen Sinn, zu sparen und es wäre fahrlässig, es wegen der niedrigen Zinsen nicht zu tun", so die Finanzexpertin. Richtig sei auch die Empfehlung, dies breit gestreut auch mit Aktien zu verbinden. Allerdings sieht Dorothea Mohn auch eine große Diskrepanz zwischen Anspruch und Bankenwirklichkeit: "Verbrauchern wird von Banken und Sparkassen meistens gerade kein breit gestreutes Aktienportfolio empfohlen, bei dem auch günstige Anlagebedingungen berücksichtigt würden. Vielmehr werden Verbrauchern vielfältig teure Garantieprodukte verkauft. Häufig im Mantel einer teuren Versicherung als fondsgebundene Versicherung oder verpackt als Zertifikat, gerne als Garantiezertifikat", erklärt Mohn. Dabei werde kaum über die Kosten und Nachteile der Garantien gesprochen, kritisiert die Verbraucherschützerin: "Dabei machen Garantieprodukte für die Altersvorsorge und den langfristigen Vermögensaufbau wenig Sinn."

Sahra Wagenknecht über die Niedrigzinspolitik

Sahra Wagenknecht ist sicher, dass sich die EZB mit der Entscheidung, den Leitzins auf null Prozent zu senken, lediglich Zeit erkauft. Sollte die EZB das Zinsniveau wieder normalisieren, würde die Finanzkrise sofort wieder zu Tage treten, weil die verschuldeten Staaten ihre Kredite gar nicht mehr bezahlen könnten. Stimmt ihre Einschätzung?

"Ob es bei einer Normalisierung des Zinsniveaus sofort wieder zu einer Staatsschuldenkrise kommt, ist nicht sicher, kann aber auch nicht ausgeschlossen werden“, sagt Ulrike Neyer. Zumindest würde eine Erhöhung des Zinsniveaus viele Länder in der Währungsunion vor große Haushaltsprobleme stellen, da die Staatsverschuldung in vielen Ländern nach wie vor sehr hoch sei, erklärt Neyer. "Betrachtet man die Verschuldung der Länder im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, also Verschuldung im Verhältnis zum Einkommen, so reißen 13 der 19 Mitgliedländer die einmal gesetzte Obergrenze für diese Verschuldungsquote von 60 Prozent – darunter auch Deutschland. Neun Länder weisen eine Quote von über 80 Prozent auf und fünf Länder sogar von über 100 Prozent, darunter so große Staaten wie Italien und Spanien." Hinzu komme, dass elf der 13 Länder nach wie vor ein Haushaltsdefizit aufweisen, sich also weiterhin immer wieder neu verschulden, sagt die Volkswirtschaftlerin. Zwar könnte die Schuldenlast bei einem höheren Wirtschaftswachstum besser getragen werden, sagt Neyer. Das Wachstum sei aber – mit Ausnahme von Spanien – mit gerade einmal 1 bis 2 Prozent relativ gering.

"Würde die EZB die Zinsen jetzt erhöhen, stiegen die Zins- und damit die Haushaltsbelastung aufgrund der sehr hohen Verschuldung in einer Reihe von Ländern stark an. Eine erneute Staatschuldenkrise kann dann für einige Länder zumindest nicht ausgeschlossen werden", so Ulrike Neyer. Auch sie sagt, dass den Ländern durch die extreme Niedrigzinspolitik der EZB Zeit gekauft werde. Zeit, in der die Länder ihre Staatshaushalte durch strukturelle Reformen, die zu einem nachhaltigen Rückgang der Schuldenquote führen, sanieren können, so die Expertin. Ihrer Ansicht nach wurde diese Zeit jedoch nicht hinreichend genutzt.

Michael Opoczynski über Finanzprodukte und Provisionen

Michael Opoczynski sieht die Provisionen, die Banken für bestimmte Produkte erhalten, kritisch. Er sagt, je riskanter ein Produkt, desto höher ist die Provision. Dies führe oft dazu, dass Bankberater sich dem Druck ausgesetzt sehen, dem Kunden auch riskante Produkte zu verkaufen. Ist das die Ausnahme oder doch gängige Praxis?

