Günter Lamprecht

WDR-Dokumentation "Frühjahr 45"

"Wir hatten richtig Angst vor dem Frieden"

Stand: 20.03.2015, 11:38 Uhr

Am 8. Mai läuft der Dokumentarfilm "Frühjahr 45" im WDR Fernsehen, am 23. März war er schon im Ersten zu sehen. Regisseur Mathias Haentjes lässt Zeitzeugen verschiedenster Länder Europas erzählen, wie sie die letzten Kriegstage erlebt haben: Wochen voller Hoffnung, Ungewissheit und Angst. Auch der Schauspieler Günter Lamprecht kommt zu Wort. Wir sprachen ihn bei der Vorpremiere des Films am 26. Februar in Köln.

Von Annika Hoffmann

Was überwog im Frühjahr 45 bei Ihnen: Angst oder Hoffnung?

Günter Lamprecht: Wir hatten alle richtig Angst vor dem Frieden. Meine Mutter, meine Schwester und ich versteckten uns in einer ausgebombten Erdgeschosswohnung und hatten große Angst vor denen, die ihren Rachegefühlen freien Lauf ließen. Auf einmal kamen Soldaten, meine Mutter schrie wie am Spieß, und sie packten schon meine Schwester und schleppten sie in den Keller. Meine Mutter beschimpfte sie, schrie so laut sie konnte. Da packten sie eben auch die Mama. Ich rannte hinterher, meine Schwester lag da schon… und dann passierte etwas, das war wirklich Zufall. Es fuhr ein ganz hoher Offizier vorbei und hörte meine Mutter so laut schreien. Er hat die Soldaten richtig zur Sau gemacht. Das hat uns gerettet. Aber meine Schwester… mehr möchte ich dazu nicht sagen.

Sie waren als Jugendlicher in den letzten Kriegstagen als Hilfssanitäter im Einsatz – wie hat Sie das geprägt?

Lamprecht: Ich wundere mich schon darüber, wie ich diese Erlebnisse überwunden habe. Fast täglich hatte ich mit 15 Jahren bis zu 20 Leichen zu beerdigen. Ich habe eine große Trauer in mir behalten, die geht nie weg. Ich sage heute: Nie wieder Krieg! Was da heute passiert in den Kriegsgebieten, ich kann das nicht begreifen! Ich erlebe jetzt sozusagen ein zweites Trauma. Man müsste sich eigentlich dauernd in Behandlung begeben. Aber da hilft mir mein Beruf: Ich kann all diese Ängste, alle Erlebnisse auf meine Rollen projizieren. Ich statte alle meine Rollen mit den Macken aus, die ich selber habe. Das hilft, das ist der Vorteil des Schauspielers.

Gab es einen Moment, in dem Sie realisiert haben: Jetzt ist der Krieg vorbei? 

Lamprecht: Ich ging durch die Trümmer und alles um mich herum war alles kaputt. Alles zerstört, alles in Schutt, alles ausgebombt. Und es war still, sehr still und trist. Und plötzlich höre ich dieses Geräusch, dieses Piepen. Und dann sehe ich: Da sitzt ein Spatz. Und das war faszinierend, in all den Trümmern, und ich fragte mich: Wie kommt der Piepmatz dahin? Ich habe mich dann auf eine Wiese gelegt und gefühlt: Jetzt ist es vorbei, jetzt tut dir keiner mehr was.