Urheberrecht im Internet

Entwicklung des Urheberrechts

"Schneller auf Wünsche der Nutzer reagieren"

Stand: 10.05.2012, 06:00 Uhr

Neue Geschäftsmodelle, Technik oder Gesetze? Wie Musik, Filme oder andere Medien im Netz künftig verwertet werden sollen, ist sehr umstritten. Experte Till Kreutzer prognostiziert, dass es eine Lösung geben werde - aber erst in einigen Jahren.

Dr. Till Kreutzer, Jahrgang 1971, lehrt an verschiedenen Institutionen Urheber-, Marken-, Datenschutz- und Persönlichkeitsrecht. Er ist Partner von iRightsLab Partnerschaftsgesellschaft, dem unabhängigen Think Tank zu Fragen der digitalen Welt. Kreutzer ist auch Mitglied des Forschungsbereichs Medien- und Telekommunikationsrecht am Hans-Bredow-Institut an der Uni Hamburg und des "Instituts für Rechtsfragen der Freien und Open Source Software". Auf der Republica12 (02. bis 04.05.2012 in Berlin) referierte er zu den Themen "Urheberrecht 2037" und Open-Content-Lizenzen.

WDR.de: Auf der Republica haben Sie Ihre Vorstellung davon präsentiert, wie sich Kunst, Kultur, Märkte und Urheberrecht bis 2037 entwickeln werden. Was erwarten Sie für die Zukunft?

Till Kreutzer: Ich bin da sehr optimistisch. Die Kulturpessimisten sagen, wenn man keine Schallplatten oder CDs mehr verkaufen kann, wird demnächst keine Musik mehr produziert. Das ist Unsinn.

WDR.de: Warum der weite Zeitsprung von 25 Jahren?

Kreutzer: Ich habe diesen Zeitraum gewählt, weil bis dahin alle vernünftig geworden sein werden. Das gilt für die Anbieter von Inhalten, für die Kreativ-Schaffenden, aber auch für den Gesetzgeber.

WDR.de: Gerade wird die Debatte um eine mögliche Reform des Urheberrechts sehr hitzig geführt. Was muss passieren, damit alle Beteiligten "vernünftig" werden?

Kreutzer: Man muss sich mit der aktuellen Situation anfreunden und sie analysieren. In was für Märkten operieren wir? Wie denken die Leute, denen wir Sachen verkaufen wollen? Wie formulieren wir Regelungen, die den vielen Facetten gerecht werden? Bis 2037 wird man so weit sein. Wenn man nämlich gemerkt hat, dass nichts mehr geht, muss man es anders machen.

WDR.de: Soweit ist man noch nicht. Sind die unterschiedlichen Standpunkte einfach schwer vermittelbar oder sind eher Missverständnisse der Grund für die verfahrene Debatte?

Kreutzer: Beides. Das Hauptmissverständnis liegt in der Behauptung, dass es Leute gebe, die das Urheberrecht abschaffen wollen oder freien Zugang zu allen kreativen Werken fordern, ohne dass jemand daran verdient. Das ist einfach Quatsch. Es gibt einen grundsätzlichen Konsens darüber, dass es auch in Zukunft Möglichkeiten geben muss, wie kreative Leistungen honoriert werden. Ich glaube auch, dass es einen weitgehenden Konsens gibt, dass Verwerter, Verlage oder Plattenlabels keineswegs generell abgeschafft gehören. Der Unterschied in den Auffassungen liegt bei näherem Hinsehen darin, wie man dahin kommt. Da schwimmen alle.

WDR.de: Warum?

Kreutzer: Weil es extrem komplexe Prozesse sind, liegt es in der Natur der Sache, dass keiner so genau weiß, was er da eigentlich machen will. Lösen kann man das Problem nicht per Mediendiskurs, sondern mit einer wissenschaftlichen Analyse.

WDR.de: Wo müsste denn Forschung ansetzen?

Kreutzer: Bei den Wünschen der Nutzer. Beispiel Musik: Ende der 90er Jahre kamen die ersten Tauschbörsen auf. Die Musikindustrie hat mit Klagen dafür gesorgt, dass sie verschwinden. Das hat dazu geführt, dass aus zentralen Tauschbörsen mit einem Betreiber dezentrale Tauschbörsen mit Millionen Nutzern wurden. Dann hat es fünf Jahre gedauert, bis Apple dafür gesorgt hat, dass man online komfortabel und zu günstigen Preisen Musik kaufen konnte. Das ist zu lang. Denn wenn die Leute über einen längeren Zeitraum illegale Angebote nutzen, gewöhnen sie sich das ungern ab.

WDR.de: Was halten Sie von Konzepten, bei denen der User selbst bestimmt, wie viel er für kulturelle Werke zahlt?

Kreutzer: Solche Konzepte können gut neben Downloads, Streams oder anderen Angeboten bestehen, bei denen man festgesetzte Preise bezahlt. Ich glaube aber nicht daran, dass Crowdsourcing-Services wie Flattr dafür sorgen werden, dass Journalisten zukünftig angemessen vergütet werden. Ein Auskommen allein auf freiwilliger Basis kann es nicht geben.

WDR.de: Weil die Nutzer zu geizig sind?

Kreutzer: Die Menschen sind zu unterschiedlich. Manche wollen einfach Vorgaben, was sie bezahlen sollen und damit basta. Sie sind generell bereit, für guten Service zu zahlen. Bei Youtube könnten sie sonst auch jeden Song kostenlos runterladen.

WDR.de: Was zeichnet guten Service aus?

Kreutzer: Einfache Zahlungsmethoden und eine unkomplizierte Anmeldung. Anbieter dürfen aber nicht versuchen, dem Kunden Sonderforderungen unterzuschieben; wie im Musikbereich den Kopierschutz über DRM.

WDR.de: Werden 2037 technisch ausgefeilten Service-Angeboten nicht auch ausgefeilte Kontroll- und Überwachungsmechanismen gegenüberstehen?

Kreutzer: Komplett unrealistisch. Das Netz wurde so konstruiert, dass es nicht kontrolliert werden kann, weil Daten und Informationen dezentral vorgehalten werden. Sie können nicht einfach verschwinden. Die Chinesen sehen gerade, dass Zensur nur teilweise funktioniert. Selbst wenn ACTA – Sopa oder Pipa in den USA – kämen, würde es nicht gelingen. Wir wollen auch im realen Leben nicht in einem überwachten Staat leben. Wenn man sich einer solchen Kontrollinfrastruktur auch nur annähern wollte, dann müsste man die Freiheitsprinzipien der westlichen Demokratien über Bord werfen. Wer will das schon?

Das Interview führte Insa Moog.

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