"Mister Europa" tritt ab

Stand: 13.07.2016, 08:32 Uhr

Knapp 21 Jahre hat Rolf-Dieter Krause aus Brüssel berichtet. Dort beendet er im August seine WDR-Laufbahn. WDR print traf den Leiter des ARD-Europastudios kurz vor seiner Pensionierung in Brüssel.

Von Thomas Nehls

"Halstuch, Brille, Schnauzbart. Immer wenn ich Rolf-Dieter Krause in der Tagesschau gesehen habe, wusste ich: Jetzt wird es spannend, denn es spricht Mister Europa." Dieses Statement stammt vom deutschen Außenminister zum Abschied eines WDR-Journalisten, der die Zuschauer wie kein Zweiter über Hintergründe von EU-Entscheidungen und europäischen Krisen aufklärte. Thomas Nehls traf den Leiter des ARD-Europastudios kurz vor seiner Pensionierung in Brüssel.

"Wer hat schon das Glück, so lange in Gesichter zu gucken, die er gerne sieht?" Mit diesem Bekenntnis meint Rolf-Dieter Krause nicht unbedingt die Frauen und Männer in der Europäischen Kommission, im Rat und im EU-Parlament, sondern die seiner Kolleginnen und Kollegen im ARD-Studio Brüssel. Seit fast 21 Jahren - mit Unterbrechungen zwischen 1995 und 2001 - berichtet und analysiert er die Einfälle und Beschlüsse der europäischen Instanzen und ihre Rückwirkungen auf die inzwischen 28 Mitgliedsländer der EU und lässt keine Ermüdungserscheinungen erkennen - oder zeigt sie einfach nicht.

"Er steht wie ein Fels in der Brandung der Brüsseler Themen", befindet Korrespondent Arnim Stauth nach der täglichen Konferenz um 11 Uhr, zu der - stellvertretend für die etwa zehn Hörfunker im ARD-Studio - stets auch WDR/NDR-Radio-Bürochef Ralph Sina zur Stelle ist. Zur Arbeit fährt der 1,96 Meter große RD Krause mit einem seiner beiden XXLFahrräder. Die Staus auf Brüssels Straßen gebieten es.

In der Mittagspause geht er am liebsten um die Ecke ins griechische Restaurant "Attica". Und bevor er sich bisweilen dem eigens für ihn angerichteten Salat "Monsieur Rolf" widmet, erfährt er von der Wirtsfamilie die neuesten Nachrichten über den Fortgang der Krise in Griechenland. Diese individuelle Sparte seiner Recherchen setzt er freitags auf einem Markt in der Nähe seiner Wohnung in einem Brüsseler Stadthaus im Bezirk Schaerbeek fort. Die Erlebnisse und politischen Kommentare, die ihm von den Händlern und den ihm bekannten Besuchern zugeraunt werden, nehmen deutlich mehr Zeit in Anspruch als seine Einkäufe.

Und immer triumphiert seine Gelassenheit, gepaart mit nicht enden wollender Neugier. "Seit 2009 dreht sich unser Studio im Krisenmodus", bilanziert er die jüngsten Jahre seines langen Aufenthalts: Die Griechenland-Krise, die Sonderwege einzelner Mitgliedsländer - vor allem Großbritanniens -, die Auseinandersetzungen der EU mit dem Rest der Welt und im Frühjahr die Anschläge auf den Brüsseler Flughafen und die Metro-Station Maalbeek in unmittelbarer Nachbarschaft des ARD-Studios. An diesem Tag hatte Rolf-Dieter Krause frei und kam wegen der Absperrungen auch gar nicht mehr bis zu seinem Arbeitsplatz. Einmal mehr konnte er sich auf sein etwa 30-köpfiges Team verlassen.

In jenen Wochen dominierte das, was ein Auslandsstudio eigentlich ausmacht: die Berichterstattung über das jeweilige Land. Neben Belgien zählen zum Brüsseler Berichtsgebiet noch Luxemburg und die Niederlande. Aber zu mehr als 90 Prozent sind es normalerweise EU- und NATO-Themen, die die Krause-Mannschaft in "Tagesschau", "Tagesthemen" und in das "Europa-Magazin" einspeist. "Wenn die USA nicht Krieg führen, sind wir das aktuell wohl meistbeschäftigte Studio", schätzt Krause und vergleicht seine Leute mit denen im Berliner ARD-Hauptstadtstudio: "Weil auch wir über Angelegenheiten berichten, die die deutschen Bürger direkt angehen."

