"Je breiter die Meinungsvielfalt, desto besser"

Stand: 06.05.2016, 13:16 Uhr

Im neuen Talk "Ihre Meinung" werden brisante Themen von hochrangigen Politikern live mit Zuschauern diskutiert. Chefredakteurin Sonia Seymour Mikich verrät im Interview, warum sie sich in der interaktiven Sendung mit Bettina Böttinger gerade unpopuläre Meinungen wünscht und wie die neue Sendung Medienverdrossenheit abbauen könnte.

Von Sebastian Schug

Talkshows gibt es viele im deutschen Fernsehen. Was ist das Besondere an der neuen WDR-Reihe "Ihre Meinung"?

Sonia Seymour Mikich: "'Ihre Meinung' ist keine Talkshow im klassischen Sinn. Ich nenne es eine Gesprächssendung, ein Austausch mit unseren Zuschauern, unseren Nutzern. Sie sind nicht Teil des Studios sondern im Zentrum des Geschehens. Auch die Themenauswahl soll diese Nähe widerspiegeln: Worüber sprechen die Menschen in ihrem Alltag? Wie tauschen sie sich mit ihren Nachbarn, ihrer Familie, ihren Freunden und Kollegen aus? Was ist Ihnen wichtig, ganz einfach."

Welche Meinungen soll man in der Sendung denn hören?

Mikich: "Je breiter die Meinungsvielfalt, umso besser und lebendiger. Davon ausnehmen will ich natürlich Beschimpfungen und Respektlosigkeit gegenüber jenen, die nicht der eigenen Meinung sind. Nun habe ich die Erfahrung gemacht, dass sehr oft Menschen im vertraulichen Gespräch am Telefon oder auf den Fluren sehr deutliche Meinungen kund tun und nachher, wenn ein rotes Licht leuchtet oder ein Mikrofon hingehalten wird, dann doch sehr viel vorsichtiger argumentieren. Schön wäre es, eine Atmosphäre herzustellen, wo sich dann auch jemand traut, etwas zu äußern, was nicht so populär ist oder sogar zugspitzt ist. Ehrlich, ungeschminkt, angstfrei. Das wäre eine wirklich gute Diskussion."

Glauben Sie, dass es in der Bevölkerung aktuell ein stärkeres Mitredebedürfnis als früher gibt?

Mikich: "Viele Menschen sind inzwischen gewohnt, ihre Meinung oder kurze Statements oder einfach nur Gefühlsäußerungen über die sozialen Medien weiter zu verbreiten. Kommunikation funktioniert nicht mehr nach einem Einbahnstraßenprinzip, nämlich der kluge Journalist sagt etwas und der Zuschauer, Zuhörer oder Internetnutzer nickt brav dazu. Sondern wir Medien sind zum Dialog nachdrücklich aufgefordert und müssen diesem nachkommen. Und das ist ja auch interessant und bringt sehr viel. Wir werden dort unterstützt, wo wir gut und kraftvoll argumentieren, wir werden auf Fehler oder falsche Annahmen aufmerksam gemacht, wir bekommen frischen Input. Natürlich müssen wir uns klar sein, dass bestimmte Teile des Publikums ihr Urteil über uns, die "Lügenmedien",  gefällt haben, aber wir geben nicht auf. Und es gibt eine riesige Zahl von Menschen, die Lust haben sich auszutauschen, sich einzubringen, mit uns zu sprechen. Und umgekehrt gilt das halt auch…"

Wird beim Publikum eine Vorauswahl getroffen oder kann sich jeder bewerben?

Mikich: "Jeder kann sich bewerben auf unseren Webseiten und in unseren Sendungen rufen wir ja dazu auf. Danach wendet sich die Redaktion an die Interessenten und führt Vorgespräche. Dabei kommt es uns darauf an, dass jede und jeder auch tatsächlich mitdiskutieren will. Es muss ja zu einer Vorauswahl kommen, wir können leider nicht alle einladen, weil wir füllen ja nicht eine riesige Halle…"

In der Show werden hochrangige Politiker mit dem Publikum zu brisanten Themen diskutieren – und zwar live. Trauen sich alle geladenen Experten in eine solche Sendung oder haben Sie schon Absagen kassiert, weil Gäste Angst vor kritischen Meinungen und Fragen hatten?

Mikich: "Bislang haben wir ganz gute Erfahrungen gemacht mit Experten und Politikern, die dann mit Zuschauern reden. Von Absagen habe ich nichts gehört, aber natürlich gibt es da ein gewisses Risiko vielleicht einmal nicht gut und überzeugend zu antworten."

Warum passt gerade Bettina Böttinger so gut als Moderatorin zu dem Format?

Mikich: "Für mich ist sie ein Gesicht unseres WDR-Programms. Sie ist den Menschen vertraut, sie ist bei sehr vielen beliebt, sie vermag in ihren Gesprächen Wärme und Ernsthaftigkeit auszustrahlen. Eine echte Umarmerin mit journalistischem Tiefgang. Und wie ich eben sagte: Manche Menschen haben dann doch plötzlich Angst oder zeigen sich schüchtern, wenn ein Mikrofon ihnen vor die Nase gehalten wird. Bettinas Talent ist es, solche Ängste zu nehmen und Vertrauen herzustellen. Und darum geht es mir bei allen drei Sendungen, bei diesem Experiment. Viele Kritiker sprechen von Medienverdrossenheit und Vertrauensverlust. Das können wir mit dieser Reihe ein bisschen gerade rücken."