WESTPOL zum Unterricht für Flüchtlinge

Auch Flüchtlingskinder müssen zur Schule

Stand: 24.10.2014, 15:25 Uhr

WESTPOL begleitet Flüchtlingskinder bei ihrem Schulalltag. Auch für sie gilt nämlich die Schulpflicht. Die Kinder aber leiden oft unter den Folgen von Flucht und Vertreibung. Viele von ihnen sprechen kein Deutsch. Geeignete Lehrer sind rar.

Von Martin Teigeler und Martina Koch

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Wie Flüchtlingskinder, Lehrer und Eltern den schwierigen Start in den Schulalltag bewältigen, zeigt WESTPOL am Sonntag (26.10.2014, ab 19.30 Uhr) in einer Reportage - einen Ausschnitt daraus sehen Sie oben im Video. Die Politiker in Nordrhein-Westfalen wollen Flüchtlingskindern Bildungschancen ermöglichen. Das versprachen zumindest die Teilnehmer des sogenannten Flüchtlingsgipfels am vergangenen Montag (20.10.2014) in Essen. "Wir wollen gemeinsam die Potenziale dieser Menschen entfalten", sagte Schulministerin Sylvia Löhrmann. "Wir müssen es schaffen, durch gute Koordination und im Zweifel durch Nachsteuern die Beschulung sicherzustellen", versprach die Grünen-Politikerin. Doch wie sieht die Realität in den Kommunen aus?

VBE fordert Hilfe für traumatisierte Schüler

Die Lehrergewerkschaft Verband Bildung und Erziehung (VBE) hält die Beschlüsse des Essener Gipfels bei den Bildungsfragen für "zu allgemein". Hier müssten jetzt "dringend" konkrete Lösungen her, fordert VBE-Landeschef Udo Beckmann. "Viele Schulen können den Ansturm der Flüchtlingskinder im Moment nur schwer bewältigen", sagt er. Derzeit werde vor Ort in den Städten mehr improvisiert, da die rot-grüne Landesregierung und die Kommunen mit der steigenden Zahl der Flüchtlinge aus dem Nahen Osten überfordert seien. Vor allem im Ruhrgebiet gebe es große Probleme, berichtet Beckmann. Die sogenannten Auffangklassen für Flüchtlingskinder und Jugendliche seien "bereits heillos überfüllt". Viele der Kinder aus den Kriegs- und Krisengebieten des Nahen Ostens seien zudem traumatisiert und depressiv, einige sogar suizidgefährdet. Dazu komme, dass sie kein Deutsch sprächen und sich "nahezu isoliert in einem völlig fremden Land wiederfänden".

Zu wenig Deutschlehrer

Die Lehrkräfte seien auf diese Aufgaben nicht genügend vorbereitet. "Natürlich sind Lehrer auch immer ein Stück weit Psychologe für die ihnen anvertrauten Kinder - aber die notwendige umfängliche professionelle Hilfe können sie diesen Flüchtlingskindern nicht geben", sagt der VBE-Chef. "Wir brauchen an den betroffenen Schulen daher dringend mehr Unterstützung durch Schulpsychologen, Schulsozialarbeiter und Dolmetscher, die erste Hemmschwellen abbauen und konkrete Hilfestellungen geben können." Außerdem mangele es an Lehrern, die Deutsch als Fremdsprache unterrichten können. "In den vergangenen Jahren wurden für dieses Fach zu wenige Lehrer ausgebildet", sagt Beckmann.

Das Land NRW stellt laut Düsseldorfer Schulministerium 3.000 Lehrerstellen zur Verfügung als Integrationshilfe für Flüchtlingskinder. Diese Stellen sollen dann von den Bezirksregierungen auf die Kommunen verteilt werden. Reicht dieses Kontingent nicht, dann können dem Ministerium zufolge vorübergehend Stellen aus dem Pool gegen Unterrichtsausfall genutzt werden. Und ansonsten heißt es vom Ministerium lediglich: "Angesichts der Entwicklung prüfen wir, ob weitere Schritte erforderlich sind."

"Bildungshunger" bei den Eltern

In den Kommunen ist die Organisation der Beschulung und des Unterrichts höchst unterschiedlich. In ihrer Stadt gebe es derzeit eine Warteliste für einzuschulende Flüchtlingskinder, berichtet Elisabeth Pater vom Integrationszentrum der Stadt Duisburg. "Rund 100 Plätze in den Schulen bräuchten wir eigentlich jetzt sofort." Die Lage ändere sich aber angesichts der steigenden Zahl von Flüchtlingen beinahe täglich. Pater und ihre Kollegen besuchen die Flüchtlingsheime und klären dort die Eltern über die Schulpflicht in Deutschland auf. Bei der Eingangsberatung entscheiden die kommunalen Sozialarbeiter in Absprache mit den Schulbehörden, welches Kind welche Schulklasse besuchen soll - je nach Sprachkenntnissen und Vorbildung. "Die allermeisten Mütter und Väter wollen auch unbedingt, dass ihr Kind eine Schule besucht. Da gibt es schon einen Bildungshunger", sagt Pater. Nur in Einzelfällen würden Kinder der Schulpflicht entzogen. Ziel in Duisburg sei es, gemischte Klassen zu bilden, in denen nicht nur Kinder von Asylbewerbern gemeinsam unterrichtet werden.

Hürden vor der Ausbildung

Neben der schulischen Bildung ist auch der Zugang zu Ausbildungsplätzen für junge Flüchtlinge schwierig. "Es gibt leider zahlreiche Hürden für Asylsuchende und Geduldete, die eine Ausbildung beginnen wollen", sagt Kirsten Eichler von der Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender in Münster. Ein Problem sei beispielsweise, "dass sich nur schwer Arbeitgeber finden, die einen jungen Menschen für eine dreijährige Ausbildung einstellen, wenn die Behörden nur eine Duldung von wenigen Monaten ausgesprochen haben". Daneben seien Asylsuchende faktisch von den Leistungen der Ausbildungsförderung ausgeschlossen. Geduldete hätten diesen Zugang erst nach vier Jahren Aufenthalt. Dass der Bundesrat beschlossen hat, Flüchtlingen ab dem dritten Aufenthaltsmonat die Arbeitsaufnahme etwas zu erleichtern, hält der Verein aus Münster "für einen faulen Kompromiss". Ab dem ersten Tag sollten Flüchtlinge sich qualifizieren und arbeiten dürfen, fordert Eichler.

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