Das Leben Danach

Stand: 27.09.2017, 08:21 Uhr

Am 24. Juli 2010 starben bei der Duisburger Loveparade 21 Menschen im Gedränge. Hunderte wurden zum Teil schwer verletzt, Unzählige traumatisiert. Am Beispiel der fiktiven Überlebenden Antonia zeigt der WDR Fernsehfilm "Das Leben Danach", wie nachhaltig das Trauma Leben zerstört. In der Hauptrolle: Jella Haase.

Von Christine Schilha

"Deine Tochter ist kaputt. Die wird einfach nicht mehr", hört Antonia ihre verzweifelte Stiefmutter sagen. Dabei weiß sie das längst selbst. Auch sieben Jahre nach der Katastrophe hört der Alptraum für die 24-Jährige nicht auf. Sie pendelt zwischen Trauer, Panikattacken und zerstörerischer Wut. "Die tot sind, das sind die Guten, die ach so Wunderbaren, um die alle trauern können. Und die, die überlebt haben, wir sind die Kaputten, die Arschlöcher, die nichts auf die Reihe kriegen", sagt sie zu dem Taxifahrer Sascha (Carlo Ljubek), der sie aufgabelt, nachdem sie an der Gedenkstätte für die Opfer der Loveparade randalierte. Auch sein Leben hat der Tunnel zerstört, jedoch auf ganz andere Weise.

"Die Drehs dieser Szenen waren heftig für das ganze Team, obwohl nur ein kleiner Ausschnitt nachgestellt wurde"

Die Massenpanik vor und im Karl-Lehr-Tunnel am alten Duisburger Güterbahnhofsgelände zeigt Regisseurin Nicole Weegmann nur in kurzen, aber dennoch beklemmenden Flashbacks. "Die Drehs dieser Szenen waren heftig für das ganze Team, obwohl nur ein kleiner Ausschnitt nachgestellt wurde", erzählt Hauptdarstellerin Jella Haase. "Wir haben mit 30 Komparsen und Stunt-Leuten gedreht." Doch das genügt, um im Kopf die unerträglichen Bilder des realen Ereignisses hervorzurufen, die sich ins kollektive Gedächtnis gebrannt haben.

"Für einen traumatisierten Menschen ist das Gefühl der Sicherheit auf dieser Welt verlorengegangen." Das, sagt Jella Haase, hat sie erst durch den Film und die Gespräche mit der Trauma-Therapeutin Sybille Jatzko begriffen. Die Psychologin betreute Opfer der Loveparade und anderer Katastrophen und stand dem Filmteam beratend zur Seite. Jella hat ein großes Vertrauen ins Leben. Jemanden zu spielen, dem dieses Vertrauen abhandengekommen ist, war für sie "eine absolute, intensive und sehr aufreibende Erfahrung". Abends nach den Drehs musste sie oft laufen, um die Anspannung abzubauen, unter der Antonia permanent steht.

"Jella war einfach die perfekte Besetzung, weil sie nicht nur die ganze Bandbreite zum Teil schwer erträglicher Emotionen beherrschte, sondern gleichzeitig auch immer die Zerbrochenheit und verzweifelte Hilflosigkeit einer zerstörten Kinderseele im Blick hatte", sagt WDR-Redakteurin Lucia Keuter, die am 8. September auf dem Festival des deutschen Films Ludwigshafen den Medienkulturpreis für "Das Leben Danach" entgegennehmen darf. Bereits nach der Premiere beim Filmfest München regnete es Lob. "Schuld und Erlösung kämpfen in allen Figuren miteinander, ohne je pathetisch zu werden", urteilte etwa die Jury des Bernd Burgemeister Fernsehpreises. Und "Die Welt" nannte das Spiel von Jella Haase "beeindruckend, verstörend".

Eine Schauspielschule hat die junge Frau mit den großen, meist etwas traurig wirkenden Augen nie besucht. Dennoch verkörpert sie oft gerade die schwierigen Charaktere, rebellische Frauen, Außenseiterinnen. Für ihr Kinodebüt im Jugenddrama "Lollipop Monster" und die Darstellung eines Neonazi-Mädchens in "Die Kriegerin" wurde sie 2012 mit dem Bayerischen Filmpreis als "Beste Nachwuchsdarstellerin" ausgezeichnet. 2013 folgte der Günter-Strack-Fernsehpreis für eine Rolle im "Tatort – Puppenspieler". Auf der Berlinale 2016 wurde Jella Haase zum European Shooting Star gekürt.

Gerade hat sie das Roadmovie "Vielmachglas" abgedreht. Nach ein paar Tagen Verschnaufpause startet schon das nächste Projekt: Bully Herbigs Film "Der Ballon" über die spektakuläre Flucht zweier Familien aus der DDR im Sommer 1979. Und im Oktober kommt der mittlerweile dritte Teil von "Fack ju Göhte" in die Kinos. Als naive Tussi Chantal bewies Jella in der Erfolgskomödie ihr komisches Talent und wurde schlagartig einem Millionenpublikum bekannt. "Tragik und Komik liegen nah beieinander", sagt sie über die gegensätzlichen Rollen, "Chantal besitzt ebenso eine tragische Seite wie Antonia eine komische."

"Der Herausforderung gerecht geworden"

Obwohl die Berlinerin mit dem ostfriesischen Namen seit ihrem 15. Lebensjahr regelmäßig vor der Kamera steht, war es ihr wichtig, das Abitur zu machen. Sie schrieb sich sogar an der Uni für das Fach Geschichte ein, musste jedoch feststellen, dass Schauspielkarriere und Studium nicht vereinbar sind. Das Interesse für historische Zusammenhänge ist geblieben, und Jella Haase hatte "großen Respekt" davor, in einem Film mitzuspielen, der ein reales Ereignis aufgreift. "Eine besondere Verantwortung schwingt dabei immer mit, aber den Druck muss man irgendwann beiseiteschieben, damit man sich nicht blockiert", erklärt sie. "Wir haben den Film aber mit so viel Hingabe gemacht, dass wir, wie ich glaube, der Herausforderung gerecht geworden sind."

Dieser Artikel erschien zuerst in WDR Print.