“Es gibt keinen strengen Zusammenhang zwischen hoher Provision und hohem Produktrisiko”, sagt Dorothea Mohn. So gebe es sehr viele Produkte, für die es hohe Provisionen gibt, gleichzeitig aber durchaus als sicherheitsorientiert einzustufen seien, so die Expertin. Hierzu zählten etwa kapitalansparende Versicherungen oder besicherte Garantiezertifikate. Richtig sei aber, dass Provisionen in der Anlageberatung kritisch zu sehen sind: “Provisionen erzeugen einen Interessenkonflikt, vor allem Produkte mit hohen Provisionen zu empfehlen. Diese sind dann für Verbraucher teure Produkte, mit denen weniger Rendite möglich ist. Daneben entsteht ein Anreiz, Verbrauchern immer wieder zur Kündigung bestehender Produkte und zum Abschluss neuer Produkte zu raten”, erklärt Mohn. So würden auf Seiten des Vertriebs neue Provisionen generiert, auf Verbraucherseite aber werde der Vermögensaufbau und die Rendite gestört, sagt Dorothea Mohn.

Klaus Nieding und Michael Kemmer über Banken und Kredite

Klaus Nieding sagt, es sei eine "Unart", dass Banken nicht bereit sind, Unternehmen durch Kredite zu finanzieren. Stattdessen würden sie die Risiken durch Anleihen der Unternehmen an die Kunden weiter geben. Banken würden sehr wohl Kredite vergeben, sagt dagegen Michael Kemmer. Er wehrt sich gegen eine solche Pauschalisierung.

Bei einer Summe von 1,3 Billionen Euro, die Banken im vergangenen Jahr als Kredite an deutsche Unternehmen und Selbstständige gezahlt haben, kann den Banken sicher nicht vorgeworfen werden, sie würden keine deutschen Unternehmen finanzieren. Im Vergleich zum Jahr 2014 stieg die Höhe der Kredite sogar leicht an und bewegte sich im Rahmen der Gesamtkreditvergabe der vergangenen sieben Jahre.

Die Vergangenheit hat aber auch gezeigt, dass Anleger durch Anleihen von Unternehmen, die sie über ihre Bank erworben haben, viel Geld verloren haben. Aktuellstes Beispiel ist der Fall "german pellets". Tausende Anleger haben dem Unternehmen durch Anleihen über 200 Millionen Euro gegeben. Das Unternehmen konnte diese Anleihen allerdings nicht zurückzahlen und die Anleger füchten nun um ihr Geld. Eine Verlängerung der Laufzeiten sowie eine Reduzierung der  in Aussicht gestellten Zinsen  von 7,25 Prozent auf 5,25 Prozent lehnten die Gläubiger ab. Im Februar dieses Jahres meldete "german pellets" Insolvenz an. Wo genau das Geld der Anleger verblieben ist, versuchen derzeit unter anderem die Staatsanwaltschaft und die Insolvenzverwalterin heraus zu finden.

Die bisher größte Pleite der Windenergiebranche legte die Firma "Prokon" hin. Über 70.000 Anleger hatten 1,4 Milliarden Euro in den Windparkbetreiber investiert. Den Kunden wurden über Genussscheine hohe Renditen versprochen. Allerdings geriet das Unternehmen in die Krise, weil zu viele Anleger ihr Geld gleichzeitig zurückzogen. Darüber hinaus gelang es nicht, ausreichend neue Anleger zu finden. Immerhin entgingen die Anleger im Fall von "Prokon" einem Totalverlust. Das Unternehmen wurde in eine Genossenschaft umgewandelt. Über Genossenschaftsanteile und Anleihen sollen die Gläubiger – je nach Entwicklung von "Prokon" - bis zu 60 Prozent ihrer Forderungssumme zurück erhalten.

Stand: 22.03.2016, 10:01 Uhr