Letzter Arbeitstag bei der WR

"Katastrophe für den Zeitungsmarkt"

Stand: 31.01.2013, 06:00 Uhr

Der WAZ-Medienkonzern macht Ernst: Am Freitag (01.02.2013) erscheint die letzte Ausgabe der Westfälischen Rundschau (WR). Dann wird das Blatt von anderen Redaktionen gemacht. Der Dortmunder Zeitungswissenschaftler Horst Röper gibt der WR keine Zukunft.

Aktuell hat die Westfälische Rundschau eine Auflage von 115.000 Exemplaren. Zum Verbreitungsgebiet zählen Dortmund, das östliche Ruhrgebiet und Südwestfalen. Vor zwei Wochen kündigte der WAZ-Medienkonzern an, die gesamte Redaktion mit 120 Journalisten zu schließen. Die Zeitung soll es aber weiter geben. Der Mantel der WR wird ab Freitag in der Zentrale des WAZ-Medienkonzerns produziert, der Lokalteil kommt von anderen WAZ-Zeitungen oder konkurrierenden Blättern.

WDR.de: Wie bewerten Sie diesen drastischen Schritt?

Horst Röper: Der Schritt ist allenfalls betriebswirtschaftlich nachzuvollziehen. Tatsächlich ist es eine Katastrophe für den Zeitungsmarkt. Wir verlieren deutlich an Vielfalt. Unterschiedliche Quellen entfallen mit der Schließung der WR-Redaktionen. Die lokale Berichterstattung wird vielerorts monopolisiert.

WDR.de: Was hat den WAZ-Konzern zu dem Umbau bewogen?

Röper: Das sind sicherlich finanzielle Gründe, die diese Entscheidung aus Sicht der WAZ nötig gemacht haben. Der Konzern hat regelmäßig mit einem Schwund der Auflage und der Anzeigen argumentiert. Die Westfälische Rundschau hat in den vergangenen Jahren ein zu hohes Minus eingefahren, das man nicht mehr bereit ist zu tragen.

WDR.de: Wo liegt das Problem der Westfälischen Rundschau?

Röper: Die WR ist in großen Teilen des Verbreitungsgebiets nur Zweitanbieter, also nicht die auflagenstärkste Zeitung. Die Marktführer haben es in der Regel viel einfacher. Ihnen fällt ein Teil der Werbung automatisch zu. Dies gilt für die WR nicht.

WDR.de: Was hat die WR in der Vergangenheit falsch gemacht?

WAZ-Mediengruppe vor Eigentümerwechsel

Der WAZ Medienkonzern reagiert nach eigenen Angaben auf einen Auflagen- und Anzeigenschwund

Röper: Man hat sicherlich auch bei der WR zu lange mit zukunftsorientierten Entscheidungen gewartet. Die Zeitung war an einigen Orten extrem schlecht aufgestellt, darunter etwa in Lüdenscheid und im Märkischen Kreis insgesamt. Dort wurden Millionenverluste erwirtschaftet. An anderen Orten ist die Zeitung aber noch so stark, dass die jetzige Entscheidung vollkommen überraschend kommt. In Dortmund haben WR und WAZ zusammen noch eine Auflage von 40.000 Exemplaren.

WDR.de: Das Unternehmen hätte also nicht alle, sondern einzelne WR-Standorte aufgeben sollen?

Röper: Man hätte sich auf lukrative Standorte konzentrieren müssen. Dafür hätte man früher in Erfolg versprechende Lokalredaktionen investieren müssen. Dort hätte für die WR auch mehr geworben werden müssen. In einigen Verbreitungsgebieten hat es diesbezüglich aber Stillstand gegeben. Eine Konzentration der Kräfte hat man nie gesehen.

WDR.de: Der Lokalteil einer Lokalzeitung wie der WR gilt als Herzstück. Jetzt werden dort die Redaktionen geschlossen.

