Pripjat - verstrahlt, verlassen, verwaist

Stand: 25.04.2016, 13:03 Uhr

Als vor 30 Jahren der Reaktor von Tschernobyl explodierte, bedeutete das auch das Ende der benachbarten Stadt Pripjat. Die WDR-Autoren Ranga Yogeshwar, Reinhart Brüning und Virtual Reality-Realisator Klaus Wache kehrten an den Ort der Katastrophe zurück, drehten eine 360-Grad-Reportage und nehmen so die Zuschauer mit in die Geisterstadt. Ein Erfahrungsbericht über eine virtuelle Reise.

Von Tobias Zihn

Zehn-, zwölfstöckige Plattenbauten ragen wie graue Berge in die Höhe. Ihr Fenster sind schwarze Löcher. Sie wirken wie Augen, aus denen das Leben gewichen ist.

Ich gehe durch ein Treppenhaus und stehe in einem Klassenzimmer. Auf dem Lehrerpult liegt noch ein Heft, in einer Ecke eine Puppe. Wieder starre, leblose Augen. Ich möchte die Puppe aufheben, doch ich greife ins Leere. Ich bin völlig in der virtuellen Welt versunken, denke, dass ich wirklich durch die ukrainische Stadt Pripjat laufe – und vergesse, dass ich eine VR-Brille und Kopfhörer trage. Ich bin nur virtuell in Pripjat und komplett eingetaucht in die 360-Grad-Reportage, die die WDR-Autoren Ranga Yogeshwar, Reinhart Brüning und VR-Realisator Klaus Wache gedreht haben.

"In der Ferne das Werk Tschernobyl. Gruselig"

Als vor 30 Jahren der Atomreaktor von Tschernobyl explodierte, bedeutete das auch das Ende Pripjats. Dort lebten die Arbeiter des Kraftwerks mit ihren Familien. Pripjat war eine junge und moderne Stadt, Heimat von knapp 50.000 Menschen. Ich stehe in einer Küche: "Am 26. April renovierten wir hier gerade", sagt mir eine ehemalige Bewohnerin Pripjats, die mir gegenübersteht. "Aus dem Küchenfenster sieht man das Kraftwerk. Wir hatten zwar gehört, dass es einen Brand gegeben habe, aber niemand informierte uns über die Gefahr, in der wir uns befunden haben", erzählt die Frau. Ich drehe mich um, schaue aus dem Fenster – und sehe in der Ferne das Werk Tschernobyl. Gruselig.

Pripjat wurde vor 30 Jahren viel zu spät evakuiert, die Menschen wussten nicht, dass sie ihre Heimatstadt für immer verlassen werden – sie sollten nur Kleidung für drei Tage mitnehmen. Genauso sieht Pripjat aus. "Überstürzt verlassen, mitten aus dem Leben gerissen", denke ich. Plötzlich wird es dunkel und still. Ich nehme die Brille ab – und befinde mich mitten im Digitalen Wohnzimmer des WDR. Doch das nur körperlich. Die Sinne hängen noch ein paar Minuten in der Geisterstadt fest.

Hintergrund zur Virtual Reality-Reportage

"Die 360-Grad-Reportage in VR transportiert Menschen an Orte, wo sie sonst nie oder nur schwer hinkommen würden", sagt Realisator Klaus Wache, der zusammen mit den WDR-Autoren Ranga Yogeshwar und Reinhart Brüning die Stimmung in der Geisterstadt Pripjat eingefangen hat.

"Pripjat – verstrahlt, verlassen, verwaist" ist eines der ersten Projekte des WDR dieser Art. Die Reportage ist auf YouTube und auf der VR-Plattform Vrideo zu sehen. Auf beiden Plattformen kann der Film auf jedem Rechner mit aktuellem Browser angesehen werden. Für das volle Erlebnis ist eine VR-Brille empfehlenswert.