Wahlkampf mit Martin Schulz

Fußballer, Buchhändler - EU-Kommissionspräsident?

Stand: 09.05.2014, 06:00 Uhr

Vom Provinz-Bürgermeister zum mächtigsten Mann der EU: Diese Schlagzeile würde Martin Schulz zu gerne über sich lesen. Bei der Europawahl ist die Chance zum Greifen nahe. Ein ungewöhnlicher Wahlkampfauftritt mit dem Sozialdemokraten in Köln.

Von Fabian Wahl

Martin Schulz steckt fest – im Stau hinter Aachen. Er ist auf dem Weg von Brüssel nach Köln. Am Vortag war er noch in Portugal. Am nächsten Tag steht ein TV-Duell mit seinem konservativen Kontrahenten Jean-Claude Juncker an. Es ist Europawahlkampf und der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten soll jetzt auf einem Schiff am Kölner Rheinufer eine Streitschrift zum Rheinischen Kapitalismus vorstellen, die sein Parteikollege, der SPD-Landesvize Jochen Ott, mitverfasst hat.

Die Veranstaltung hat bereits begonnen und plätschert so vor sich hin, als Schulz dann endlich eintrifft. Für den EU-Parlamentspräsidenten ist der Termin ein Heimspiel. Als gelernter Buchhändler weiß er, wie man Bücher an den Mann bringt. Schulz blättert noch kurz durch das Büchlein und legt dann los. "Ich lebe in einem Europa, in dem die Gier die letzten zwei Jahrzehnte regiert hat", sagt Schulz. Der Fiskus verliere Billionen, die von Großkonzernen und "Superreichen" in Steueroasen gebracht würden.

Humanismus und Profitmaximierung

Zwischendurch ist dem 58-Jährigen nur noch schwer zu folgen. Dann fallen Begriffe wie Humanismus, christliche Soziallehre, durchökonomisierte Gesellschaft, Profitmaximierung und Warschauer Pakt. Die drei Verfasser des Buches, zu denen neben Ott der Pfarrer Franz Meurer und der Unternehmensberater Peter Sprong zählen, sind bei der Veranstaltung längst Randgestalten. "Das Buch ist ein hervorragender Beitrag zur aktuellen Debatte, wie es in Europa weitergehen soll", sagt Schulz. "Das Buch ist ein guter Leitfaden für ein anständiges Leben miteinander." Das hört der anwesende Verlagsleiter gerne.

Inzwischen ist viel Wasser den Rhein hinuntergeflossen und die Frage drängt sich auf, warum Schulz diesen Termin überhaupt wahrnimmt. In zweieinhalb Wochen ist Wahltag – und hier sitzen nur einige Verlagsmitarbeiter und Journalisten. Es gibt weder Menschenscharen auf Marktplätzen, noch sehenswerte Fotos für die Presse. Dies sei kein üblicher Wahlkampftermin, sondern ein Solidaritätsbekunden gegenüber seinem Kölner Parteikollegen Jochen Ott, sagt Schulz. Beide kennen sich seit Jahren. Schulz stammt aus der Nähe von Aachen, wohnt seit 40 Jahren im kleinen Örtchen Würselen.

Vom Bürgermeistersessel an die Spitze des Europaparlaments

In jungen Jahren hatte Schulz noch ganz andere Ambitionen. Weder die Politik noch eine Buchhändlerlehre hatte er im Kopf. Er wollte Fußballer werden. Doch eine Verletzung machte die Träume mit einem Schlag zunichte. Bis zum Abitur schaffte er es nicht. Schulz absolvierte eine Lehre zum Buchhändler und stieg wenig später in die Kommunalpolitik ein. Als er mit 31 Jahren Bürgermeister von Würselen wurde, galt er das jüngste Stadtoberhaupt in NRW. Dann rief Europa.

Seit 20 Jahren sitzt Schulz nun im EU-Parlament, seit 2012 ist er dessen Präsident - und ist nur noch einen kleinen Schritt von seinem Ziel entfernt. Er will unbedingt EU-Kommissionspräsident werden. Es ist der mächtigste Posten, den die Europäische Union zu bieten hat. Im Wahlkampf wird er nicht müde, seine Ambitionen zu betonen. Auch in Köln dauert es nicht lange, bis er seinen Anspruch auf das Amt untermauert und offen sagt, was er als Kommissionspräsident machen wird. Er sagt nicht "würde".

Nach der Europawahl kommt bei der Wahl des neuen Kommissionspräsidenten erstmals der Lissabon-Vertrag zur Geltung. Zwar wird über diese Personalie offiziell von den Staats- und Regierungschefs entschieden, doch müssen diese erstmals das Ergebnis der Europawahl "berücksichtigen". Was das konkret bedeutet, wird aber durchaus unterschiedlich ausgelegt. Schulz ist sich jedenfalls sicher, dass an ihm kein Weg vorbeiführen wird.

Buchhändler 2.0

Auf dem Schiff am Rheinufer will er dann doch noch seine Botschaft unter die Leute bringen. Er wolle den "dramatischen Vertrauensverlust in Institutionen überwinden", erklärt Schulz, während sich hinter ihm ein schweres Containerschiff den Fluß hinaufschiebt. Er wolle gegen Steuerflucht kämpfen und gegen die Jugendarbeitslosigkeit vorgehen. Außerdem kündigt er an, die Befugnisse Brüssels zu beschränken. "Wir müssen nicht alles in Brüssel machen", sagt Schulz.

Was ihn von seinem Kontrahenten Juncker unterscheidet, möchte jemand in Köln wissen. "Juncker hat einen Trick drauf: Er versucht zu erzählen, dass er ein Sozi ist", lacht Schulz. Ganz beiläufig schaltet er auf Umgangssprache um, die ihm einen kumpelhaften und modernen Anstrich verleiht. Er spricht dann vom Internetnerd oder Computerfreak, der er als Buchhändler nicht gewesen sei, oder erzählt, dass er letztens "von den Socken" gewesen sei. Mehrmals erwähnt er seine Familie, auch sein Bruder Walter ist anwesend. Volksnähe heißt das Stichwort.

Irgendwann muss ihn der Verlagsleiter stoppen: "Schluss jetzt mit Wahlkampf". Schulz entgegnet, er habe nur auf eine Frage geantwortet. Ein paar Momente kann er sich zurückhalten. Kurze Zeit später fällt erneut das Wort Brüssel.