"Mehmet Kubaşık war einer von uns!"

Von Dominik Reinle und Sabine Tenta

Die Hinterbliebenen der mutmaßlichen NSU-Mordopfer trafen sich zum Gedenken in Dortmund. Dort war 2006 Mehmet Kubaşık in seinem Kiosk erschossen worden. Oberbürgermeister Sierau würdigte den Ermordeten.

Seit Oktober 2014 besuchen die Familien der mutmaßlichen NSU-Opfer die Gedenkstätten für ihre getöteten Angehörigen. Nach Rostock, München und Hamburg trafen sie sich am Montag (30.11.2015) in Dortmund. Dort wurde am 4. April 2006 in der Mallinckrodtstraße der deutsch-türkische Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık erschossen. Er war das achte Opfer der bundesweiten Mordserie, für die der NSU verantwortlich sein soll.

Die Reisen der Angehörigen organisiert die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer, Barbara John. Sie tröstet Elif Kubaşık, die Witwe des ermordeten Kioskbesitzers.

Für die Angehörigen war es sichtlich bewegend, zusammen am Tatort zu gedenken. Die Tochter und die Witwe von Mehmet Kubaşık sind die Ersten, die am Gedenkstein weiße Rosen niederlegen.

Es ist ein stilles Gedenken. Deshalb haben sich die Angehörigen auch gegenüber den Medien nicht geäußert.

"Damals war hier noch ein Kiosk, der Kiosk von Mehmet Kubaşık", sagte der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) in seiner kurzen Ansprache, bevor er ebenfalls eine Blume am Gedenkstein niederlegte. Das Geschäft gebe es zwar nicht mehr. "Was aber geblieben ist, sind die Erinnerung und das Gedenken an einen aufrichtigen Bürger, einen guten Ehemann und Vater." Sierau betonte: "Mehmet Kubaşık war einer von uns!"

"Das Wichtigste für die Angehörigen ist, dass sie zusammen sind und sich austauschen können", sagt Barbara John. "Das sind Familien, die aus verschiedenen Städten kommen, die meisten hatten vorher kaum Kontakt untereinander." Sie hätten alle das Gleiche erlebt und wüssten, wie sich das anfühlt.

Nach dem Gedenken am Tatort in der Mallinckrodtstraße besuchten die Hinterbliebenen das Mahnmal für die zehn mutmaßlichen Mordopfer des NSU in der Nähe des Hauptbahnhofs. Denn dort befindet sich die Steinwache, die während der Nazi-Diktatur ein Gestapo-Gefängnis war. "Heute ist die Steinwache der zentrale Ort der Erinnerungskultur in Dortmund und deshalb haben wir für den Gedenkstein für die Opfer des NSU-Terrors auch diesen Ort gewählt", sagte Oberbürgermeister Sierau.

Den Angehörigen sagte das Stadtoberhaupt, das Versprechen "Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!" gehöre zu den Grundfesten der freiheitlich-demokratischen Ordnung. "Und dieses Versprechen hat dieser Staat und haben die Behörden, die ihn und seine Menschen schützen sollten, in den Jahren des NSU-Terrors nicht gehalten."

Sierau unterstrich, dass zudem noch die Opfer und ihre Familien kriminalisiert worden seien. "Das alles beschämt uns sehr!" Leider bestehe bis heute der Eindruck, dass nicht alle Behörden "wirklich rückhaltlos zur Aufklärung der Verbrechen beitragen."

"Heute ist aber auch ein Tag des Innehaltens und des Gedenkens an die Verstorbenen", sagte der Oberbürgermeister. Auch am Mahnmal wurden Blumen niedergelegt.

Barbara John weiß aus zahlreichen Gesprächen mit den Angehörigen: "Es treibt sie auch immer die Frage um, warum mein Ehemann, mein Vater? Warum dieses Geschäft? Die Täter kommen doch nicht her, steigen am Bahnhof aus, laufen dann rum und schießen irgendwo. Sondern es muss vorher genau geplant und organisiert worden sein. Wer sind die Helfer? Über diese Netzwerke wissen wir bisher so gut wie gar nichts."

Die Ombudsfrau der Bundesregierung betonte, es gehe auch um die Kinder. "Wir haben bei unserem Treffen denjenigen gratuliert, die inzwischen Nachwuchs bekommen haben. Das sind bereits die Enkel der Opfer." Daran sehe man, dass sich die Familien in Deutschland zu Hause fühlten. "Wir sind gefordert. Denn diese Familien brauchen unsere Unterstützung."

Stand: 30.11.2015, 11:13 Uhr