RWE-Zentrale in Essen, davor Schild "VoRWEg gehen"

Der streitbare Stromriese

RWE klagt gegen die Abschaltung von Biblis A

Stand: 01.04.2011, 09:15 Uhr

Es sieht nach Prinzipienreiterei und Muskelspielen aus, wenn der Energieriese RWE wegen eines einzigen Kernkraftwerks vor das Verwaltungsgericht Kassel zieht. Der Schein trügt: RWE hat viele große Probleme und kann sich keine Schwäche erlauben.

Mächtige Windräder schaufeln sich durch die Wolken, Turbinen eines Gezeitenkraftwerks rotieren unter Wasser. Im Imagefilm von RWE Innogy ist Strom eine saubere Sache. Das 2008 gegründete Unternehmen ist ein Aushängeschild des Essener Energiekonzerns. Und in der Öffentlichkeit rege: RWE Innogy vergibt einen Preis für Waldpädagogik, baut eine Fischwanderhilfe und lädt Schüler zu einer Veranstaltung über den Klimawandel ein. Nach eigenen Angaben investiert die Muttergesellschaft über RWE Innogy jährlich eine Milliarde Euro in erneuerbare Energien. "RWE wird grüner", verspricht Vorstandsmitglied Leonhard Birnbaum. Viel merkt man davon noch nicht. 61 Prozent des produzierten Stroms stammen aus Braunkohle und Steinkohle, 18 Prozent aus Kernkraft, 16 Prozent aus Gas. Erneuerbare Energien liefern bescheidene 3,5 Prozent.

Wunsch und Wirklichkeit liegen bei RWE ziemlich weit auseinander. Der Konzern, der sich zu den fünf führenden Strom- und Gasversorgern in Europa zählt, will zwar innovative Technologien weiter fördern und dabei seine CO2-Emissionen "überdurchschnittlich verringern", aber am Kerngeschäft rüttelt er nicht. "Fundament des heutigen und künftigen Geschäftserfolgs ist das starke, integrierte Geschäft mit hohen und stabilen Wertbeiträgen", heißt es offiziell. Im Klartext: Dort, wo das meiste Geld verdient wird, bleibt RWE am Ball. Unter anderem bei der Kernkraft.

Rekordjahr 2010

RWE-Turm in Essen bei Dämmerung

Neue Firmenzentrale, neues Rekordergebnis

70.000 Mitarbeiter versorgen 16 Millionen Kunden mit Strom und rund 8 Millionen Kunden mit Gas. 2010 machte RWE 53,3 Milliarden Euro Umsatz und 3,8 Milliarden Euro Gewinn – das beste Jahr in der Firmengeschichte. RWE ist der führende Stromerzeuger in Deutschland – wenn auch nach Konzernumsatz kleiner als Konkurrent Eon –, die Nummer zwei in den Niederlanden und die Nummer drei in Großbritannien. Die Tochtergesellschaft RWE Dea fördert Öl und Gas in Europa, Nordafrika und der kaspischen Region; RWE Supply & Trading gehört zu den größten Energiehändlern Europas.

Vorstandsvorsitzender ist seit Oktober 2007 Jürgen Großmann. Der in Mülheim an der Ruhr aufgewachsene Manager hat den Ruf eines vielseitig interessierten und talentierten Machers. Sein Meisterstück war die Rettung des maroden Stahlherstellers Georgsmarienhütte, der noch heute in seinem Besitz ist – genauso wie ein Sterne-Restaurant und ein Luxushotel. Großmann rief 2010 den "Energiepolitischen Appell" ins Leben, eine Initiative zur Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke.

Jürgen Großmann gestikuliert vor dem RWE-Logo

Jürgen Großmann

Entstanden ist RWE aus der 1898 gegründeten Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk AG, wenig später erwarben die Ruhr-Industriellen August Thyssen und Hugo Stinnes die Mehrheit am Unternehmen. Das Geschäftsmodell war einfach und erfolgreich: RWE baute Kraftwerke und Stromleitungen und band Kommunen, Verkehrsbetriebe und Industriebetriebe mit langfristigen Lieferverträgen. Durch Beteiligungen und Fusionen wuchs das Unternehmen zu einem weltweit tätigen Energie- und Wasserversorger. Seit knapp 20 Jahren konzentriert sich RWE aber zusehends auf das Strom- und Gasgeschäft in Europa. Beteiligungen an Hochtief und Heidelberger Druckmaschinen wurden verkauft, ebenso das Wassergeschäft in Großbritannien und den USA. Die nordrhein-westfälischen Städte und Kreise halten insgesamt rund 30 Prozent der RWE-Aktien, die Hälfte davon über die RW Energie-Beteiligungsgesellschaft. Weitere größere Pakete liegen beim Allianz-Konzern und der Schweizer Großbank UBS.

Affären und Kummer gewöhnt

Dass der Konzern jetzt vor dem Verwaltungsgerichtshof Kassel für sein Kernkraftwerk Biblis A kämpft, überrascht nicht, denn RWE gilt als der streitbarste Vertreter der deutschen Strombranche. Druck seitens der Gerichte und der Öffentlichkeit hat man schon oft aushalten müssen: 2004 brachte die so genannte RWE-Affäre ans Licht, dass der Konzern jahrelang Geld an Politiker überwiesen hatte. Lobbyismus war damals noch die freundlichste Umschreibung für diese Praxis – häufiger sprachen Zeitungen von Bananenrepublik und Korruption. Der Zusammenbruch der Stromversorgung im Münsterland im Winter 2005 wurde vor allem RWE angelastet. Seit 2007 prüft die EU-Kommission, ob RWE Wettbewerber mit unfairen Mitteln aus dem Gasmarkt zu drängen versucht hat.

Atomkraftwerk Biblis A

Atomkraftwerk Biblis A

Auch die Zukunft ist nicht rosig: Die Brennelementesteuer schlägt ab 2011 mit 600 bis 700 Millionen Euro jährlich zu Buche. Die Kosten für fossile Energieträger steigen, auch wegen der Krise im arabischen Raum. Strompreiserhöhungen sind aber bei den Großkunden in der Industrie immer schwerer durchzusetzen. Nach Berechnungen einiger Experten ist RWE mit seinen Kohlekraftwerken der größte CO2-Produzent in Europa – das bedeutet, dass die Ausgaben für CO2-Zertifikate, also Verschmutzungsrechte, explodieren könnten, wenn diese ab 2013 voll bezahlt werden müssen. Am Strom- und Gasmarkt stehen tiefgreifende strukturelle Veränderungen an, weil die EU die Entflechtung von Produktion und Leitungsnetze weiter vorantreibt.

"Wie erfolgreich ein Unternehmen ist, beweist sich gerade in schwierigen Zeiten", sagte RWE-Chef Großmann auf der Bilanzpressekonferenz im Februar. "Wir ruhen uns nicht auf dem Rekordergebnis des vergangenen Jahres aus. Wir krempeln die Ärmel hoch und haben bereits ein ganzes Bündel an Maßnahmen in die Wege geleitet." Doch auch das wird nicht verhindern können, dass neue Rekorde in weite Ferne rücken. Für 2011 erwartet RWE einen Gewinneinbruch von 30 Prozent.