"Adolf Sauerland fühlt sich bis heute falsch verstanden"

Stand: 28.11.2016, 10:00 Uhr

Nach der Loveparade-Katastrophe wies Duisburgs damaliger Oberbürgermeister Adolf Sauerland alle Schuld von sich. An seiner Einstellung habe sich bis heute nichts geändert, sagt die Journalistin Eva Müller im WDR 5-Interview.

Die TV-Autorin Eva Müller hat Adolf Sauerland in seinem Alltag begleitet. In ihrem Film "Adolf Sauerland. Ein Mann, kein Wort?" stellt sich Duisburgs ehemaliger Oberbürgermeister erstmals seit 2012 wieder den Fragen einer Journalistin und spricht über Schuld, Verantwortung und warum er nicht zurückgetreten ist im Sommer 2010 nach der Loveparade-Katastrophe, bei der 21 Menschen starben und mindestens 652 verletzt wurden.

WDR 5: Adolf Sauerland hat sich nach seiner Abwahl 2012 aus der Politik zurückgezogen und sich bis jetzt nicht mehr mit Journalisten unterhalten. Wie lebt er heute?

Eva Müller

Eva Müller begleitete Adolf Sauerland über mehrere Jahre

Eva Müller: Das Interessanteste fand ich, dass er einen Job und eine neue Aufgabe gefunden hat. Er arbeitet jetzt in einem Reisebüro in Duisburg, das seiner Familie schon seit den 1950er Jahren gehört. Dort verkauft er vor allem Hochzeitsreisen. Das ist sein Steckenpferd. Er arbeitet dort tatsächlich wie ein ganz normaler Arbeitnehmer. Er nimmt auch Päckchen an, denn das Reisebüro ist auch ein Paketshop. Seine Frau arbeitet auch mit im Laden. Er hat ein geregeltes Leben dort und fühlt sich in diesem Job, glaube ich, auch einigermaßen wohl.

WDR 5: Das klingt nach einem geregelten neuen Leben. Aber trotzdem wollte er sich jetzt zum ersten Mal wieder äußern?

Müller: Ich hatte auch den Eindruck, dass es eigentlich doch gerade ruhig um ihn ist. Aber es ist ja tatsächlich so, dass in diesem Jahr etwas passiert ist in Sachen Loveparade, das vor allem für die Betroffenen, für die Opfer, für die Angehörigen extrem bitter ist. Das Gericht in Duisburg hat den Prozess nicht zugelassen, wegen Mängeln in der Anklage. Das bedeutet eben, dass auf diesem Stuhl des Verantwortlichen für die Katastrophe bisher nur einer sitzt, und zwar er, Adolf Sauerland. Er ist von seinen Bürgern verantwortlich gemacht und dafür abgewählt worden. Ich glaube, das war jetzt für ihn der Anlass, nochmal zu reden. Denn er fühlt sich bis heute falsch verstanden von der Presse und auch von seinen Bürgern. Er habe eine solche Veranstaltung nie in Duisburg haben wollen, betonte er. Dass dem so ist, bestätigten mir auch seine ehemaligen Kollegen aus dem Rat und seine ehemalige Stellvertreterin.

WDR 5: Man fragt sich trotzdem: Warum betont er das jetzt noch einmal? Warum nimmt er wieder in Kauf, die Betroffenen mit so einer Aussage zu provozieren?

Müller: Es ist ja tatsächlich so, dass Adolf Sauerland bei diesem ganzen Versuch, einen Prozess zu führen, nie angeklagt worden ist. Er ist juristisch längst rehabilitiert, aber eben moralisch nicht. Die Duisburger haben ihm übel genommen, dass er nicht direkt auf die Opfer zugegangen ist. Diese Pressekonferenz damals haben viele noch vor Augen: Er saß auf dem Podium und antwortete auf die Frage, ob er sich verantwortlich fühlt, mit Nein. Er hat den Kopf geschüttelt und ins Leere geguckt. Ich hab schon das Gefühl, dass er nochmal erklären möchte, warum er sich damals so verhalten hat.

Auf einem Schild am Zugang des Loveparadegeländes wird Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland angepangert.

Duisburger Bürger wählten Adolf Sauerland 2012 ab

Es war tatsächlich so, dass er ziemlich schnell im Mittelpunkt stand. Auch auf der Tunnelwand, dort wo das Unglück stattgefunden hat, stand schon am Tag danach "Sauerland, du bist ein Mörder". Das Problem aber war vor allen Dingen, dass er nach diesem Unglück einfach weitermachen wollte. Das waren nicht nur diese ersten Tage, sondern er wollte 15 Monate im Amt bleiben. Wir haben ihn auch schon in dieser Zeit mit der Kamera begleitet. Da sieht man, wie er unbedingt im Amt belieben wollte, weil er sich eben nicht verantwortlich fühlte, weder inhaltlich noch juristisch, aber eben auch nicht moralisch. Er wollte nicht gehen. Er wollte diesen Posten nicht räumen.

WDR 5: Die Bürgerinitiative, die in Duisburg für seine Abwahl kämpfte, hat damals gesagt, es gehe ihr gar nicht um die Frage einer juristischen Verantwortung. Eine Frage von Anstand, also von moralischer Verantwortung, stand damals im Vordergrund, die er im Namen der Stadt hätte übernehmen müssen.

Adolf Sauerland

Sah und sieht sich nicht in der Verantwortung: Duisburgs Ex-OB

Müller: Das ist genau dieses Missverständnis oder dieser Widerspruch, wenn man so will. Adolf Sauerland hat sich damals für den Weg entschieden, zu sagen, wenn man juristisch nicht verantwortlich ist, dann bleibt man. Aber die Bürger sagten, wer sich gegenüber Opfern so verhält, der muss gehen. Dieses Hin und Her gab es damals schon. Er hatte einfach das Gefühl, er müsse nur den Prozess abwarten und irgendwann werde klar sein, wer der wirklich Schuldige ist. Seit diesem Jahr ist klar: Es wird erstmal keine Aufklärung geben. Fragen werden nicht beantwortet werden. Schuld wird nicht zugewiesen werden. Das ist vor allen Dingen für die Opfer, die Angehörigen, die Familien bitter, aber eben auch für Adolf Sauerland.

Die Fragen stellte Judith-Schulte-Loh im Morgenecho vom 28.11.2016.

Für eine bessere Rezeption weicht die schriftliche Fassung des Interviews an einigen Stellen vom gesendeten Interview ab. Die intendierte Ausrichtung der Fragen und Antworten bleibt dabei unberührt.