WAZ Zeitungen

Die anderen WAZ-Blätter sowie Konkurrenzzeitungen sollen die WR bestücken

Röper: Die vor wenigen Monaten ausgerufene lokale Offensive kam viel zu spät. Sie hat bei der Westfälischen Rundschau nicht mehr gegriffen. Die Entscheidung von 2009, die Lokalredaktionen dermaßen personell auszudünnen, war sicherlich falsch. Ein weiteres Problem: Die Zeitung wurde aus Kostengründen viel zu früh gedruckt. Das Endergebnis der Niedersachsen-Wahl wurde in der Ausgabe am nächsten Morgen beispielsweise nicht berücksichtigt. Das kann sich eine Zeitung nicht leisten.    

WDR.de: Die WR und die Ruhr Nachrichten konkurrieren seit Jahrzehnten um die Leserschaft. Jetzt bekommt die WR an bestimmten Orten den Lokalteil der Ruhr Nachrichten. Ein Novum?

Röper: Kooperationen selbst zwischen konkurrierenden Zeitungsverlagen sind nicht ungewöhnlich. Aber was hier geschieht, ist wirklich neu: Ein ganzer Titel entsteht ohne eine eigene Redaktion und wird vom eigenen Verlagshaus oder Fremdverlagen bestückt. Zum Vergleich: Auch die beiden Aachener Titel sind in großen Teilen identisch. Aber keine Zeitung hat bislang den Lokalteil einer fremden Zeitung übernommen.

WDR.de: Passen Westfälische Rundschau und Ruhr Nachrichten zusammen?

Röper: Eigentlich überhaupt nicht. Die WR ist traditionell eine SPD-nahe Zeitung. Die Ruhr Nachrichten sind stark konservativ. Beide Zeitungen gehören nicht zusammen. Das Ergebnis kann nicht aus einem Guss entstehen, es wird Stückwerk bleiben. Die Leser werden sich verstört die Augen reiben.

WDR.de: Wäre es ehrlicher gewesen, die WR komplett zu schließen?

Röper: Ehrlicher wäre es sicherlich, wenn eine Zeitung mit dem Namen WR auch über Redaktionen verfügt, die diese Rundschau ausmachen. Jetzt nutzt das Unternehmen einen alten Titel und stopft andere Zeitungen herein. Das ist für mich ein ausgemachter Etikettenschwindel.

WDR.de: Wie sieht die Zukunft der WR aus?

Demonstration von WR-Mitarbeitern gegen die Schließung der Lokalredaktion der Westfälischen Rundschau vor dem Redaktionsgebäude der WR in Dortmund

Mehrere Hundert Leser und Journalisten haben gegen das Aus der WR demonstriert

Röper: Die Frage ist, wie viele Leser ihre Zeitung abbestellen werden. Man hört an allen Ecken von verärgerten Lesern, die gekündigt haben. Ich gehöre auch dazu. Wie lange das Projekt gut geht, wage ich nicht zu prognostizieren. Der Fall ist ein Unikum. Es gibt keine Vergleichswerte. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass es funktionieren wird.

WDR.de: Ist die WR eine Ausnahme oder steckt der Zeitungsmarkt in Nordrhein-Westfalen (NRW) generell in der Krise?

Röper: Wir haben vielerorts Ausgaben, die schwächeln, weil die Konkurrenz stärker ist. Einige Verlage verbreiten einen Großteil ihrer Auflage als Zweitzeitung. Dadurch haben sie in lokalen Märkten eine schwierige Stellung. Diese Ausgaben muss man als gefährdet ansehen. Das gilt für viele Ausgaben der Westdeutschen Zeitung oder des Westfalen-Blatts in Ostwestfalen. Es werden nicht unbedingt weitere Zeitungen verschwinden, aber Ausgaben.

WDR.de: Ist der Markt in NRW besonders betroffen?

Röper: In NRW machen wir einen Prozess durch, den andere Bundesländer schon viel früher und zum Teil auch viel härter durchgemacht haben. Nämlich die Schließung von Zweitzeitungen. Das weniger dicht besiedelte Rheinland-Pfalz hat das beispielsweise längst hinter sich. In NRW wurde dies verzögert, weil die Verlage von der Bevölkerungsdichte profitiert haben.

Das Interview führte Fabian Wahl.