Interview zur rechtsextremen Szene

Verfassungsschutz hilft Aussteigern

Stand: 02.12.2011, 09:00 Uhr

Neonazis, die aus der rechten Szene raus wollen, können sich bei Felix Medenbach melden. Er ist Aussteigerbetreuer beim NRW-Verfassungsschutz. Bisher haben das staatliche Programm mehr als 120 Männer und Frauen genutzt.

Rettungskräfte versorgen nach einem Bombenansschlag am 27.07.2000 vor dem Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn Verletzte

Juli 2000: Nach dem Anschlag auf den S-Bahnhof Wehrhahn

Gestartet wurde das nordrhein-westfälische Aussteigerprogramm für Neonazis im Juli 2001. Landesinnenminister Fritz Behrens (SPD) reagierte damit auf einen massiven Anstieg rechtsextremistischer Straftaten. Nach Einschätzung der Verfassungsschützer handelte es sich um Nachfolgetaten des Bombenanschlags auf den Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn im Juli 2000. Damals wurden zehn Menschen schwer verletzt, darunter sechs Juden, eine 26-Jährige verlor ihr ungeborenes Kind. Zurzeit überprüft die NRW-Polizei, ob der Anschlag von der Anfang November aufgeflogenen rechtsextremen Zwickauer Terrorgruppe begangen wurde.

Beauftragter für das Aussteigerprogramm Rechtsextremismus beim NRW-Verfassungsschutz ist Felix Medenbach. "Das ist mein Arbeitsname", sagt er. Seinen richtigen Namen will er nicht nennen. Auch ein Foto von ihm soll aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht werden. Medenbach ist seit 1975 "in verschiedenen Tätigkeiten Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden". Nach einer sozialpädagogischen Weiterbildung arbeitet er seit 2004 als Aussteigerbetreuer.

WDR.de: Wie gehen Sie vor, wenn sich bei Ihnen ein Ausstiegswilliger meldet?

Felix Medenbach: Zunächst mache ich in einem Erstgespräch eine Bestandsaufnahme. Dabei gehe ich systematisch vor. Ich kläre ab, aus welcher Szene der Klient stammt: Ist er eine Führungsperson, ein Aktivist oder ein Sympathisant? Ist er straffällig geworden und war vielleicht schon in Haft?

Dann erarbeiten wir einen Ziel- und Maßnahmenplan, der immer auf jeden einzelnen Aussteiger zugeschnitten wird. Ich suche nach Möglichkeiten, wie wir ihm dauerhaft helfen können. Es reicht nicht, sich nur von der Szene zu distanzieren und auszusteigen. Entscheidend ist, dass man künftig sein Leben sinnvoll gestaltet. Wer lange genug in der Szene ist, verliert oft den Bezug zum normalen Alltagsleben.

WDR.de: Welche Hilfen bieten Sie an?

Medenbach: Wichtig ist ein ein Schulabschluss. Wenn er fehlt, kläre ich ab, wie sich der Klient weiter qualifizieren kann, ob eine Abend- oder eine Tagesschule in Frage kommt, er noch Schüler-BAföG kriegen kann. Dann müssen wir gucken, wie wir sein Durchhaltevermögen steigern und schulische Probleme kompensieren können. Bei einer Umschulung trete ich an die Jobcenter der Bundesagentur für Arbeit oder die Handelskammer heran.

Montage: Aufmarsch von Neonazis, weiße Symbolfigur

"Wir zeigen einen Weg auf, den er gehen kann"

Ich schaue auch, ob der Klient eine Tagesstruktur hat. Ansonsten suchen wir eine sinnvolle Tages- und Freizeitgestaltung. Ich muss vielleicht einen Sportverein hinzuziehen. Wenn jemand Schwierigkeiten bei der Geldeinteilung hat und verschuldet ist, dann müssen wir das in den Griff kriegen. Und wenn ein Alkohol- oder Drogenproblem vorhanden ist, muss das gelöst werden. Wir tun wirklich alles, um dem Klienten den Weg aus der rechten Szene heraus zu ermöglichen. Wir zeigen einen Weg auf, den er gehen kann. Wir sagen: "Auf diesem Weg liegen ein paar Steine, die will ich helfen wegzuräumen - aber gehen musst du selbst."

WDR.de: Nehmen Sie jeden, der sich bei Ihnen meldet, in das Aussteigerprogramm auf?

