Wahlurne mit socialmedia Logos

Europa- und Kommunalwahlen im Netz

Wahlkampf im Offline-Modus

Stand: 16.05.2014, 06:30 Uhr

Ein gescheitertes Demokratie-Experiment, Shitstorms und nur ein deutscher Europapolitiker mit großer User-Anbindung - der derzeitige Wahlkampf im Netz scheint noch in den Entwicklungsschuhen zu stecken. Im Kommunalwahlkampf darf man aber immerhin Kühe bewundern.

Von Christian Wolf

Die größte Aufmerksamkeit erlangte der Onlinewahlkampf, als es noch gar nicht richtig los ging. Martin Schulz, Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten, tauschte im März über Nacht sein Twitter-Profil aus. Statt seine 80.000 Follower wie bislang als Präsident des Europäischen Parlaments zu informieren, gab es plötzlich Nachrichten vom Wahlkämpfer Schulz. Die Konkurrenz beklagte eine Vermischung von Amt und Wahlkampf. Irgendwann legte sich der Twitter-Ärger wieder. Seitdem dümpelt der Wahlkampf im Netz vor sich hin.

Einbahnstraße statt Dialog

Ein Blick in das Onlineangebot der großen Parteien zeigt schnell, woran es hapert. Da gibt es ganz viele Pressemitteilungen zum Nachlesen, Redeauftritte zum Nachgucken und Plakatmotive zum Downloaden. Mitmach-Tools, Diskussionsmöglichkeiten und eine direkte Einbindung der Anhänger in die Kampagne gibt es fast gar nicht. Dabei gaben sich die Parteien im zurückliegenden Bundestagswahlkampf noch alle Mühe, die Anforderungen an einen modernen Onlinewahlkampf zu erfüllen. Nach amerikanischem Vorbild wurden Twitter Town Halls veranstaltet und Unterstützer-Netzwerke aufgebaut. Für die auch sonst eher stiefmütterlich behandelte Europawahl wird solch einen Aufwand nicht betrieben.

Auch in den sozialen Netzwerken spielt die Europawahl eine eher untergeordnete Rolle. Während die Facebook-Seite der deutschen SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament immerhin von rund 10.700 Nutzern verfolgt wird, kommt die CDU/CSU-Gruppe auf verschwindend geringe 545 Likes. Die FDP verzichtet sogar ganz auf einen eigenen Auftritt und linkt automatisch auf die Seite der Bundespartei. Laut einer Twitter-Liste des Europäischen Parlaments besitzen immerhin 53 der 99 bisherigen deutschen Abgeordneten einen Account. Angesichts vieler belangloser Statusmeldungen hält sich der Nutzen solcher Nachrichten aber in Grenzen.

Erst Provokation, dann Shitstorm

Ein bisschen mehr Zurückhaltung wünscht sich wohl auch so manch ein Grünen-Anhänger von Reinhard Bütikofer, Vorsitzender der Europäischen Grünen und eigentlich ein erfahrener Politiker im Netz. Mit einem Posting zur Krim-Krise sorgte er im Wahlkampf aber für mächtig Wirbel. Im Netz entlud sich ein Shitstorm und auch parteiintern gab es jede Menge Kritik.

Plattform analysiert Social-Media-Aktivitäten

Nach den Berechnungen der Social-Media-Analyseplattform Pluragraph verfügt SPD-Mann Schulz über den wertvollsten Internetauftritt aller deutschen Europapolitiker. Über Facebook und Twitter erreicht er mehr als 210.000 Nutzer. Auf Platz zwei folgt abgeschlagen der FDP-Abgeordnete Jorgo Chatzimarkakis mit gut 21.600 Followern. Wie schnell die eigene Twitter-Euphorie abflauen kann, zeigt das Beispiel Herbert Reul. Der Spitzenkandidat der NRW-CDU schrieb noch im Juli letzten Jahres von einer Twitter-Schulung im Europäischen Parlament: "Da lerne ich was." Allzu groß dürfte der Erkenntnisgewinn allerdings nicht gewesen sein. Seitdem kamen lediglich drei neue Nachrichten in Reuls Timeline hinzu.