Krause‘sche Einsichten

Als Fazit seiner jahrzehntelangen Beobachtungen liegt ihm einiges am Herzen. Ein paar Krause’sche Ansichten und Einsichten:

  • "Das Parlament hat an Gewicht gewonnen; trotzdem sind seine Mitglieder noch zu sehr die Vertreter ihrer nationalen Interessen."
  • "Frauenquoten in Aufsichtsräten muss man nicht europäisch regeln. Malta und Schweden sind nun mal unterschiedlich."
  • "Es ist nicht mein Job, Menschen von der EU zu überzeugen – das kann ich im Kommentar tun. Journalisten sind keine Werbeabteilung."
  • "Viele Versprechungen von der EU sind nicht eingehalten worden. Es wurde anderes gesagt als gedacht und anderes getan als gesagt."
  • "Ich habe keine Macht. Ich habe nur Augen, Ohren und einen Mund. Einfluss ja, aber keine Macht."

Der Lohn seiner Arbeit

Für seinen journalistischen Dauer-Marathon hat der WDR-Mann nicht nur Gehalt bekommen. Zu seinen Auszeichnungen zählen der "Wächterpreis der deutschen Tagespresse", drei "Tagesthemen"-Awards ("Die Jury ist die Redaktion", hebt Krause hervor) und der von der Zeitschrift Medium-Magazin verliehene Titel "Journalist des Jahres". Ende Juni wurde ihm zudem das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse überreicht. Er soll gezaudert haben es anzunehmen mit den Worten: "Ich habe doch nur meine Arbeit gemacht."

In Brüssel folgt nach einer langen Dienstzeit ein gestaffeltes langes Abschiedsspektakel. Aber auch das ist anders als bei anderen journalistischen Lichtgestalten. Die offiziellen Essenseinladungen sind eher das Beiwerk. Voller Vorfreude erwartet Krause allerdings die auch in WDR print noch geheim gehaltenen filmischen Überraschungen der Kolleginnen und Kollegen.

Nur so viel: Dabei ist er natürlich mit Seidenschal - er hat zwölf davon und mochte Krawatten schon nicht, als er sie im Bonner Studio und sonst wo noch tragen musste. Und ein Kinderfest zum Abschied gab es auch bereits. 18 Jungen und Mädchen sind während Krauses Amtszeit in seiner Mitarbeiterschar geboren worden - "ohne mein Zutun", schmunzelt er. Es geht die Kunde, dass er einer Kollegin, die nach ihrer Einstellung und kurz vor Arbeitsbeginn ihre Schwangerschaft ankündigte, nur sagte: "Na und."

Krause selbst, der einmal geschieden und einmal verwitwet ist, hat zwei Töchter. Anna ist Journalistin in Hamburg,Laura Strategieberaterin in Berlin. Beide wird er fortan häufiger sehen, wenn im August der Einzug in die Wohnung im Charlottenburger Westen der Hauptstadt erfolgt sein wird. Den Laden im Erdgeschoss seines künftigen Domizils wird er allerdings vermutlich meiden. Der Amateur-Koch Krause hat schon so ziemlich alles, was an Küchenzubehör begehrlich erscheint.

Will er außerdienstlich Europa retten?

Politische Lobbyfirmen hätten ihn mit Blick auf den Ruhestand bereits angesprochen, aber zu ihnen fühle er sich nicht hingezogen. Will er außerdienstlich Europa retten? Ein bisschen wohl doch, denn Ratschläge zur Verbesserung der Brüsseler Kommunikationsmaschinerie kann er sich durchaus vorstellen. Aber eher auf Anfrage der EU-Behörden.

Auf jeden Fall sei Berlin eine spannende Stadt - auch das Schauspiel und das Kabarett seien Spitze, sagt der aus Lüneburg stammende Journalist, der nach Stationen bei der "WAZ" in Kamen, Unna und Hamm zunächst im WDR-Landesstudio Düsseldorf gelandet war. Er leide nicht unter einem Unverzichtbarkeitssyndrom und habe sein Faulheitsgen nun 45 Jahre unterdrückt.

WDR print traf den Leiter des ARD-Europastudios kurz vor seiner Pensionierung in Brüssel. Der Artikel erschien in der Juli/August 2016-Ausgabe.