Medenbach: Wenn jemand mit einem rechtsextremistischen Hintergrund zu uns kommt, gibt es kein Ausschlusskriterium. Das gilt auch für Straf- und Gewalttäter. Wenn aber jemand zu mir kommt und sagt: "Ich habe hier noch drei Strafverfahren offen, da müssen Sie mir helfen", sage ich: "So funktioniert unsere Hilfe nicht. Die Bestrafung Ihrer Taten können und wollen wir nicht verhindern."

WDR.de: Bisher sind seit Juli 2001 mehr als 120 Personen über Ihr Programm ausgestiegen. Sind das vor allem Mitläufer oder auch Führungskader?

Medenbach: Darunter sind auch Führungspersonen. Genaueres kann ich Ihnen dazu nicht sagen. Nur soviel: Bei uns sind Aussteiger aus dem ganzen rechten Spektrum vertreten. Es sind ehemalige Mitglieder aus Kameradschaften und aus der Parteienlandschaft. Wir haben sehr viele frühere Straftäter, ein Großteil war wegen politisch motivierter Gewalttaten im Gefängnis. Zudem haben wir eine ganze Menge ehemaliger Sympathisanten.

WDR.de: 120 Aussteiger in zehn Jahren: Das scheint keine große Zahl zu sein.

Medenbach: Doch, doch, damit liegen wir deutschlandweit vorne. Für den dauerhaft erfolgreichen Ausstieg braucht man halt einen langen Atem. Wir haben in diesem Zeitraum zu wesentlich mehr Personen aus der rechten Szene Kontakt gehabt. Aber manche werden rückfällig und verabschieden sich – oder werden deshalb von uns verabschiedet. Das kommt durchaus vor. Und um die Zahlen ins Verhältnis zu setzen: In NRW wurden 2010 rund 640 Neonazis gezählt.

WDR.de: Wie reagiert die Szene auf Aussteiger?

Medenbach: Je nachdem, aus welchem Bereich der Szene der Aussteiger kommt, muss er mit Repressionen rechnen. Ein Klient, den ich aus einem anderen Bundesland übernommen habe, hat irgendwann laut gesagt: "Ich steig aus, ich habe die Schnauze voll." Daraufhin hat man ihm die Tür eingetreten, seine Wohnung mit Baseball-Schlägern demoliert und ihn selbst so geschlagen, dass er drei Tage im Koma lag. Andere werden auf der Straße mit dem Messer am Hals bedroht.

Wenn die Gefahr zu groß ist, bereiten wir deshalb einen stillen Ausstieg vor. Wir suchen in einer anderen Stadt eine neue Wohnung und helfen dem Aussteiger, dort wieder Fuß zu fassen. Dazu gehört auch, dass wir seine Meldeadresse sperren.

WDR.de: Wie lange werden die Aussteiger von Ihnen betreut?

Medenbach: Das können bis zu fünf Jahre sein. Im ersten Jahr ist der Kontakt am engsten, es gibt viel Gespräche und alle möglichen Probleme müssen gelöst werden. Nach zwei Jahren haben wir es in der Regel geschafft. Dann bleiben wir das dritte Jahr auf jeden Fall dran, um zu sehen, ob es weiterhin gut klappt. Danach hängt es vom Bedürfnis des Klienten ab.

WDR.de: Lösen sich die Ausstiegswilligen auch von ihrer Ideologie?

Medenbach: Es gibt einige, die in der Lage sind, ihre Vergangenheit in Gesprächen aufzuarbeiten und zu erkennen, wo sie mit ihrer Einstellung stehen. Dann gelingt es ihnen auch, auf den Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zurückzukehren. Das ist natürlich das Beste was passieren kann.

Es gibt andere Klienten, denen fehlt diese Fähigkeit. Die waren in der rechten Szene, weil sie einfach Lust hatten zu prügeln, zu schlagen und zu saufen. Aber aus manchen Köpfen kriege ich Fremdenfeindlichkeit nicht mehr ganz raus. Für mich ist wichtig, dass sie nicht mehr mit nationalsozialistischem Gedankengut aufgeladen ist. Auch dann sage ich: "Hurra, du bist erfolgreich ausgestiegen!" Ich habe Klienten, bei denen ich froh bin, wenn ich sagen kann, dass sie ihre Aggressionen gegenüber ihren Feindbildern nicht mehr ausleben. Bei manchen ist das schon ein erheblicher Erfolg unseres Programms.

Das Interview führte Dominik Reinle.