Grüne scheitern mit Internet-Wahl

So ganz ohne Experimente bleibt der Wahlkampf allerdings nicht. Mit der ersten europaweiten Online-Abstimmung über die Spitzenkandidaten versuchten die europäischen Grünen im Winter, ihrem Anspruch als Mitmach-Partei im Netz zu genügen. Das Problem war allerdings, dass es niemanden so recht interessierte. Nach elf Wochen "Green Primary" beteiligten sich nur 22.656 Menschen an der Internet-Wahl - obwohl alle EU-Bürger ab 16 Jahren teilnehmen durften. Nach der Abstimmung prasselten hämische Kommentare auf die Europäischen Grünen ein. Das Demokratie-Experiment im Netz gilt als vorerst gescheitert.

Werbung für die Wahl an sich

Doch nicht nur die Frage, welche Partei am 25. Mai gewählt wird, spielt eine Rolle. Auch die Wahl an sich muss kräftig beworben werden - schließlich gaben vor fünf Jahren nur 43,3 Prozent in Deutschland ihre Stimme ab. Mit der Online-Kampagne "Face Europe" versucht die EU-Kommission, diesen Trend zu stoppen. Nutzer sollen mitteilen, warum sie Europa wählen und was sie von der EU erwarten. Zurückgegriffen wird dafür auf das Internet-Phänomen Memes. Ein lustiges Bild wird mit einem knackigen Spruch betitelt und dann in sozialen Netzwerken geteilt. Zu den populärsten Memes zählt momentan das Bild eines traurigen russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem Spruch: "Ich wähle Europa, weil Isolation auf Dauer keinen Spaß macht."

Zu den interessantesten Kampagnen im Netz zählt "We promise", die von Dutzenden Bürgerrechtsorganisationen getragen wird. Wähler können dort einem Kandidaten ihre Stimme versprechen. Bedingung dafür ist, dass der sich im Parlament bürgerrechtsfreundlich entscheidet und an eine "Charta der digitalen Grundrechte" hält. 350 Politiker aus ganz Europa, darunter fast 50 Kandidaten aus Deutschland, sowie mehr als 3.000 Wähler haben bereits ihr Versprechen abgegeben.

Veraltete Internetauftritte in der Kommunalpolitik

Dass es die Lokalpolitiker in NRW besser als ihre Parteifreunde aus Brüssel machen, kann leider nicht behauptet werden. Klickt man sich durch die Auftritte der regionalen Parteiseiten, fällt auf, wie viele Internetpräsenzen auch im Jahr 2014 noch immer ungepflegt und verwaist sind. Wer nicht weiß, dass am 25. Mai auch Bürgermeister, Landräte und die kommunalen Parlamente gewählt werden, der wird nach einem Besuch dieser Seiten auch nicht schlauer sein. Bei der CDU im Kreis Höxter bilanziert zum Beispiel der "frisch gewählte" Bundestagsabgeordnete auf der Startseite die Wahl vom vergangenen September. Und die FDP im Kreis Borken freut sich noch immer auf den diesjährigen Neujahrsempfang. Aktuelle Informationen zum Wahlkampf vor Ort? Fehlanzeige.

Mehr Mühe haben sich da die Christdemokraten im münsterländischen Ahaus gemacht und sogar einen eigenen Wahlwerbespot fürs Internet gedreht. Doch gut gemeint ist bekanntlich nicht gut gemacht: In dem zweiminütigen Spot wird eine Kuh präsentiert, die die angeblichen Stärken der CDU symbolisiert: "Sie gibt Sicherheit", "Sie schafft Vertrauen", "Sie ist stark". Innerhalb kürzester Zeit hat sich das Video zur Lachnummer im Netz entwickelt und wurde rund 180.000 mal angeklickt. Auch wenn die CDU jede Menge Spott erntet, wird immerhin über sie gesprochen - in Wahlkampfzeiten nicht das Schlechteste.